Ich habe den Klang des Krieges gehört. Nicht in Form von Bombenexplosionen,
sondern als alarmierende, raue Angstschreie traumatisierter Kinder. Schreie, die
so durchdringend und schmerzhaft sind, als verkörperten sie das gesamte Leid
Gazas. Seit über einem Jahr leben die Kinder in der Angst, zu sterben oder
jemanden zu verlieren, den sie lieben. Viele von ihnen waren dem Tod bereits
selbst nahe. Dieses Buch handelt von diesen Kindern, aber auch von ihren
Familien und den Kolleginnen und Kollegen, die ich traf, als ich im Herbst 2024
und Winter 2025 für Ärzte ohne Grenzen jeweils fünf Wochen als Kinderpsychologin
im Nasser-Krankenhaus in Khan Younis im Süden des Gazastreifens arbeitete.
Einige von ihnen sind körperlich verletzt, andere nicht – aber sie alle sind
Opfer dieses Kriegs. Ich habe die Kraft der Hoffnung gesehen. Sie zeigt sich
in sorgenfreien Momenten des Spiels und des Kinderlachens, in Kolleginnen und
Kollegen, die zur Arbeit kommen, obwohl sie ihr Leben riskieren. In Menschen,
die das Wenige, das sie noch haben, teilen. Es begann mit Tagebuchnotizen,
doch allmählich wuchs der Gedanke, dass die Welt von dem erfahren muss, was ich
gesehen und erlebt habe. Ich möchte zeigen, was der Krieg in der Psyche der
Menschen in Gaza anrichtet, unter welchem Stress sie leben, worüber sie sich
Sorgen machen und wie sehr sie einander helfen wollen – vor allem dabei, die
Hoffnung aufrechtzuerhalten. [...]
Tag 1, Donnerstag, 8. August 2024
Der einzige Weg nach Gaza führt über Israel und den Grenzübergang Kerem
Schalom. Unsere Route dorthin geht über Amman in Jordanien, wo ich nach einer
siebenstündigen Verspätung in Istanbul und einer langen Nacht auf dem Boden des
dortigen Flughafens angekommen bin. Das Bett im Hotel in Amman ist herrlich
weich, aber ich kann es nicht lange genießen. Um vier Uhr klingelt der
Wecker, und nach einer Katzenwäsche gehe ich in die Lobby, um die drei
Kolleginnen zu treffen, die ebenfalls an diesem Tag nach Gaza reisen. Sie werden
in anderen Krankenhäusern arbeiten, aber andere Einsatzkräfte zu treffen, ist
fast wie alte Bekannte zu sehen. Wir haben die gleiche Entscheidung getroffen,
die Familie zu verlassen, und die gleiche Motivation, hier zu sein. Zusammen
brechen wir auf zur zweistündigen Busfahrt zur jordanisch-israelischen Grenze,
bevor wir nach der Gepäck- und Passkontrolle durch Israel weiterreisen und den
Grenzübergang zum Gazastreifen erreichen. An der Bushaltestelle sieht man Logos
großer und kleiner Hilfsorganisationen auf Jacken und Rucksäcken, denn dies ist
der Weg für alle, die helfen wollen. Der Mann, der den Transport organisiert,
überprüft, dass jeder noch einmal auf die Toilette geht, aber das ist eigentlich
völlig unnötig. Wir haben die Anweisungen gelesen, möglichst wenig zu trinken
und vorzugsweise nichts zu essen, da die Möglichkeit, unterwegs eine Toilette zu
nutzen, bis zur Ankunft am Nachmittag praktisch nicht vorhanden ist. Das
Gefühl, dass wir uns einem Kriegsgebiet nähern, kommt mit aller Macht, als der
Bus den letzten Grenzposten verlässt. Ein heftiger Bombenschlag schreckt mich
auf, denn ich bin völlig unvorbereitet. Sind wir nicht noch außerhalb des
Kriegsgebiets? Es stellt sich heraus, dass dies nicht nur ein Grenzübergang ist,
sondern auch ein Abschussgebiet, von dem aus einige von Israels Panzern feuern.
