12.05.2024 - Menotti und Maradona - der Kopf und das Herz des linken Fußballs
Jonas Wollenhaupt:
Fußball ist politisch, das verdeutlichte wohl kaum jemand so deutlich wie die
Trainerlegende César Luis Menotti. In ihrem Buch
„Links kickt besser“ zeigen
Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt, dass der Fußball schon immer von einer
politischen Dialektik geprägt war: einerseits nationalistisch, militaristisch
und kommerziell, andererseits aber auch international, progressiv und kreativ.
Für welchen Fußball Menotti stand, ist klar – zu dessen Tod erinnert Jonas
Wollenhaupt daran.
César Luis Menotti liebte den Fußball, vielleicht sogar
etwas mehr als das Ergebnis. Sieg, Niederlage oder Unentschieden waren wichtig,
aber nicht so wichtig wie die Eleganz des Spiels. Fußball gab mir »die
Möglichkeit, mich auszudrücken«, sagte er und machte damit deutlich, dass es für
ihn keinen großen Unterschied zwischen dem Leben und dem Fußball gibt. Ja,
vielleicht war für ihn im Fußball sogar ein bisschen mehr vom Leben: »Fußball
ist ein Spiel der Freiheit, der Visionen und der Gefühle. Fußball macht mich
glücklich. Wenn ich auf ein Fußballfeld komme und da liegt ein Ball, dann will
ich damit spielen. Das Stadion ist ein Ort der Kreativität.«
Dass im Fußball manchmal mehr vom Leben steckt als im
Leben selbst, war so schön wie bedrohlich. Gerade als der Neoliberalismus ihn
für sich einnehmen konnte. Von da an hatte er auch unsere Träume und das
kreative Spiel einer Verwertungslogik untergeordnet, wie Menotti bemerkte: »Die
Welt der Utopien ist gestorben. Wir leben in einer Nützlichkeitsgesellschaft, in
der der Fußball zur Welt der großen Geschäfte verdammt ist. In der Dritten Welt
nimmt man den Menschen das Brot, in den Industrieländern stiehlt man ihnen die
Träume.«
Menotti war immer ein bekennender Linker, auch unter
der Militärdiktatur von General Jorge Rafael Videla, dem er der Legende nach
sogar den Handschlag verweigerte. Nicht nur neben, sondern auch auf dem Platz
lebte Menotti seine Philosophie. »Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik
und den Terror der Systeme besiegt«, sagte er nach dem WM-Sieg 1978. Politik und
Fußball verschmolzen unter Menotti. Es gab keinen Fußball ohne Politik und keine
Politik ohne Fußball.
Menotti hat den linken künstlerischen Fußball der
siebziger Jahre zur Theorie erhoben: »Beim linken Fußball spielen wir nicht nur,
um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest
zu erleben, um als Menschen zu wachsen.« Denn »beim rechten Fußball geht es um
Gewinnmaximierung, beim linken um die Vermittlung von Lebensfreude«. Das mag aus
heutiger Sicht etwas naiv klingen. Andererseits zeigen die Proteste der Fan- und
Ultraszenen das Unbehagen am heutigen Fußball. Und wer selbst einmal auf dem
Bolzplatz gestanden hat, der weiß, was Lebensfreude durch Fußball sein kann. Und
vielleicht ist der linke Fußball nicht der erfolgreichste, aber er ist der
bessere.
Kaum jemand hat den Fußball so politisch, poetisch und
philosophisch wahrgenommen wie Menotti. Er war der Kopf des linken Fußballs. Und
dann war da noch »El Pibe de Oro« (Der Goldjunge). Der
imaginäre Gottessohn des linken Fußballs: Diego Armando Maradona.
Das Herz des linken Fußballs. Menotti gab philosophisch vor, was Maradona auf
dem Platz umsetzte. Bei Menottis größtem Erfolg, dem Weltmeistertitel 1978, war
Maradona noch nicht dabei, obwohl er als 16-Jähriger unter Menotti debütiert
hatte.
Mit linker Theorie konnte Maradona nicht viel anfangen,
auch wenn er Che Guevara und Fidel Castro verehrte. Aber er spielte so, wie
Menotti es immer wollte. Minimale Ordnung, maximale Freiheit und Entfaltung. Wer
sich Maradonas fußballerischen Kunstwerke bei youtube anschaut, spürt die
»Sehnsucht nach dem ganz Anderen« (Horkheimer). Er erlebt einen emotionalen
Cocktail aus Autonomie, Beherrschung, Allmacht und Befreiung. Für einen kurzen
Moment scheint eine andere Fußballpraxis möglich, ein Fußball außerhalb der
total verwalteten Fußballwelt von Taktiken und Systemen. Und wenn die
Fußballkunst in diesen Momenten einen anderen Fußball denkbar macht, dann macht
sie auch eine andere Welt denkbar. Nirgendwo spürt man das so sehr wie bei
Maradona.
Wenn es einen Hinweis auf einen Gott gibt, den man als
Linker vielleicht doch ernst nehmen sollte, dann ist es das Spiel und die
Lebensfreude von Diego Maradona. Und wenn es diesen Gott gibt, dann jongliert
Maradona irgendwo gerade den Ball zu »Live is Life«
(https://www.youtube.com/watch?v=RU2J4057cZw). Diesmal zusammen mit César Luis
Menotti.
