08.06.2025 - Essen ist Globalisierung: Warum wir Kolumbus die Kartoffel verdanken
Sira Huwiler-Flamm:
Wir alle essen – mal mit Genuss, mal mit schlechtem Gewissen, mal mit
Freunden oder der Familie, mal ganz für uns alleine. Wir kochen mit Stolz unser
erstes eigenes Steinpilzrisotto, freuen uns auch mit 40 Jahren noch, wenn Oma
ihre Pfannkuchen macht und probieren mit Verwunderung die andersartigsten
Geschmäcker der Welt. In zwanzig lebendigen Thesen zeigt
Gesellschafts-Journalistin Sira Huwiler-Flamm in ihrem Buch „Hinter dem
Tellerrand“, dass Essen und die Art und Weise, wie wir es zubereiten, uns erst
zu Menschen gemacht hat. Denn Essen prägt unser Miteinander, bestimmt unser
Zugehörigkeitsgefühl, nährt unsere Seele und hält unseren Körper gesund. Kurz:
Essen ist etwas ganz Besonderes, das viel mehr Respekt verdient hat, als wir ihm
in der Hektik des Alltages manchmal schenken!
Ob Pellkartoffeln mit
Quark, Salzkartoffeln mit Fischfilet oder Kartoffelsalat – oft halten wir
Kartoffeln für ein urdeutsches Grundnahrungsmittel. Sogar den nicht immer ganz
so nett gemeinten Spitznamen »deutsche Kartoffel« hat uns die Knolle eingebracht
(aber dazu später mehr, siehe: Essen ist … Rassismus). Zahlreiche Namen haben
wir für die Bodenfrucht – von Erdapfel im Süden, über Grumbeere im Pfälzischen,
Knolle im Nordosten bis hin zu Duffel im Siegerland. Dem Entdecker Christoph
Kolumbus ist es aber zu verdanken, dass es Kartoffeln in Europa überhaupt gibt.
1492 stach er in See, um den kürzesten Weg nach Indien zu finden. Nach 71 Tagen
war endlich Land in Sicht. Statt Indien erreichte der italienische Seefahrer
unter spanischer Flagge aber die neue Welt – Amerika war entdeckt und damit jede
Menge Baum-, Busch- und Bodenfrüchte, die in Europa noch keiner kannte. Bei
seiner Rückkehr 1493 brachte er zum Beispiel Mais mit nach Europa, rund 40 Jahre
später (um 1539) brachten andere spanische Seefahrer die ersten Kartoffeln mit
über den Atlantik. Anfangs fand die erdige Knolle nicht einmal Anklang. Erst
Friedrich der Große brachte die Kartoffel unters Volk, und zwar mit offiziellen
»Kartoffelbefehlen« – zwischen 1746 und 1768 sind mehr als ein Dutzend
öffentliche Anweisungen dokumentiert. Darin hieß es beispielsweise am 24. März
1756:
»Es ist von uns in höchster Person in unseren anderen Provinzen
die Anpflanzung der sog. Tartoffeln, als ein sehr nützliches und sowohl für
Menschen als Vieh auf sehr viel-fache Weise dienliches Erd-Gewächse, ernstlich
anbefohlen. Da Wir nun bemerkt, dass man sich in Schlesien mit Anziehung dieses
Gewächses nicht sonderlich abgibt; als [darum] habt ihr denen Herrschaften und
Untertanen den Nutzen von Anpflanzungen dieses Erd-Gewächses begreiflich zu
machen, und denselben anzuraten, dass sie noch dieses Frühjahr die Pflanzung der
Tartoffeln, als einer sehr nahrhaften Speise, unternehmen müssen.«
Damit
wollte er Hungersnöten entgegenwirken, die die Bevölkerung zu dieser Zeit nach
Kriegen plagten. Und siehe da: Die Befehle fruchteten und Deutschland wurde
Kartoffelland. Was mit Mais und Kartoffeln begann, wird heute als »Columbian
Exchange« (deutsch: Kolumbus-Austausch oder Kolumbus-Effekt) bezeichnet. Der
US-Historiker Alfred W. Crosby prägte diesen Begriff, der sich in den
1970er-Jahren durchsetzte. Und die Arte-Doku »1492: Der Kolumbus-Effekt« zeigt
diese wechselseitige »Geschichte eines Transfers zwischen zwei Welten«
eindrucksvoll auf: Während im südamerikanischen Reich der Inka bereits vor rund
8000 Jahren mit bloßen Händen Kartoffeln als Züchtung teils giftiger Pflanzen
angebaut, und im heutigen Gebiet des Mississippi vor etwa 1500 Jahren Mais als
Grundnahrungsmittel kultiviert wurde, aßen die Europäer bis zum Columbian
Exchange hauptsächlich Brei und Brot aus Getreide. Laut der Bundeszentrale für
politische Bildung »war das alte Europa arm und bedürftig«. Mit den buntesten