Wir können sie nicht sehen, aber es kracht laut, wenn sie ihre Raketen
abschießen. Die Mitglieder der Gruppe, die schon mal hier waren, beruhigen uns
Neulinge, dass dies völlig ungefährlich sei und wir uns bald daran gewöhnen
würden. Der letzte Stopp vor dem Krieg fühlt sich wie ein Labyrinth mit hohen
Betonmauern an. Der Bus schwenkt zu einem offenen Platz mit nicht viel mehr als
zwei stinkenden Festival-Toiletten und ein paar jungen Soldaten mit
Maschinengewehren über den Schultern. Acht weiße gepanzerte Fahrzeuge mit große
UN-Logos sind entlang einer Betonmauer geparkt. Diese Fahrzeuge bringen uns
hinein in den Gazastreifen. Was sich hinter diesen Mauern befindet, ist
unmöglich zu sehen. Niemand darf den Bus verlassen, bevor wir den
verschiedenen Fahrzeugen zugewiesen worden sind und eine strenge Anweisung
erhalten haben, diese nie zu verlassen, es sei denn, wir werden ausdrücklich
dazu aufgefordert. Türen müssen stets verriegelt und Fenster geschlossen sein.
Niemand sagt, dass dieser Abschnitt der Route gefährlich ist, aber die Stimmung
spricht für sich. Diesen Anweisungen folgt man strikt. Ich denke an unsere sechs
palästinensischen Kolleginnen und Kollegen, die bis jetzt in diesem Krieg ihr
Leben verloren haben. Ganz ungefährlich wird dieser Einsatz nicht sein. Aber
jetzt gibt es kein Zurück mehr. Zum dritten Mal laden wir unsere Taschen aus
dem Bus und tragen sie in Richtung der Fahrzeugreihe. In einem gepanzerten
Fahrzeug ist nicht viel Platz für Gepäck, aber nach einigem Drücken und Stapeln
gelingt es uns, die Heckklappe zu schließen. Die Fahrer überprüfen noch einmal
die Listen, wer in welchem Fahrzeug sitzen soll, und melden dies dem Teamleiter,
nachdem alle Namen aufgerufen worden sind. Ich klettere auf den Vordersitz
und schließe die schwere Tür. Der Fahrer neben mir legt die schusssichere Weste
und den hellblauen UN-Helm an, und damit sind wir bereit zur Abfahrt. Eigentlich
hätten auch wir alle Westen tragen sollen, aber der erfahrene Fahrer bemerkt
trocken, dass es ohnehin vorbei ist, wenn Sprengstoff durch diese Fahrzeuge
dringt. Ich bin mir nicht sicher, ob das beruhigend ist oder nicht, aber ich
wiederhole mein Mantra: Ich entscheide mich, daran zu glauben, dass alles gut
gehen wird. Vor der Abfahrt wird noch die Funkverbindung getestet, indem alle
acht Fahrzeuge melden, dass sie bereit und dass alle Türen und Fenster
geschlossen sind. Erst dann gibt der Fahrer des ersten Fahrzeugs das
Startsignal. Nichts wird dem Zufall überlassen. Die Kolonne setzt sich
langsam in Bewegung. Ein riesiges Eisentor öffnet sich langsam und lässt uns
hinaus, vorbei an den hohen Mauern. Draußen gibt es nicht viel zu sehen außer
Wüstenlandschaft, und wir passieren mehrere Reihen Stacheldrahtrollen, hohe
Zäune und unzählige Kameras. Jetzt sind wir im Gazastreifen. Gleich hinter den
vielen Grenzzäunen und Stacheldrahtrollen liegt ein gut bewachtes Lager, in dem
die wenigen Hilfsgüter, die hereingelassen werden, umgeladen werden. Es gibt
keine Gebäude hier, nur Wellblechdächer über Teilen des Gebiets, wo Mehl und
Reis gelagert werden. Die ehemalige Straße ist völlig zerstört, aber die Jeeps
schaffen es gut durch den Wüstensand. Wir holpern vor und zurück im Takt der
Sandhügel und Bombenruinen, die wir überwinden müssen. Niemand sagt ein Wort.
Ich merke, dass meine Schultern vor Anspannung hochgezogen sind, während ich
versuche, das zu verarbeiten, was ich durch die schmutzigen Fenster wahrnehme.