Autoren von "Menotti und Maradona - der Kopf und das Herz des linken Fußballs"
12.05.2024 - Menotti und Maradona - der Kopf und das Herz des linken Fußballs
Fußball ist politisch, das verdeutlichte wohl kaum jemand so deutlich wie die Trainerlegende César Luis Menotti. In ihrem Buch „Links kickt besser“ zeigen Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt, dass der Fußball schon immer von einer politischen Dialektik geprägt war: einerseits nationalistisch, militaristisch und kommerziell, andererseits aber auch international, progressiv und kreativ. Für welchen Fußball Menotti stand, ist klar – zu dessen Tod erinnert Jonas Wollenhaupt daran.
César Luis Menotti liebte den Fußball, vielleicht sogar etwas mehr als das Ergebnis. Sieg, Niederlage oder Unentschieden waren wichtig, aber nicht so wichtig wie die Eleganz des Spiels. Fußball gab mir »die Möglichkeit, mich auszudrücken«, sagte er und machte damit deutlich, dass es für ihn keinen großen Unterschied zwischen dem Leben und dem Fußball gibt. Ja, vielleicht war für ihn im Fußball sogar ein bisschen mehr vom Leben: »Fußball ist ein Spiel der Freiheit, der Visionen und der Gefühle. Fußball macht mich glücklich. Wenn ich auf ein Fußballfeld komme und da liegt ein Ball, dann will ich damit spielen. Das Stadion ist ein Ort der Kreativität.«
Dass im Fußball manchmal mehr vom Leben steckt als im Leben selbst, war so schön wie bedrohlich. Gerade als der Neoliberalismus ihn für sich einnehmen konnte. Von da an hatte er auch unsere Träume und das kreative Spiel einer Verwertungslogik untergeordnet, wie Menotti bemerkte: »Die Welt der Utopien ist gestorben. Wir leben in einer Nützlichkeitsgesellschaft, in der der Fußball zur Welt der großen Geschäfte verdammt ist. In der Dritten Welt nimmt man den Menschen das Brot, in den Industrieländern stiehlt man ihnen die Träume.«
Menotti war immer ein bekennender Linker, auch unter der Militärdiktatur von General Jorge Rafael Videla, dem er der Legende nach sogar den Handschlag verweigerte. Nicht nur neben, sondern auch auf dem Platz lebte Menotti seine Philosophie. »Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt«, sagte er nach dem WM-Sieg 1978. Politik und Fußball verschmolzen unter Menotti. Es gab keinen Fußball ohne Politik und keine Politik ohne Fußball.
Menotti hat den linken künstlerischen Fußball der siebziger Jahre zur Theorie erhoben: »Beim linken Fußball spielen wir nicht nur, um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben, um als Menschen zu wachsen.« Denn »beim rechten Fußball geht es um Gewinnmaximierung, beim linken um die Vermittlung von Lebensfreude«. Das mag aus heutiger Sicht etwas naiv klingen. Andererseits zeigen die Proteste der Fan- und Ultraszenen das Unbehagen am heutigen Fußball. Und wer selbst einmal auf dem Bolzplatz gestanden hat, der weiß, was Lebensfreude durch Fußball sein kann. Und vielleicht ist der linke Fußball nicht der erfolgreichste, aber er ist der bessere.
Kaum jemand hat den Fußball so politisch, poetisch und philosophisch wahrgenommen wie Menotti. Er war der Kopf des linken Fußballs. Und dann war da noch »El Pibe de Oro« (Der Goldjunge). Der imaginäre Gottessohn des linken Fußballs: Diego Armando Maradona. Das Herz des linken Fußballs. Menotti gab philosophisch vor, was Maradona auf dem Platz umsetzte. Bei Menottis größtem Erfolg, dem Weltmeistertitel 1978, war Maradona noch nicht dabei, obwohl er als 16-Jähriger unter Menotti debütiert hatte.
Mit linker Theorie konnte Maradona nicht viel anfangen, auch wenn er Che Guevara und Fidel Castro verehrte. Aber er spielte so, wie Menotti es immer wollte. Minimale Ordnung, maximale Freiheit und Entfaltung. Wer sich Maradonas fußballerischen Kunstwerke bei youtube anschaut, spürt die »Sehnsucht nach dem ganz Anderen« (Horkheimer). Er erlebt einen emotionalen Cocktail aus Autonomie, Beherrschung, Allmacht und Befreiung. Für einen kurzen Moment scheint eine andere Fußballpraxis möglich, ein Fußball außerhalb der total verwalteten Fußballwelt von Taktiken und Systemen. Und wenn die Fußballkunst in diesen Momenten einen anderen Fußball denkbar macht, dann macht sie auch eine andere Welt denkbar. Nirgendwo spürt man das so sehr wie bei Maradona.
Wenn es einen Hinweis auf einen Gott gibt, den man als Linker vielleicht doch ernst nehmen sollte, dann ist es das Spiel und die Lebensfreude von Diego Maradona. Und wenn es diesen Gott gibt, dann jongliert Maradona irgendwo gerade den Ball zu »Live is Life« (https://www.youtube.com/watch?v=RU2J4057cZw). Diesmal zusammen mit César Luis Menotti.
Autoren von "Menotti und Maradona - der Kopf und das Herz des linken Fußballs"
Bücher von Jonas Wollenhaupt