24.11.2025 - Illusionisten in Belém: Ratlos nach dem Konferenzrausch
Heiner Flassbeck:
Wer noch nie dabei war, kann es nicht nachvollziehen. Teilnehmer an
solchen Marathon-Konferenzen wie der Klimakonferenz (COP 30) in Belém,
Brasilien, geraten nach einigen Tagen in eine Art Konferenzrausch, der ihnen
Dinge vorspiegelt, die es gar nicht gibt. Die Teilnehmer verbeißen sich tage-
und nächtelang in einen Text, von dem sie nach einiger Zeit glauben, es sei das
wichtigste Stück Text, das jemals verfasst wurde. Nicht weniger als die Rettung
der Welt ist natürlich von einer globalen Mammut-Konferenz zu erwarten, von
deren elementarer Wichtigkeit viele auch schon vor Beginn ihres
Konferenz-Rauschs überzeugt waren.
Ich habe vergangenen Freitag ein Interview mit dem deutschen Staatssekretär
im Umweltministerium, Jochen Flasbarth gesehen, das mich wirklich schockiert
hat. Er sprach darüber, dass es bei dieser Konferenz wiederum einen heftigen
Streit um das Schlusskommuniqué gibt, weil eine Gruppe von über 80 Ländern
erneut versucht, gegen den Willen der Produzenten fossiler Energieträger den
Ausstieg aus der fossilen Energie dort festzuschreiben. Flasbarth war zwar nicht
besonders optimistisch, aber er hoffte noch darauf, dass es einen „Dubai-Moment“
geben könne, wie er das nannte, nämlich eine Formulierung, in der ein solcher
Ausstieg wenigstens angesprochen wird.
Offensichtlich bezog er sich auf die COP 28, bei der es tatsächlich zum
ersten Mal gelungen war, einen Satz in der Schlusserklärung unterzubringen, der
diese kritische Frage erwähnte (wie hier vor zwei Jahren erläutert). Das
Handelsblatt schreibt dazu, man hätte sich vor zwei Jahren auf einen
grundsätzliche Abkehr von den fossilen Energieträger geeinigt. Das ist
grandioser Unsinn. Aus diesem Satz von vor zwei Jahren konnte man schon damals
keinen Hoffnungsschimmer konstruieren, daraus heute eine grundsätzliche Abkehr
abzulesen, ist nur mit Halluzinationen zu erklären. Der Satz über den Ausstieg
war damals belanglos und ist es heute noch viel mehr. Nichts ist in den zwei
Jahren geschehen, was einen vernünftigen Menschen zu der Ansicht bringen könnte,
man komme mit der schieren Existenz eines solchen Satzes auch nur einen
Millimeter weiter.
Nun ist die Konferenz zu Ende und diesmal ist nicht einmal der eine Satz
herausgekommen. Exakt nichts ist herausgekommen, was für die angestrebten Ziele
wirklich relevant wäre. Wer jetzt nicht innehält und sich grundsätzlich fragt,
wie es weitergehen soll, ist ein Narr. Im August 2021 hatte der Generalsekretär
der Vereinten Nationen, António Guterres, den damals erschienenen Report des
IPCC mit den Worten begleitet: „This report must sound a death knell for coal
and fossil fuels, before they destroy our planet“ (dieser Report muss die
Totenglocke für Kohle und fossile Brennstoffe läuten, bevor sie den Planeten
zerstören). Vier Jahre später wird Kohle, Gas und Öl gefördert, als wäre nichts
geschehen und die Konferenz erwähnt es nicht einmal. Wenn das kein vollständiges
Scheitern einer Strategie ist, dann gibt es keines.
Besonders absurd verhalten sich auch hier die Europäer. Sie werfen sich
moralisch in die Brust und treten den Öl- und Gasfördernden Ländern „mutig“
entgegen. In Belém versammelten sie einige Entwicklungsländer hinter sich („über
80 Länder war die verbreitete Parole“), wenn es aber um ihre eigenen Interessen
geht und um die Frage, wie viel finanzielle Kompensation man vor allem den
ärmeren Ölländern wie Nigeria anbieten muss, um sie von weiterer Förderung
abzuhalten, dann hört man von den Europäern nichts mehr.
Würde es gelingen, tatsächlich eine Ausstiegsstrategie für die fossilen
Energieträger zu finden, die eine steige und massive Verteuerung dieser
Energieformen mit sich bringen müsste, dann wäre Umverteilung von reich zu arm
im Inland und im internationalen Rahmen unvermeidlich. Doch auch dazu hört man
von der politischen Spitze in Europa nichts, denn das fürchtet sie wie der
Teufel das Weihwasser. Im Gegenteil, wenn umverteilt wird, dann von arm zu
reich, weil man ja die „Leistungsträger“ fördern muss.