Es ist anders als alles, was ich je gesehen habe, und ich kämpfe damit, die
Eindrücke zu sortieren und zu verstehen, was ich tatsächlich sehe. Der Ingenieur
auf dem Rücksitz ist auf seinem vierten Einsatz und meint, alles schon gesehen
zu haben. Er blickt meist auf sein Telefon und wirkt äußerlich völlig ruhig. Ob
er innerlich genauso ruhig ist, weiß ich nicht. Gewöhnt man sich jemals wirklich
an Krieg? Wie ein kleiner Zug mit acht Wagen bewegen wir uns langsam durch
eine unbekannte, ungewohnte und unwirkliche Landschaft. Ich habe die
Verwüstungen gesehen, als ich nach dem großen Erdbeben im Februar 2023 in der
Türkei gearbeitet hatte. Dort waren Häuser eingestürzt, Straßen aufgerissen und
ganze Städte dem Erdboden gleich. Aber dies hier ist anders. Es ist, als würde
man in einen grobkörnigen Schwarz-Weiß-Film eintreten, in dem nichts
wiedererkennbar ist. Der Boden hat einen besonderen tiefen, matten Grauton, den
ich auf keiner Farbkarte je gesehen habe. Auf etwa dem ersten Kilometer ist
absolut nichts mehr vorhanden. Keine Häuser. Nicht einmal Trümmerhaufen. Alles
ist pulverisiert. Keine Pflanzen oder Bäume. Keine Nuancen und keine Bewegung,
abgesehen von unseren Fahrzeugen und ein paar Lastwagen mit Soldaten. Es ist nur
dunkelgrau und völlig, völlig tot. Der Fahrer hält die ganze Zeit das
Funkgerät fest in der Hand, den Blick wie festgefroren auf die Reifenspuren vor
uns gerichtet. Er fährt diese Strecke ein paar Mal pro Woche, aber hier ist
nichts vorhersehbar, also ist er sichtlich wachsam. Während er das Gelände
scannt, beginnt er zu erzählen, wo oft Straßensperren aufgebaut werden und in
welchen Ruinen Plünderer hausen. Es wimmelt nur so von Waffen unter der
Zivilbevölkerung, und einige versuchen, sich durch das Plündern von Hilfsgütern,
die hereinkommen, ein Einkommen zu verschaffen. Ich denke an die fünf Liter
Shampoo und Seife in meiner Tasche. Sie könnten auf dem Schwarzmarkt teuer
verkauft werden und sind wegen der Knappheit eine lukrative Ware.
Selbstverständlich habe ich vor, sie mit meinen Kolleginnen und Kollegen zu
teilen, aber auch, wenn es nur um meinen eigenen Bedarf ginge, wäre es für mich
schwierig, fünf Wochen ohne Haarwäsche auszukommen. Der Gedanke macht mich
sofort verlegen. Wir fahren in ein aktives Kriegsgebiet, aber es braucht wohl
mehr als Bomben, um die Eitelkeit ganz loszulassen.
27.09.2025 - Tagebuch aus Gaza
Ich habe den Klang des Krieges gehört. Nicht in Form von Bombenexplosionen, sondern als alarmierende, raue Angstschreie traumatisierter Kinder. Schreie, die so durchdringend und schmerzhaft sind, als verkörperten sie das gesamte Leid Gazas. Seit über einem Jahr leben die Kinder in der Angst, zu sterben oder jemanden zu verlieren, den sie lieben. Viele von ihnen waren dem Tod bereits selbst nahe. Dieses Buch handelt von diesen Kindern, aber auch von ihren Familien und den Kolleginnen und Kollegen, die ich traf, als ich im Herbst 2024 und Winter 2025 für Ärzte ohne Grenzen jeweils fünf Wochen als Kinderpsychologin im Nasser-Krankenhaus in Khan Younis im Süden des Gazastreifens arbeitete. Einige von ihnen sind körperlich verletzt, andere nicht – aber sie alle sind Opfer dieses Kriegs.
Ich habe die Kraft der Hoffnung gesehen. Sie zeigt sich in sorgenfreien Momenten des Spiels und des Kinderlachens, in Kolleginnen und Kollegen, die zur Arbeit kommen, obwohl sie ihr Leben riskieren. In Menschen, die das Wenige, das sie noch haben, teilen.
Es begann mit Tagebuchnotizen, doch allmählich wuchs der Gedanke, dass die Welt von dem erfahren muss, was ich gesehen und erlebt habe. Ich möchte zeigen, was der Krieg in der Psyche der Menschen in Gaza anrichtet, unter welchem Stress sie leben, worüber sie sich Sorgen machen und wie sehr sie einander helfen wollen – vor allem dabei, die Hoffnung aufrechtzuerhalten. [...]
Tag 1, Donnerstag, 8. August 2024
Der einzige Weg nach Gaza führt über Israel und den Grenzübergang Kerem Schalom. Unsere Route dorthin geht über Amman in Jordanien, wo ich nach einer siebenstündigen Verspätung in Istanbul und einer langen Nacht auf dem Boden des dortigen Flughafens angekommen bin. Das Bett im Hotel in Amman ist herrlich weich, aber ich kann es nicht lange genießen.