Tropenfrüchten wie Mangos, Papayas, Kakao und Kokosnüssen oder bis dahin
unbekannten Gemüsesorten wie Tomaten, Kürbissen und Chili muss Südamerika für
die Europäer damals wie das wahre Schlaraffenland gewirkt haben. Die Vielfalt
auf europäischen Esstischen nahm seither deutlich zu. Im Gegenzug brachten die
Seefahrer aus Europa aber auch neue kulinarische Vielfalt auf den neu entdeckten
Kontinent. Denn weder Pferde noch Rinder noch Hausschweine oder Schafe gab es
dort ursprünglich. Damit fehlte auf dem Speiseplan der Menschen auf der anderen
Seite des Atlantiks bis zum Exchange nicht nur Fleischvielfalt. Die
Möglichkeiten in der Landwirtschaft waren ohne domestizierte Nutztiere auch
begrenzt. Professor Joachim Radkau, Historiker an der Universität in Bielefeld,
sagt in der Arte-Doku: »Die alte europäische Landwirtschaft beruht auf einer
Kombination von Ackerbau und Viehzucht. Das war bei der Alt-Amerikanischen nicht
der Fall. Und durch diese Kombination […] besaß unsere Landwirtschaft ökologisch
gesehen entscheidende Vorteile.« Durch das Vieh wurden nicht nur die Felder
immer wieder gedüngt und dadurch die Fruchtbarkeit erhalten. Die Landwirtschaft
habe auch ökologische Reserven gebildet – »durch die Notwendigkeit, für das Vieh
immer Weidegründe zu haben«. Der Kolumbus-Effekt brachte also die moderne Form
der Landwirtschaft erst nach Amerika. Acht Schweine soll Kolumbus 1493 mit
an Bord gehabt und so in die Karibik gebracht haben – 20 Jahre später waren
daraus bereits 30 000 Schweine geworden, die erst Kuba, dann die Anden, den
Amazonas und schließlich Nordamerika eroberten. Anfang des 17. Jahrhunderts
kamen dann auch erste Siedler aus Europa nach Amerika, brachten Vieh, Getreide,
Bäume und so-gar bestäubende Honigbienen mit, die ebenfalls aus Europa stammen.
So kam die neue Welt schließlich in den Genuss von Äpfeln, Birnen, Pfirsichen,
Aprikosen, Pflaumen, Feigen und Oliven. Bald durchstreiften riesige Rinderherden
Nord- und Südamerika. Und bereits 1877 transportierte das erste Kühlschiff
gefrorenes Rindfleisch von Argentinien nach Frankreich. Heute sind Kartoffeln
mengenmäßig an fünfter Stelle der deutschen Exportgüter, in Österreich landet
Mais unter den Exportgütern in Tonnen auf Platz drei. Während viele
Lebensmittel heute in vielen Ländern der Welt produziert werden, gibt es auch
Produkte, die überwiegend in einer Region angebaut, geerntet und von dort aus in
die ganze Welt exportiert werden. Ein Beispiel ist Safran: Mindestens 90 Prozent
des teuersten Gewürzes der Welt werden aus dem Iran exportiert. Ein Kilo Safran
kostet 2025 zwischen 3000 und 10.000 Euro, ein Gramm kostet im Einzelhandel
zwischen 5 und 10 Euro. Kein Wunder, dass mittlerweile auch Landwirte in
Österreich, der Schweiz und sogar rund ein Dutzend in Deutschland das »rote
Gold« anbauen. So teuer ist dieses Gewürz, das aus Krokusblüten stammt,
übrigens, weil etwa 150.000 bis 200.000 Blüten von Hand geerntet werden müssen,
um ein Kilo getrocknete Safranfäden zu erhalten. Ein weiteres Beispiel ist die
echte Vanille: Mindestens 60 Prozent der weltweiten Produktion der dunkelbraunen
Schoten wird heute auf Madagaskar angebaut, während das Gewächs ursprünglich aus
Mexiko stammt. Bis vor wenigen Jahren kamen sogar mehr als 80 Prozent der
Vanilleschoten aus Madagaskar. Doch ein schwerer Zyklon sorgte im März 2017 für
eine echte Vanillekrise: Hütten wurden zerstört, 81 Menschen starben und fast
ein Drittel der Ernte wurde vernichtet. Wenige Monate später überstiegen die
Vanillepreise sogar den Preis von Silber: Rund 550 bis 600 US-Dollar kostete
damals ein Kilogramm Vanilleschoten – fünf Jahre zuvor waren es noch rund 20
Dollar pro Kilo. Dieses Beispiel zeigt, dass die monopolartige Konzentration
von Anbaugebieten einen enormen Einfluss auf die Handelspreise weltweit haben
kann.
