Tagein, tagaus stellt Eldad Stobezki seine Erkundungen an, flaniert mit
Freunden durch die Stadt, lauscht getrieben von Neugier seinem Radio,
durchforstet die Zeitungen und blickt von seinem Balkon auf das Treiben in den
Straßen. Bei alledem stößt er auf Schönes, Kurioses, Anstößiges und Abstoßendes.
Seine Gedanken machen dabei nicht vor der eigenen Haustür halt, sondern
beleuchten auch das Geschehen in Israel, Palästina und anderen Orten der Welt.
Als blitzgescheiter Beobachter des Zeitgeschehens in allen Facetten regt er uns
mit seinem neuen Buch „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“ dazu an,
selbst wieder mit offeneren Augen durchs Leben zu gehen. Ein Auszug.
Ein
Wort hat mich gestern, nach 41 Jahren, zurück in meine ersten Tage in
Deutschland geworfen. Ich kam im Januar 1979 in einer grauen und kalten Stadt
an. Immerhin kein Schnee. Sofort nutzte ich jede Gelegenheit, um meine geliebte
Kirchenmusik zu hören. Anfang Februar sollte ein Chorkonzert in einer Kirche in
einem abgelegenen Viertel stattfinden, in dem hauptsächlich Einwanderer lebten.
Also fuhr ich mit der Straßenbahn und einem Falk-Faltplan unter dem Arm dorthin.
Die große, düstere katholische Kirche war verschlossen. Dort war weit und breit
keine Seele zu sehen. Bis auf ein Mädchen, das ebenfalls auf die Ankündigung für
das Konzert hereingefallen war. Wir gingen um die Kirche herum, aber alle Türen
waren verschlossen. Das Mädchen, ein paar Jahre jünger als ich, erkannte sofort
an meinem Akzent, dass ich aus Israel komme. Wir plauderten ein wenig und sie
schlug vor, dass wir zu Fuß in die Stadt zurückgehen. Sie wollte ihre Mutter
besuchen und lud mich ein, mitzukommen. Daniela, so heißt sie, erzählte mir,
dass sie Jüdin sei. Ihr Vater, der bereits gestorben war, stammte aus Russland
und war ein Holocaust-Überlebender, und ihre Mutter versteckte sich während des
Krieges in Bukarest. Ihre Eltern lernten sich in Israel kennen. Nach einigen
Jahren erkannten sie, dass sie sich dort nicht akklimatisieren würden und
wanderten nach Paris aus. Dort wurde Daniela geboren. Als sie noch klein war,
zogen ihre Eltern nach Frankfurt und eröffneten ein Restaurant. Sie haben hart
gearbeitet und gut verdient. Daniela blieb ein Einzelkind. Kochgerüche lagen in
der Luft, als wir in der Wohnung ihrer Mutter ankamen. Liana war eine elegante
Frau, die mich an die ältlichen Damen erinnerte, die im Café Rowal in Tel Aviv
saßen. Die Atmosphäre war locker, Liana gut gelaunt und sprühend vor Witz.
Natürlich weigerte ich mich nicht, mitzuessen. Liana servierte etwas
Rumänisches. Blumenkohlauflauf. Ihr Deutsch war voller Fehler und hin und wieder
rutschte ihr ein rumänisches Wort heraus. Sie sagte ein paar Mal »Conopidă«.
»Blumenkohl auf Rumänisch«, erklärte Daniela. Später am Abend habe ich auch
gelernt, auf Rumänisch »Wie geht es dir?« zu fragen. Daniela hatte ein
Identitätsproblem. Sie wäre am liebsten Französin gewesen, aber andere
Identitäten klopften an und kämpften um die Vorherrschaft. »Bin ich Rumänin,
Deutsche, Israeli, Jüdin?« Bis heute ist sie wie ein Vogel, der zwischen den
Zweigen eines Baumes hin und her hüpft. Für mich ist es einfacher, ich muss mich
nur zwischen Israel und Deutschland entscheiden. Dank Liana konnte ich die
Juden, die seit Ende des Krieges in Deutschland lebten, besser verstehen. Sie
alle sind Holocaust-Überlebende aus Osteuropa mit Biografien, die ich aus Israel
so nicht kannte. Liana ist vor langer Zeit gestorben. Daniela lebt weiterhin in
derselben Wohnung, die wie eine Palastkulisse aussieht. In den 90er Jahren
begann ich im literarischen Bereich zu arbeiten und lernte viele Menschen
kennen, die vom Schreiben, Lektorat, Verlegen und Buchverkauf lebten. Unter
anderem Dinu Popa, einen Deutschen mit rumänischen Wurzeln, der eine
Buchhandlung führte. Ich prahlte damit, dass ich wüsste, was Blumenkohl auf
Rumänisch heiße. Seitdem ruft er jedes Mal, wenn wir uns bei einer der
literarischen Veranstaltungen treffen, »Conopidă« und verabschiedet sich erst
danach. Gestern traf ich ihn zufällig wieder. »Conopidă« und Gelächter. Bevor
ich einschlief, kam der Blumenkohl zu mir zurück. Auch Liana (möge sie in
Frieden ruhen) ebenso wie die Kälte, die mich hier vor 41 Jahren empfangen hat.
Aber auch die ersten Menschen, die ich kennenlernte, und die versucht haben, mir
den Übergang zu erleichtern, ihre Rücksichtnahme, die tiefe Scham wegen des
Holocausts, auch die ersten Coming-out-Schritte. Blumenkohl gab es damals nur in
Weiß. Heute gibt es Blumenkohl in vielen Farben. Die Menschen, die auf die
Reinheit des Weißen bestehen, haben verloren. Die Welt ist bunt geworden.