Um vier Uhr klingelt der Wecker, und nach einer Katzenwäsche gehe ich in die Lobby, um die drei Kolleginnen zu treffen, die ebenfalls an diesem Tag nach Gaza reisen. Sie werden in anderen Krankenhäusern arbeiten, aber andere Einsatzkräfte zu treffen, ist fast wie alte Bekannte zu sehen. Wir haben die gleiche Entscheidung getroffen, die Familie zu verlassen, und die gleiche Motivation, hier zu sein. Zusammen brechen wir auf zur zweistündigen Busfahrt zur jordanisch-israelischen Grenze, bevor wir nach der Gepäck- und Passkontrolle durch Israel weiterreisen und den Grenzübergang zum Gazastreifen erreichen. An der Bushaltestelle sieht man Logos großer und kleiner Hilfsorganisationen auf Jacken und Rucksäcken, denn dies ist der Weg für alle, die helfen wollen. Der Mann, der den Transport organisiert, überprüft, dass jeder noch einmal auf die Toilette geht, aber das ist eigentlich völlig unnötig. Wir haben die Anweisungen gelesen, möglichst wenig zu trinken und vorzugsweise nichts zu essen, da die Möglichkeit, unterwegs eine Toilette zu nutzen, bis zur Ankunft am Nachmittag praktisch nicht vorhanden ist.
Das Gefühl, dass wir uns einem Kriegsgebiet nähern, kommt mit aller Macht, als der Bus den letzten Grenzposten verlässt. Ein heftiger Bombenschlag schreckt mich auf, denn ich bin völlig unvorbereitet. Sind wir nicht noch außerhalb des Kriegsgebiets? Es stellt sich heraus, dass dies nicht nur ein Grenzübergang ist, sondern auch ein Abschussgebiet, von dem aus einige von Israels Panzern feuern. Wir können sie nicht sehen, aber es kracht laut, wenn sie ihre Raketen abschießen. Die Mitglieder der Gruppe, die schon mal hier waren, beruhigen uns Neulinge, dass dies völlig ungefährlich sei und wir uns bald daran gewöhnen würden.
Der letzte Stopp vor dem Krieg fühlt sich wie ein Labyrinth mit hohen Betonmauern an. Der Bus schwenkt zu einem offenen Platz mit nicht viel mehr als zwei stinkenden Festival-Toiletten und ein paar jungen Soldaten mit Maschinengewehren über den Schultern. Acht weiße gepanzerte Fahrzeuge mit große UN-Logos sind entlang einer Betonmauer geparkt. Diese Fahrzeuge bringen uns hinein in den Gazastreifen. Was sich hinter diesen Mauern befindet, ist unmöglich zu sehen.
Niemand darf den Bus verlassen, bevor wir den verschiedenen Fahrzeugen zugewiesen worden sind und eine strenge Anweisung erhalten haben, diese nie zu verlassen, es sei denn, wir werden ausdrücklich dazu aufgefordert. Türen müssen stets verriegelt und Fenster geschlossen sein. Niemand sagt, dass dieser Abschnitt der Route gefährlich ist, aber die Stimmung spricht für sich. Diesen Anweisungen folgt man strikt. Ich denke an unsere sechs palästinensischen Kolleginnen und Kollegen, die bis jetzt in diesem Krieg ihr Leben verloren haben. Ganz ungefährlich wird dieser Einsatz nicht sein. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Zum dritten Mal laden wir unsere Taschen aus dem Bus und tragen sie in Richtung der Fahrzeugreihe. In einem gepanzerten Fahrzeug ist nicht viel Platz für Gepäck, aber nach einigem Drücken und Stapeln gelingt es uns, die Heckklappe zu schließen. Die Fahrer überprüfen noch einmal die Listen, wer in welchem Fahrzeug sitzen soll, und melden dies dem Teamleiter, nachdem alle Namen aufgerufen worden sind.
Ich klettere auf den Vordersitz und schließe die schwere Tür. Der Fahrer neben mir legt die schusssichere Weste und den hellblauen UN-Helm an, und damit sind wir bereit zur Abfahrt. Eigentlich hätten auch wir alle Westen tragen sollen, aber der erfahrene Fahrer bemerkt trocken, dass es ohnehin vorbei ist, wenn Sprengstoff durch diese Fahrzeuge dringt. Ich bin mir nicht sicher, ob das beruhigend ist oder nicht, aber ich wiederhole mein Mantra: Ich entscheide mich, daran zu glauben, dass alles gut gehen wird.