Autoren von "Essen ist Globalisierung: Warum wir Kolumbus die Kartoffel verdanken"
08.06.2025 - Essen ist Globalisierung: Warum wir Kolumbus die Kartoffel verdanken
Wir alle essen – mal mit Genuss, mal mit schlechtem Gewissen, mal mit Freunden oder der Familie, mal ganz für uns alleine. Wir kochen mit Stolz unser erstes eigenes Steinpilzrisotto, freuen uns auch mit 40 Jahren noch, wenn Oma ihre Pfannkuchen macht und probieren mit Verwunderung die andersartigsten Geschmäcker der Welt. In zwanzig lebendigen Thesen zeigt Gesellschafts-Journalistin Sira Huwiler-Flamm in ihrem Buch „Hinter dem Tellerrand“, dass Essen und die Art und Weise, wie wir es zubereiten, uns erst zu Menschen gemacht hat. Denn Essen prägt unser Miteinander, bestimmt unser Zugehörigkeitsgefühl, nährt unsere Seele und hält unseren Körper gesund. Kurz: Essen ist etwas ganz Besonderes, das viel mehr Respekt verdient hat, als wir ihm in der Hektik des Alltages manchmal schenken!
Ob Pellkartoffeln mit Quark, Salzkartoffeln mit Fischfilet oder Kartoffelsalat – oft halten wir Kartoffeln für ein urdeutsches Grundnahrungsmittel. Sogar den nicht immer ganz so nett gemeinten Spitznamen »deutsche Kartoffel« hat uns die Knolle eingebracht (aber dazu später mehr, siehe: Essen ist … Rassismus). Zahlreiche Namen haben wir für die Bodenfrucht – von Erdapfel im Süden, über Grumbeere im Pfälzischen, Knolle im Nordosten bis hin zu Duffel im Siegerland. Dem Entdecker Christoph Kolumbus ist es aber zu verdanken, dass es Kartoffeln in Europa überhaupt gibt. 1492 stach er in See, um den kürzesten Weg nach Indien zu finden. Nach 71 Tagen war endlich Land in Sicht. Statt Indien erreichte der italienische Seefahrer unter spanischer Flagge aber die neue Welt – Amerika war entdeckt und damit jede Menge Baum-, Busch- und Bodenfrüchte, die in Europa noch keiner kannte. Bei seiner Rückkehr 1493 brachte er zum Beispiel Mais mit nach Europa, rund 40 Jahre später (um 1539) brachten andere spanische Seefahrer die ersten Kartoffeln mit über den Atlantik. Anfangs fand die erdige Knolle nicht einmal Anklang. Erst Friedrich der Große brachte die Kartoffel unters Volk, und zwar mit offiziellen »Kartoffelbefehlen« – zwischen 1746 und 1768 sind mehr als ein Dutzend öffentliche Anweisungen dokumentiert. Darin hieß es beispielsweise am 24. März 1756:
»Es ist von uns in höchster Person in unseren anderen Provinzen die Anpflanzung der sog. Tartoffeln, als ein sehr nützliches und sowohl für Menschen als Vieh auf sehr viel-fache Weise dienliches Erd-Gewächse, ernstlich anbefohlen. Da Wir nun bemerkt, dass man sich in Schlesien mit Anziehung dieses Gewächses nicht sonderlich abgibt; als [darum] habt ihr denen Herrschaften und Untertanen den Nutzen von Anpflanzungen dieses Erd-Gewächses begreiflich zu machen, und denselben anzuraten, dass sie noch dieses Frühjahr die Pflanzung der Tartoffeln, als einer sehr nahrhaften Speise, unternehmen müssen.«
Damit wollte er Hungersnöten entgegenwirken, die die Bevölkerung zu dieser Zeit nach Kriegen plagten. Und siehe da: Die Befehle fruchteten und Deutschland wurde Kartoffelland.
