Zum Jahreswechsel 2021/2022, die Ampelregierung war gerade erst im Amt, kratzte die Inflationsrate bereits an der Fünf-Prozent-Marke. Vor allem Strom und Gas waren neben Heizöl, Benzin und Diesel die Preistreiber, aber auch Lebensmittel, die sich gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent verteuert hatten. Angst vor der nächsten Nebenkostenabrechnung machte sich breit unter den Menschen und ärmere Haushalte, die ohnehin schon am Limit waren, sorgten sich, wie sie finanziell überhaupt noch das Ende des Monats erreichen sollten. Schon Anfang Februar 2022 brachte die Ampel daher einen Heizkostenzuschuss für Bezieher von Wohngeld und BAföG auf den Weg. Und getrieben durch die Inflation verständigte man sich schon Ende Februar auf ein ganzes Bündel weiterer Entlastungsmaßnahmen: den Wegfall der EEG-Umlage auf den Strompreis, was den Strom allgemein verbilligen sollte, Erleichterungen bei der Einkommenssteuer, wie etwa durch die Erhöhung des Grundfreibetrages oder der Pendlerpauschale, eine Einmalzahlung von 100 Euro an Menschen in der Altersgrundsicherung und im Hartz-IV-Bezug und für die Kinder in Familien, die Hartz IV beziehen, eine sogenannte Soforthilfe von monatlich 20 Euro, praktisch im Vorgriff auf die versprochene Kindergrundsicherung. Zeitgleich überfiel Russland die Ukraine. In der Folge schossen die Gaspreise so richtig in die Höhe und mit ihnen auch noch ein-mal die gesamten Lebenshaltungskosten. Die Beschlüsse der Ampel waren überholt, noch bevor sie überhaupt im Gesetzblatt standen. Die Bundesregierung war nun endgültig im Krisenmodus angekommen und versuchte sich irgendwie vor die Lage zu bringen. Noch im April folgte, nach zähen Verhandlungen, das nächste Entlastungspaket. Schon im Vorfeld dazu hatte es koalitionsinternen Zoff gegeben. Finanzminister Lindner war, die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen fest im Blick, mit seiner Idee eines Tankrabatts an die Öffentlichkeit gegangen. Der Streit war kalkuliert, denn als klimaeffiziente Maßnahme ließ sich das beim besten Willen nicht verkaufen. Doch setzte sich Lindner erneut durch. Zwar gab’s keinen astreinen Rabatt, dafür aber eine kräftige drei-monatige Steuersenkung auf Benzin und Diesel. Die Grünen bekamen zum Ausgleich ihr Neun-Euro-Ticket. Hinzu gab es 300 Euro für alle Erwerbstätigen, der sogenannte Energiebonus, und einen Kinderbonus von 100 Euro. Die gerade erst im Februar beschlossenen und ohnehin noch nicht ausgezahlten Einmalzahlungen an Bezieher von Wohngeld, BAföG und Grundsicherung wurden auf 270, 230 und 200 Euro verdoppelt. Mit 28,9 Milliarden Euro belasteten die verschiedenen zwischen Februar und April beschlossenen Entlastungsmaßnahmen den laufenden Bundeshaushalt. Doch waren die Sommerurlaube mit Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket gerettet. Die Stromkosten waren erst einmal etwas abgesenkt. Mehr Netto vom Brutto gab es und an Kinder und Arme wurde mit den Einmalzahlungen auch gedacht. Alles also in bester Ordnung, konnte man bei oberflächlicher Betrachtung denken. Tatsächlich aber war gar nichts in Ordnung. Dass rot-grün-gelbe Wünsch-dir-was-Paket war deutlich stärker darauf aus, parteiliche Befindlichkeiten von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen zu befrieden, als wirkungsvoll und zielgenau finanzielle Entlastung zu schaffen für die, die wirklich Entlastung brauchten. Wenn Deutschland ein Land mit einer relativ homogenen Verteilung von Einkommen und Vermögen wäre, sprich: wenn Deutschland