Vor der Abfahrt wird noch die Funkverbindung getestet, indem alle acht Fahrzeuge melden, dass sie bereit und dass alle Türen und Fenster geschlossen sind. Erst dann gibt der Fahrer des ersten Fahrzeugs das Startsignal. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Die Kolonne setzt sich langsam in Bewegung. Ein riesiges Eisentor öffnet sich langsam und lässt uns hinaus, vorbei an den hohen Mauern. Draußen gibt es nicht viel zu sehen außer Wüstenlandschaft, und wir passieren mehrere Reihen Stacheldrahtrollen, hohe Zäune und unzählige Kameras. Jetzt sind wir im Gazastreifen. Gleich hinter den vielen Grenzzäunen und Stacheldrahtrollen liegt ein gut bewachtes Lager, in dem die wenigen Hilfsgüter, die hereingelassen werden, umgeladen werden. Es gibt keine Gebäude hier, nur Wellblechdächer über Teilen des Gebiets, wo Mehl und Reis gelagert werden. Die ehemalige Straße ist völlig zerstört, aber die Jeeps schaffen es gut durch den Wüstensand. Wir holpern vor und zurück im Takt der Sandhügel und Bombenruinen, die wir überwinden müssen.
Niemand sagt ein Wort. Ich merke, dass meine Schultern vor Anspannung hochgezogen sind, während ich versuche, das zu verarbeiten, was ich durch die schmutzigen Fenster wahrnehme. Es ist anders als alles, was ich je gesehen habe, und ich kämpfe damit, die Eindrücke zu sortieren und zu verstehen, was ich tatsächlich sehe. Der Ingenieur auf dem Rücksitz ist auf seinem vierten Einsatz und meint, alles schon gesehen zu haben. Er blickt meist auf sein Telefon und wirkt äußerlich völlig ruhig. Ob er innerlich genauso ruhig ist, weiß ich nicht. Gewöhnt man sich jemals wirklich an Krieg?
Wie ein kleiner Zug mit acht Wagen bewegen wir uns langsam durch eine unbekannte, ungewohnte und unwirkliche Landschaft. Ich habe die Verwüstungen gesehen, als ich nach dem großen Erdbeben im Februar 2023 in der Türkei gearbeitet hatte. Dort waren Häuser eingestürzt, Straßen aufgerissen und ganze Städte dem Erdboden gleich. Aber dies hier ist anders. Es ist, als würde man in einen grobkörnigen Schwarz-Weiß-Film eintreten, in dem nichts wiedererkennbar ist. Der Boden hat einen besonderen tiefen, matten Grauton, den ich auf keiner Farbkarte je gesehen habe.
Auf etwa dem ersten Kilometer ist absolut nichts mehr vorhanden. Keine Häuser. Nicht einmal Trümmerhaufen. Alles ist pulverisiert. Keine Pflanzen oder Bäume. Keine Nuancen und keine Bewegung, abgesehen von unseren Fahrzeugen und ein paar Lastwagen mit Soldaten. Es ist nur dunkelgrau und völlig, völlig tot.
Der Fahrer hält die ganze Zeit das Funkgerät fest in der Hand, den Blick wie festgefroren auf die Reifenspuren vor uns gerichtet. Er fährt diese Strecke ein paar Mal pro Woche, aber hier ist nichts vorhersehbar, also ist er sichtlich wachsam. Während er das Gelände scannt, beginnt er zu erzählen, wo oft Straßensperren aufgebaut werden und in welchen Ruinen Plünderer hausen. Es wimmelt nur so von Waffen unter der Zivilbevölkerung, und einige versuchen, sich durch das Plündern von Hilfsgütern, die hereinkommen, ein Einkommen zu verschaffen. Ich denke an die fünf Liter Shampoo und Seife in meiner Tasche. Sie könnten auf dem Schwarzmarkt teuer verkauft werden und sind wegen der Knappheit eine lukrative Ware. Selbstverständlich habe ich vor, sie mit meinen Kolleginnen und Kollegen zu teilen, aber auch, wenn es nur um meinen eigenen Bedarf ginge, wäre es für mich schwierig, fünf Wochen ohne Haarwäsche auszukommen. Der Gedanke macht mich sofort verlegen. Wir fahren in ein aktives Kriegsgebiet, aber es braucht wohl mehr als Bomben, um die Eitelkeit ganz loszulassen.
Autoren von "Tagebuch aus Gaza"
Bücher von Katrin Glatz Brubakk