Was mit Mais und Kartoffeln begann, wird heute als »Columbian Exchange« (deutsch: Kolumbus-Austausch oder Kolumbus-Effekt) bezeichnet. Der US-Historiker Alfred W. Crosby prägte diesen Begriff, der sich in den 1970er-Jahren durchsetzte. Und die Arte-Doku »1492: Der Kolumbus-Effekt« zeigt diese wechselseitige »Geschichte eines Transfers zwischen zwei Welten« eindrucksvoll auf: Während im südamerikanischen Reich der Inka bereits vor rund 8000 Jahren mit bloßen Händen Kartoffeln als Züchtung teils giftiger Pflanzen angebaut, und im heutigen Gebiet des Mississippi vor etwa 1500 Jahren Mais als Grundnahrungsmittel kultiviert wurde, aßen die Europäer bis zum Columbian Exchange hauptsächlich Brei und Brot aus Getreide. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung »war das alte Europa arm und bedürftig«. Mit den buntesten Tropenfrüchten wie Mangos, Papayas, Kakao und Kokosnüssen oder bis dahin unbekannten Gemüsesorten wie Tomaten, Kürbissen und Chili muss Südamerika für die Europäer damals wie das wahre Schlaraffenland gewirkt haben. Die Vielfalt auf europäischen Esstischen nahm seither deutlich zu. Im Gegenzug brachten die Seefahrer aus Europa aber auch neue kulinarische Vielfalt auf den neu entdeckten Kontinent. Denn weder Pferde noch Rinder noch Hausschweine oder Schafe gab es dort ursprünglich. Damit fehlte auf dem Speiseplan der Menschen auf der anderen Seite des Atlantiks bis zum Exchange nicht nur Fleischvielfalt. Die Möglichkeiten in der Landwirtschaft waren ohne domestizierte Nutztiere auch begrenzt. Professor Joachim Radkau, Historiker an der Universität in Bielefeld, sagt in der Arte-Doku:
»Die alte europäische Landwirtschaft beruht auf einer Kombination von Ackerbau und Viehzucht. Das war bei der Alt-Amerikanischen nicht der Fall. Und durch diese Kombination […] besaß unsere Landwirtschaft ökologisch gesehen entscheidende Vorteile.«
Durch das Vieh wurden nicht nur die Felder immer wieder gedüngt und dadurch die Fruchtbarkeit erhalten. Die Landwirtschaft habe auch ökologische Reserven gebildet – »durch die Notwendigkeit, für das Vieh immer Weidegründe zu haben«. Der Kolumbus-Effekt brachte also die moderne Form der Landwirtschaft erst nach Amerika.
Acht Schweine soll Kolumbus 1493 mit an Bord gehabt und so in die Karibik gebracht haben – 20 Jahre später waren daraus bereits 30 000 Schweine geworden, die erst Kuba, dann die Anden, den Amazonas und schließlich Nordamerika eroberten. Anfang des 17. Jahrhunderts kamen dann auch erste Siedler aus Europa nach Amerika, brachten Vieh, Getreide, Bäume und so-gar bestäubende Honigbienen mit, die ebenfalls aus Europa stammen. So kam die neue Welt schließlich in den Genuss von Äpfeln, Birnen, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Feigen und Oliven. Bald durchstreiften riesige Rinderherden Nord- und Südamerika. Und bereits 1877 transportierte das erste Kühlschiff gefrorenes Rindfleisch von Argentinien nach Frankreich. Heute sind Kartoffeln mengenmäßig an fünfter Stelle der deutschen Exportgüter, in Österreich landet Mais unter den Exportgütern in Tonnen auf Platz drei.
Während viele Lebensmittel heute in vielen Ländern der Welt produziert werden, gibt es auch Produkte, die überwiegend in einer Region angebaut, geerntet und von dort aus in die ganze Welt exportiert werden. Ein Beispiel ist Safran: Mindestens 90 Prozent des teuersten Gewürzes der Welt werden aus dem Iran exportiert. Ein Kilo Safran kostet 2025 zwischen 3000 und 10.000 Euro, ein Gramm kostet im Einzelhandel zwischen 5 und 10 Euro. Kein Wunder, dass mittlerweile auch Landwirte in Österreich, der Schweiz und sogar rund ein Dutzend in Deutschland das »rote Gold« anbauen. So teuer ist dieses Gewürz, das aus Krokusblüten stammt, übrigens, weil etwa 150.000 bis 200.000 Blüten von Hand geerntet werden müssen, um ein Kilo getrocknete Safranfäden zu erhalten. Ein weiteres Beispiel ist die echte Vanille: Mindestens 60 Prozent der weltweiten Produktion der dunkelbraunen Schoten wird heute auf Madagaskar angebaut, während das Gewächs ursprünglich aus Mexiko stammt. Bis vor wenigen Jahren kamen sogar mehr als 80 Prozent der Vanilleschoten aus Madagaskar. Doch ein schwerer Zyklon sorgte im März 2017 für eine echte Vanillekrise: Hütten wurden zerstört, 81 Menschen starben und fast ein Drittel der Ernte wurde vernichtet. Wenige Monate später überstiegen die Vanillepreise sogar den Preis von Silber: Rund 550 bis 600 US-Dollar kostete damals ein Kilogramm Vanilleschoten – fünf Jahre zuvor waren es noch rund 20 Dollar pro Kilo. Dieses Beispiel zeigt, dass die monopolartige Konzentration von Anbaugebieten einen enormen Einfluss auf die Handelspreise weltweit haben kann.
Autoren von "Essen ist Globalisierung: Warum wir Kolumbus die Kartoffel verdanken"
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