So ist alles, was positiv sein könnte, eine große europäische Lüge. Man
quatscht über taffe Strategien (TAFF, nannte man in Belem das, was in Sachen
Ausstieg angestrebt war), die andere umsetzen sollen, ist aber selbst nicht
bereit, ins Risiko und ans Eingemachte zu gehen. Man erwartet, dass Länder, die
über Reserven an Öl, Kohle und Gas verfügen, diese nicht mehr ausbeuten, ist
aber weder bereit, sie für die entgangenen Erträge zu entschädigen, noch ist man
bereit, die Konsequenzen einer solchen taffen Strategie für die eigene
Bevölkerung zu akzeptieren.
Wie geht es weiter?
Im Grunde geht es gar nicht weiter. Doch das will sich natürlich niemand
eingestehen. Also werden wir weiter an tausend verschiedenen Ecken und Enden
herumbasteln, um unser Gewissen zu beruhigen. Das hilft zwar nichts, man kann es
aber dem dummen Wähler wunderbar als „unseren Beitrag“ verkaufen.
Noch immer retten sich viele in die Floskel, „die Wissenschaft“ sage uns
doch, was wir machen müssen. Die Klimawissenschaft aber sagt gar nichts. Sie hat
keine Idee, wie man Länder mit völlig unterschiedlichen wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Voraussetzungen an einen Tisch bekommt, um darüber zu
reden, wer, wann und mit welchen Entschädigungen der Konsumenten aus der
fossilen Energie aussteigen kann.
Nur um diese eine Frage geht es. Dazu müsste man - unter kompetenter
ökonomischer Moderation - eine Konferenz ins Leben rufen, die sich zehn Jahre
Zeit gibt, um einen globalen Plan zu entwickeln, dem am Ende die meisten
Produzenten und die Konsumenten zustimmen können. Sisyphus ist dagegen nichts.
Man muss dabei auch das noch viel größere Problem lösen, dass nämlich die
nördlich-westliche Welt den Ländern im Süden und Osten bis heute keine
ernsthafte Hilfestellung gibt, um Armut und Rückständigkeit zu überwinden, weil
sie mit aller Gewalt an einem absurden neoliberalen Wirtschaftsmodell festhält.
Wer glaubt, er könne Zugeständnisse der sich entwickelnden Welt erwarten, wenn
er selbst nichts tut, um diesem Teil der Welt wirklich zum Aufholen zu
verhelfen, ist kein Narr, sondern ein Idiot.
(Dieser Artikel ist ebenfalls auf Heiner Flassbecks Blog
www.relevante-oekonomik.com und bei Telepolis erschienen.)
24.11.2025 - Illusionisten in Belém: Ratlos nach dem Konferenzrausch
Wer noch nie dabei war, kann es nicht nachvollziehen. Teilnehmer an solchen Marathon-Konferenzen wie der Klimakonferenz (COP 30) in Belém, Brasilien, geraten nach einigen Tagen in eine Art Konferenzrausch, der ihnen Dinge vorspiegelt, die es gar nicht gibt. Die Teilnehmer verbeißen sich tage- und nächtelang in einen Text, von dem sie nach einiger Zeit glauben, es sei das wichtigste Stück Text, das jemals verfasst wurde. Nicht weniger als die Rettung der Welt ist natürlich von einer globalen Mammut-Konferenz zu erwarten, von deren elementarer Wichtigkeit viele auch schon vor Beginn ihres Konferenz-Rauschs überzeugt waren.
Ich habe vergangenen Freitag ein Interview mit dem deutschen Staatssekretär im Umweltministerium, Jochen Flasbarth gesehen, das mich wirklich schockiert hat. Er sprach darüber, dass es bei dieser Konferenz wiederum einen heftigen Streit um das Schlusskommuniqué gibt, weil eine Gruppe von über 80 Ländern erneut versucht, gegen den Willen der Produzenten fossiler Energieträger den Ausstieg aus der fossilen Energie dort festzuschreiben. Flasbarth war zwar nicht besonders optimistisch, aber er hoffte noch darauf, dass es einen „Dubai-Moment“ geben könne, wie er das nannte, nämlich eine Formulierung, in der ein solcher Ausstieg wenigstens angesprochen wird.
Offensichtlich bezog er sich auf die COP 28, bei der es tatsächlich zum ersten Mal gelungen war, einen Satz in der Schlusserklärung unterzubringen, der diese kritische Frage erwähnte (wie hier vor zwei Jahren erläutert). Das Handelsblatt schreibt dazu, man hätte sich vor zwei Jahren auf einen grundsätzliche Abkehr von den fossilen Energieträger geeinigt. Das ist grandioser Unsinn. Aus diesem Satz von vor zwei Jahren konnte man schon damals keinen Hoffnungsschimmer konstruieren, daraus heute eine grundsätzliche Abkehr abzulesen, ist nur mit Halluzinationen zu erklären. Der Satz über den Ausstieg war damals belanglos und ist es heute noch viel mehr. Nichts ist in den zwei Jahren geschehen, was einen vernünftigen Menschen zu der Ansicht bringen könnte, man komme mit der schieren Existenz eines solchen Satzes auch nur einen Millimeter weiter.