gleicher wäre, hätte man durchaus so agieren können, wie es die Ampel tat. Sehen, dass man den Preisauftrieb ins-gesamt etwas bremst, die Steuern senken und ansonsten die Menschen mit Reiserabatten bei Laune halten. Nun ist aber Gleichverteilung nicht einmal in Ansätzen deutsche Realität. Ganz im Gegenteil. Wie schon die GroKo unterschätzte die Ampel bei ihrem Krisenmanagement die soziale Zerrissenheit dieser Gesellschaft sträflich. Eine effektive und effiziente politische Entlastungsstrategie hätte berücksichtigen müssen, dass die privaten Haushalte in Deutschland auf der einen Seite über einen Riesenreichtum verfügen, weit über sieben Billionen Euro nur an Geldvermögen22, dass auf der anderen Seite jedoch die unteren 40 Prozent auf der Wohlstandsleiter davon buchstäblich gar nichts haben, keinerlei Rücklagen, bestenfalls Schulden. Eine etwas höhere Nebenkostenabrechnung bringt sie ebenso aus dem Tritt wie eine kaputte Waschmaschine oder eine anstehende Autoreparatur. Die Regierung hätte auch nicht ignorieren dürfen, dass die Armutsquote in der Pandemie bereits auf fast 17 Prozent angestiegen war. In einem Land, in dem der Vorstand eines DAX-Unternehmens mit 3,3 Millionen Euro Jahresgehalt das 38-Fache seiner Ange-stellten »verdient« und der Chefarzt einer Klinik immer noch etwa das 10-Fache einer Krankenschwester, hätte man darauf kommen können, dass den Chefarzt eines Krankenhauses eine Inflationsrate von acht Prozent überhaupt nicht aus dem Tritt bringt, die Krankenschwester aber schon. Die Regierung hätte zur Kenntnis nehmen müssen, dass in den oberen Einkommenssphären diese Inflation im Alltag überhaupt keine Rolle spielt. Der SUV wird getankt, ob der Sprit 1,50 oder 3 Euro kostet, und es wird auch bei doppelt so hohem Strompreis nicht auf den zweiten Getränkekühlschrank oder die Heimsauna verzichtet. Es wird halt einfach weniger auf die hohe Kante gelegt am Ende des Monats. Das war es dann aber auch schon. Die Preisexplosion hatte eine Drei-Klassen-Gesellschaft entstehen lassen: Diejenigen, wie oben beschrieben, deren Alltag davon überhaupt nicht berührt wurde. Dann diejenigen, die nicht so im Überfluss lebten, denen es aber auch nicht schlecht ging. Für sie waren die steigenden Preise durchaus ärgerlich. Sie brachten sie jedoch nicht in Not. Man musste sich halt einschränken, kaufte nicht mehr die Markenbutter, sondern die Billigmarke. Man achtete darauf, dass keine Stromfresser im Haushalt liefen und ging weniger auswärts essen. Aber man kam alles in allem zurecht. Für die ganz unten jedoch, die sieben Millionen in Hartz IV oder Altersgrundsicherung und die anderen sieben Millionen, die zwar keinen Anspruch auf Hartz IV hatten, aber mit kleinen Einkommen auch nur knapp darüber lagen, waren die steigenden Lebenshaltungskosten eine schlichte Katastrophe. Bereits vor den Preissprüngen kamen sie mit Regelsätzen, die vorn und hinten nicht langten, kaum über den Monat, lebten ausgegrenzt und in Armut. Nun aber war es ganz aus. Die Tafeln meldeten einen Ansturm, wie sie ihn schon seit Jahren nicht mehr erlebt hatten: Über zwei Millionen Menschen, die dort regelmäßig für Essensspenden in der Schlange standen. Und immer mehr mussten wieder weggeschickt werden, wenn nichts mehr da war. Geld wurde geliehen in der Nachbarschaft oder bei Verwandten, um sich finanziell irgendwie über Wasser zu halten. Das war bittere Realität am unteren Ende der deutschen Wohlstandsleiter, eine Realität, vor der zu viele in der Ampel jedoch die Augen verschlossen.
