25.02.2024 - Friedenssicherung beginnt in den Köpfen
Heinz Klippert:
Pazifistisches Denken gilt als veraltet, wenn nicht gar als naiv und unmoralisch, wie die jüngst bemühte, skandalöse Vokabel des „Lumpenpazifismus“ bezeugt. Populär ist dagegen eine neue politische Entschlossenheit, die den Krieg als Mittel der Friedenssicherung verklärt. Heinz Klippert plädiert für einen reflektierten Pazifismus, der Waffeneinsätze zwar nicht ausschließt, wohl aber dem sensiblen Hinterfragen, Verstehen und Deeskalieren internationaler Konflikte die absolute Priorität zuweist. Sein aktuelles Buch „Frieden sichern!“ richtet sich an alle, die der Alternativlosigkeit politischer und militärischer Konfrontation widersprechen und pazifistische Denkweisen retten möchten. Ein Kommentar.
Die aktuellen Kriege in der Ukraine und in Gaza/Israel werfen einmal mehr die Frage auf, wie denn derartige ruinöse Kampfhandlungen vermieden bzw. gestoppt werden können. Diese Frage richtet sich nicht nur an Politiker, Militärs, Geheimdienstler, Friedensforscher oder sonstige Strategieplaner, sondern auch und nicht zuletzt an die Bevölkerung insgesamt. Warum? Weil Kriege in der Regel nur dann geführt werden können, wenn weite Teile der Bevölkerung stimmungsmäßig mitspielen und hinreichend Hass, Vorurteile, Panik und sonstige Aversionen und Feindbilder entwickelt haben. Dann nämlich können Politiker und Militärs relativ risikolos eskalieren. Das aber heißt im Umkehrschluss, dass Friedenssicherung letztlich nur dann gelingen kann, wenn die bestehende Kriegsstimmung im Volk abgebaut und eine möglichst ausgeprägte Kriegsskepsis in die Köpfe der Menschen Einzug hält.
Probate Mittel dazu sind Aufklärung, Reflexion, politischer Perspektivenwechsel, Vertrauensbildung und andere Formen der kritischen Auseinandersetzung. Doch nicht nur das. „Mentale Abrüstung“ erfordert auch und zugleich den möglichst wirksamen Abbau bestehender Vorurteile, Aversionen, Ängste, Hassgefühle, Überlegenheitsphantasien, Missverständnisse und sonstiger mentaler und emotionaler Feindhaltungen. Das verlangt Umlernen und Verlernen mit dem Ziel, überzogene Feindbilder zurechtzurücken. Andernfalls ist es um die Chancen der Deeskalation, Versöhnung und gewaltfreien Friedenssicherung eher schlecht bestellt. Wie schwierig diese friedensstiftende Mäßigung in der Realität oft ist, lässt sich derzeit prototypisch in der Ukraine und in Gaza beobachten. Dort haben sich die Fronten zwischen den Kriegsparteien infolge des wechselseitigen Terrors und der hasssteigernden Propaganda mittlerweile derart verhärtet, dass kaum noch jemand die Notwendigkeit dieser Kriege infrage stellt. Gnadenlose Zerstörungen und Tötungsorgien scheinen gleichsam alternativlos.
Das Dilemma bei dieser mentalen und emotionalen Stimmungsmache und Hasserzeugung ist nur, dass es mit zunehmender Kriegsdauer immer schwerer wird, auf ernsthafte Waffenstillstands- bzw. Friedensverhandlungen umzuschalten. Die Gewaltspirale dreht sich immer weiter – es sei denn, das kriegsbejahende mentale Skript in den Köpfen der Menschen ändert sich. Dazu aber braucht es vor allem eines: die Einsicht, dass Kriege letztlich allen schaden, nur höchst selten Frieden bringen und in aller Regel nicht nur einen, sondern meist mehrere Verursacher haben, zu denen womöglich auch die politischen Eliten im eigenen Lager gehören. Dieses differenzierte Hinterfragen, Problematisieren und Reflektieren bestehender Konflikte, Kriegsbegründungen und sonstiger destruktionsfördernder Narrative in der Gesellschaft stehen im Mittelpunkt des angeführten Buches und eröffnen die Chance, dass sich ein Mehr an Vernunft und Friedenswillen entwickelt.