Nun ist die Konferenz zu Ende und diesmal ist nicht einmal der eine Satz herausgekommen. Exakt nichts ist herausgekommen, was für die angestrebten Ziele wirklich relevant wäre. Wer jetzt nicht innehält und sich grundsätzlich fragt, wie es weitergehen soll, ist ein Narr. Im August 2021 hatte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, den damals erschienenen Report des IPCC mit den Worten begleitet: „This report must sound a death knell for coal and fossil fuels, before they destroy our planet“ (dieser Report muss die Totenglocke für Kohle und fossile Brennstoffe läuten, bevor sie den Planeten zerstören). Vier Jahre später wird Kohle, Gas und Öl gefördert, als wäre nichts geschehen und die Konferenz erwähnt es nicht einmal. Wenn das kein vollständiges Scheitern einer Strategie ist, dann gibt es keines.
Besonders absurd verhalten sich auch hier die Europäer. Sie werfen sich moralisch in die Brust und treten den Öl- und Gasfördernden Ländern „mutig“ entgegen. In Belém versammelten sie einige Entwicklungsländer hinter sich („über 80 Länder war die verbreitete Parole“), wenn es aber um ihre eigenen Interessen geht und um die Frage, wie viel finanzielle Kompensation man vor allem den ärmeren Ölländern wie Nigeria anbieten muss, um sie von weiterer Förderung abzuhalten, dann hört man von den Europäern nichts mehr.
Würde es gelingen, tatsächlich eine Ausstiegsstrategie für die fossilen Energieträger zu finden, die eine steige und massive Verteuerung dieser Energieformen mit sich bringen müsste, dann wäre Umverteilung von reich zu arm im Inland und im internationalen Rahmen unvermeidlich. Doch auch dazu hört man von der politischen Spitze in Europa nichts, denn das fürchtet sie wie der Teufel das Weihwasser. Im Gegenteil, wenn umverteilt wird, dann von arm zu reich, weil man ja die „Leistungsträger“ fördern muss.
So ist alles, was positiv sein könnte, eine große europäische Lüge. Man quatscht über taffe Strategien (TAFF, nannte man in Belem das, was in Sachen Ausstieg angestrebt war), die andere umsetzen sollen, ist aber selbst nicht bereit, ins Risiko und ans Eingemachte zu gehen. Man erwartet, dass Länder, die über Reserven an Öl, Kohle und Gas verfügen, diese nicht mehr ausbeuten, ist aber weder bereit, sie für die entgangenen Erträge zu entschädigen, noch ist man bereit, die Konsequenzen einer solchen taffen Strategie für die eigene Bevölkerung zu akzeptieren.
Wie geht es weiter?
Im Grunde geht es gar nicht weiter. Doch das will sich natürlich niemand eingestehen. Also werden wir weiter an tausend verschiedenen Ecken und Enden herumbasteln, um unser Gewissen zu beruhigen. Das hilft zwar nichts, man kann es aber dem dummen Wähler wunderbar als „unseren Beitrag“ verkaufen.
Noch immer retten sich viele in die Floskel, „die Wissenschaft“ sage uns doch, was wir machen müssen. Die Klimawissenschaft aber sagt gar nichts. Sie hat keine Idee, wie man Länder mit völlig unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen an einen Tisch bekommt, um darüber zu reden, wer, wann und mit welchen Entschädigungen der Konsumenten aus der fossilen Energie aussteigen kann.
Nur um diese eine Frage geht es. Dazu müsste man - unter kompetenter ökonomischer Moderation - eine Konferenz ins Leben rufen, die sich zehn Jahre Zeit gibt, um einen globalen Plan zu entwickeln, dem am Ende die meisten Produzenten und die Konsumenten zustimmen können. Sisyphus ist dagegen nichts. Man muss dabei auch das noch viel größere Problem lösen, dass nämlich die nördlich-westliche Welt den Ländern im Süden und Osten bis heute keine ernsthafte Hilfestellung gibt, um Armut und Rückständigkeit zu überwinden, weil sie mit aller Gewalt an einem absurden neoliberalen Wirtschaftsmodell festhält. Wer glaubt, er könne Zugeständnisse der sich entwickelnden Welt erwarten, wenn er selbst nichts tut, um diesem Teil der Welt wirklich zum Aufholen zu verhelfen, ist kein Narr, sondern ein Idiot.
(Dieser Artikel ist ebenfalls auf Heiner Flassbecks Blog www.relevante-oekonomik.com und bei Telepolis erschienen.)
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