23.06.2024 - Klientelpolitik statt Krisenpolitik
Zum Jahreswechsel 2021/2022, die Ampelregierung war gerade erst im Amt, kratzte die Inflationsrate bereits an der Fünf-Prozent-Marke. Vor allem Strom und Gas waren neben Heizöl, Benzin und Diesel die Preistreiber, aber auch Lebensmittel, die sich gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent verteuert hatten. Angst vor der nächsten Nebenkostenabrechnung machte sich breit unter den Menschen und ärmere Haushalte, die ohnehin schon am Limit waren, sorgten sich, wie sie finanziell überhaupt noch das Ende des Monats erreichen sollten.
Schon Anfang Februar 2022 brachte die Ampel daher einen Heizkostenzuschuss für Bezieher von Wohngeld und BAföG auf den Weg. Und getrieben durch die Inflation verständigte man sich schon Ende Februar auf ein ganzes Bündel weiterer Entlastungsmaßnahmen: den Wegfall der EEG-Umlage auf den Strompreis, was den Strom allgemein verbilligen sollte, Erleichterungen bei der Einkommenssteuer, wie etwa durch die Erhöhung des Grundfreibetrages oder der Pendlerpauschale, eine Einmalzahlung von 100 Euro an Menschen in der Altersgrundsicherung und im Hartz-IV-Bezug und für die Kinder in Familien, die Hartz IV beziehen, eine sogenannte Soforthilfe von monatlich 20 Euro, praktisch im Vorgriff auf die versprochene Kindergrundsicherung.
Zeitgleich überfiel Russland die Ukraine. In der Folge schossen die Gaspreise so richtig in die Höhe und mit ihnen auch noch ein-mal die gesamten Lebenshaltungskosten. Die Beschlüsse der Ampel waren überholt, noch bevor sie überhaupt im Gesetzblatt standen.
Die Bundesregierung war nun endgültig im Krisenmodus angekommen und versuchte sich irgendwie vor die Lage zu bringen. Noch im April folgte, nach zähen Verhandlungen, das nächste Entlastungspaket. Schon im Vorfeld dazu hatte es koalitionsinternen Zoff gegeben. Finanzminister Lindner war, die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen fest im Blick, mit seiner Idee eines Tankrabatts an die Öffentlichkeit gegangen. Der Streit war kalkuliert, denn als klimaeffiziente Maßnahme ließ sich das beim besten Willen nicht verkaufen. Doch setzte sich Lindner erneut durch. Zwar gab’s keinen astreinen Rabatt, dafür aber eine kräftige drei-monatige Steuersenkung auf Benzin und Diesel. Die Grünen bekamen zum Ausgleich ihr Neun-Euro-Ticket. Hinzu gab es 300 Euro für alle Erwerbstätigen, der sogenannte Energiebonus, und einen Kinderbonus von 100 Euro. Die gerade erst im Februar beschlossenen und ohnehin noch nicht ausgezahlten Einmalzahlungen an Bezieher von Wohngeld, BAföG und Grundsicherung wurden auf 270, 230 und 200 Euro verdoppelt.
Mit 28,9 Milliarden Euro belasteten die verschiedenen zwischen Februar und April beschlossenen Entlastungsmaßnahmen den laufenden Bundeshaushalt. Doch waren die Sommerurlaube mit Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket gerettet. Die Stromkosten waren erst einmal etwas abgesenkt. Mehr Netto vom Brutto gab es und an Kinder und Arme wurde mit den Einmalzahlungen auch gedacht. Alles also in bester Ordnung, konnte man bei oberflächlicher Betrachtung denken. Tatsächlich aber war gar nichts in Ordnung. Dass rot-grün-gelbe Wünsch-dir-was-Paket war deutlich stärker darauf aus, parteiliche Befindlichkeiten von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen zu befrieden, als wirkungsvoll und zielgenau finanzielle Entlastung zu schaffen für die, die wirklich Entlastung brauchten.
Wenn Deutschland ein Land mit einer relativ homogenen Verteilung von Einkommen und Vermögen wäre, sprich: wenn Deutschland gleicher wäre, hätte man durchaus so agieren können, wie es die Ampel tat. Sehen, dass man den Preisauftrieb ins-gesamt etwas bremst, die Steuern senken und ansonsten die Menschen mit Reiserabatten bei Laune halten. Nun ist aber Gleichverteilung nicht einmal in Ansätzen deutsche Realität. Ganz im Gegenteil.