26.09.2024 - Rumänischer Blumenkohl
Tagein, tagaus stellt Eldad Stobezki seine Erkundungen an, flaniert mit Freunden durch die Stadt, lauscht getrieben von Neugier seinem Radio, durchforstet die Zeitungen und blickt von seinem Balkon auf das Treiben in den Straßen. Bei alledem stößt er auf Schönes, Kurioses, Anstößiges und Abstoßendes. Seine Gedanken machen dabei nicht vor der eigenen Haustür halt, sondern beleuchten auch das Geschehen in Israel, Palästina und anderen Orten der Welt. Als blitzgescheiter Beobachter des Zeitgeschehens in allen Facetten regt er uns mit seinem neuen Buch „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“ dazu an, selbst wieder mit offeneren Augen durchs Leben zu gehen. Ein Auszug.
Ein Wort hat mich gestern, nach 41 Jahren, zurück in meine ersten Tage in Deutschland geworfen. Ich kam im Januar 1979 in einer grauen und kalten Stadt an. Immerhin kein Schnee. Sofort nutzte ich jede Gelegenheit, um meine geliebte Kirchenmusik zu hören. Anfang Februar sollte ein Chorkonzert in einer Kirche in einem abgelegenen Viertel stattfinden, in dem hauptsächlich Einwanderer lebten. Also fuhr ich mit der Straßenbahn und einem Falk-Faltplan unter dem Arm dorthin. Die große, düstere katholische Kirche war verschlossen. Dort war weit und breit keine Seele zu sehen. Bis auf ein Mädchen, das ebenfalls auf die Ankündigung für das Konzert hereingefallen war. Wir gingen um die Kirche herum, aber alle Türen waren verschlossen. Das Mädchen, ein paar Jahre jünger als ich, erkannte sofort an meinem Akzent, dass ich aus Israel komme. Wir plauderten ein wenig und sie schlug vor, dass wir zu Fuß in die Stadt zurückgehen. Sie wollte ihre Mutter besuchen und lud mich ein, mitzukommen. Daniela, so heißt sie, erzählte mir, dass sie Jüdin sei. Ihr Vater, der bereits gestorben war, stammte aus Russland und war ein Holocaust-Überlebender, und ihre Mutter versteckte sich während des Krieges in Bukarest. Ihre Eltern lernten sich in Israel kennen. Nach einigen Jahren erkannten sie, dass sie sich dort nicht akklimatisieren würden und wanderten nach Paris aus. Dort wurde Daniela geboren. Als sie noch klein war, zogen ihre Eltern nach Frankfurt und eröffneten ein Restaurant. Sie haben hart gearbeitet und gut verdient. Daniela blieb ein Einzelkind. Kochgerüche lagen in der Luft, als wir in der Wohnung ihrer Mutter ankamen. Liana war eine elegante Frau, die mich an die ältlichen Damen erinnerte, die im Café Rowal in Tel Aviv saßen. Die Atmosphäre war locker, Liana gut gelaunt und sprühend vor Witz. Natürlich weigerte ich mich nicht, mitzuessen. Liana servierte etwas Rumänisches. Blumenkohlauflauf. Ihr Deutsch war voller Fehler und hin und wieder rutschte ihr ein rumänisches Wort heraus. Sie sagte ein paar Mal »Conopidă«.
»Blumenkohl auf Rumänisch«, erklärte Daniela.
Später am Abend habe ich auch gelernt, auf Rumänisch »Wie geht es dir?« zu fragen. Daniela hatte ein Identitätsproblem. Sie wäre am liebsten Französin gewesen, aber andere Identitäten klopften an und kämpften um die Vorherrschaft.
»Bin ich Rumänin, Deutsche, Israeli, Jüdin?«
Bis heute ist sie wie ein Vogel, der zwischen den Zweigen eines Baumes hin und her hüpft. Für mich ist es einfacher, ich muss mich nur zwischen Israel und Deutschland entscheiden. Dank Liana konnte ich die Juden, die seit Ende des Krieges in Deutschland lebten, besser verstehen. Sie alle sind Holocaust-Überlebende aus Osteuropa mit Biografien, die ich aus Israel so nicht kannte. Liana ist vor langer Zeit gestorben. Daniela lebt weiterhin in derselben Wohnung, die wie eine Palastkulisse aussieht.
In den 90er Jahren begann ich im literarischen Bereich zu arbeiten und lernte viele Menschen kennen, die vom Schreiben, Lektorat, Verlegen und Buchverkauf lebten. Unter anderem Dinu Popa, einen Deutschen mit rumänischen Wurzeln, der eine Buchhandlung führte. Ich prahlte damit, dass ich wüsste, was Blumenkohl auf Rumänisch heiße. Seitdem ruft er jedes Mal, wenn wir uns bei einer der literarischen Veranstaltungen treffen, »Conopidă« und verabschiedet sich erst danach. Gestern traf ich ihn zufällig wieder. »Conopidă« und Gelächter.
Bevor ich einschlief, kam der Blumenkohl zu mir zurück. Auch Liana (möge sie in Frieden ruhen) ebenso wie die Kälte, die mich hier vor 41 Jahren empfangen hat. Aber auch die ersten Menschen, die ich kennenlernte, und die versucht haben, mir den Übergang zu erleichtern, ihre Rücksichtnahme, die tiefe Scham wegen des Holocausts, auch die ersten Coming-out-Schritte. Blumenkohl gab es damals nur in Weiß. Heute gibt es Blumenkohl in vielen Farben. Die Menschen, die auf die Reinheit des Weißen bestehen, haben verloren.
Die Welt ist bunt geworden.
Autoren von "Rumänischer Blumenkohl"
Bücher von Eldad Stobezki