Wie schon die GroKo unterschätzte die Ampel bei ihrem Krisenmanagement die soziale Zerrissenheit dieser Gesellschaft sträflich. Eine effektive und effiziente politische Entlastungsstrategie hätte berücksichtigen müssen, dass die privaten Haushalte in Deutschland auf der einen Seite über einen Riesenreichtum verfügen, weit über sieben Billionen Euro nur an Geldvermögen22, dass auf der anderen Seite jedoch die unteren 40 Prozent auf der Wohlstandsleiter davon buchstäblich gar nichts haben, keinerlei Rücklagen, bestenfalls Schulden. Eine etwas höhere Nebenkostenabrechnung bringt sie ebenso aus dem Tritt wie eine kaputte Waschmaschine oder eine anstehende Autoreparatur. Die Regierung hätte auch nicht ignorieren dürfen, dass die Armutsquote in der Pandemie bereits auf fast 17 Prozent angestiegen war.
In einem Land, in dem der Vorstand eines DAX-Unternehmens mit 3,3 Millionen Euro Jahresgehalt das 38-Fache seiner Ange-stellten »verdient« und der Chefarzt einer Klinik immer noch etwa das 10-Fache einer Krankenschwester, hätte man darauf kommen können, dass den Chefarzt eines Krankenhauses eine Inflationsrate von acht Prozent überhaupt nicht aus dem Tritt bringt, die Krankenschwester aber schon. Die Regierung hätte zur Kenntnis nehmen müssen, dass in den oberen Einkommenssphären diese Inflation im Alltag überhaupt keine Rolle spielt. Der SUV wird getankt, ob der Sprit 1,50 oder 3 Euro kostet, und es wird auch bei doppelt so hohem Strompreis nicht auf den zweiten Getränkekühlschrank oder die Heimsauna verzichtet. Es wird halt einfach weniger auf die hohe Kante gelegt am Ende des Monats. Das war es dann aber auch schon.
Die Preisexplosion hatte eine Drei-Klassen-Gesellschaft entstehen lassen: Diejenigen, wie oben beschrieben, deren Alltag davon überhaupt nicht berührt wurde. Dann diejenigen, die nicht so im Überfluss lebten, denen es aber auch nicht schlecht ging. Für sie waren die steigenden Preise durchaus ärgerlich. Sie brachten sie jedoch nicht in Not. Man musste sich halt einschränken, kaufte nicht mehr die Markenbutter, sondern die Billigmarke. Man achtete darauf, dass keine Stromfresser im Haushalt liefen und ging weniger auswärts essen. Aber man kam alles in allem zurecht. Für die ganz unten jedoch, die sieben Millionen in Hartz IV oder Altersgrundsicherung und die anderen sieben Millionen, die zwar keinen Anspruch auf Hartz IV hatten, aber mit kleinen Einkommen auch nur knapp darüber lagen, waren die steigenden Lebenshaltungskosten eine schlichte Katastrophe. Bereits vor den Preissprüngen kamen sie mit Regelsätzen, die vorn und hinten nicht langten, kaum über den Monat, lebten ausgegrenzt und in Armut. Nun aber war es ganz aus. Die Tafeln meldeten einen Ansturm, wie sie ihn schon seit Jahren nicht mehr erlebt hatten: Über zwei Millionen Menschen, die dort regelmäßig für Essensspenden in der Schlange standen. Und immer mehr mussten wieder weggeschickt werden, wenn nichts mehr da war. Geld wurde geliehen in der Nachbarschaft oder bei Verwandten, um sich finanziell irgendwie über Wasser zu halten. Das war bittere Realität am unteren Ende der deutschen Wohlstandsleiter, eine Realität, vor der zu viele in der Ampel jedoch die Augen verschlossen.
Autoren von "Klientelpolitik statt Krisenpolitik"
Bücher von Ulrich Schneider