Leider finden diese mentalen und emotionalen Wurzeln der Kriegstreiberei bislang eher wenig Beachtung. Das ist deshalb gefährlich, weil eine einmal entfachte Kriegsstimmung Gefahr läuft, dass die infizierten Kriegsbefürworter das Gefühl bekommen, den militärischen Eskalationspfad nicht mehr verlassen zu dürfen bzw. zu können. Also wird die Gewaltspirale weiter gedreht. In Israel und in der Ukraine lässt sich dieses Phänomen derzeit recht gut beobachten. Soll dieser mentale und emotionale Teufelskreis durchbrochen werden, so ist es unabdingbar vonnöten, dass die bestehende Kriegsakzeptanz in der Bevölkerung gekappt und ein Mehr an Kriegsskepsis bzw. Kriegsresistenz kultiviert wird. Dazu braucht es besagte Reflexionen und Perspektivenwechsel, Hintergrundanalysen und Kriegsfolgenbetrachtungen, kritische Faktenchecks und Konfliktlösungsüberlegungen, Selbstkritik und Feindkritik, Friedenswillen und Versöhnungsbereitschaft. Dass es um diese pazifistischen Haltungen und Handlungen zurzeit nicht gerade zum Besten bestellt ist, bestätigen einige neuere Meinungsumfragen zu den Komplexen Aufrüstung, Waffenexporte in Krisengebiete, Wirtschaftssanktionen und Kriegsertüchtigung der Bevölkerung (vgl. das angeführte Buch, S. 74 ff).
Sprachen sich bis vor wenigen Jahren noch die allermeisten Bundesbürger gegen Militäreinsätze, Aufrüstung und Waffenlieferungen in Krisengebiete aus, so hat sich dieses Stimmungsbild spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs entscheidend geändert. Waffenlieferungen in Krisengebiete wie die Ukraine, Saudi-Arabien, Israel, Katar oder Ägypten finden inzwischen erstaunlich breite Zustimmung - selbst wenn sie den deutschen Sicherheitsinteressen, Menschenrechtsvorstellungen und außenpolitischen Grundsatzerklärungen zuwiderlaufen. Dieser irritierende Stimmungsschwenk in der Bevölkerung ist natürlich Wasser auf die Mühlen vieler rüstungsaffiner Hardliner in den Parteien, Parlamenten und Leitmedien, die schon länger für eine nachdrückliche „Kriegsertüchtigung“ der Deutschen plädieren. Dass deren Kalkül derzeit aufgeht, zeigt zum einen das relativ geräuschlose Verabschieden eines 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramms zur Modernisierung und Aufstockung der Bundeswehr im Frühjahr/Sommer 2022 sowie zweitens die kaum problematisierte Ankündigung von Verteidigungsminister Pistorius Anfang Oktober 2023, dass die Deutschen „wieder kriegstüchtig“ werden müssen. Eine wahrlich unselige Formulierung!
Soll dieser neue bellizistische Zeitgeist korrigiert und die Idee einer gewaltfreien Völkerverständigung wiederbelebt werden, so spricht vieles für die erwähnte „mentale und emotionale Abrüstung“ in den Köpfen von Politiker/innen, Medienschaffenden und „Normalbürger/innen“. Fehlt diese reflektierte Kriegsskepsis, Gewaltverneinung und Friedenssuche, so ist die Gefahr groß, dass vorschnell auf Konfrontation und Waffengänge gesetzt wird und mögliche Deeskalationsmaßnahmen und Verhandlungsoptionen erst gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Dieser Trend ist derzeit leider wieder stark im Kommen und wird von nicht wenigen als Ausweis von Stärke und Unerbittlichkeit bewundert. Soll dieser leichtfertigen Kriegstreiberei wirksam begegnet werden, so braucht es unbedingt entsprechende Reflexions- und Klärungsprozesse in Medien, Schulen, Universitäten, Parteien, Parlamenten, Akademien und sonstigen Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die den Boden für die von Emanuel Kant angemahnte „Vernunft“ bereiten und ein friedensethisches und friedenspolitisches Umdenken bewirken. Wie gesagt: Friedenssicherung muss in den Köpfen der Menschen beginnen. Das angezeigte Buch beleuchtet die Hintergründe und Implikationen dieser Strategie.
Autoren von "Friedenssicherung beginnt in den Köpfen"
25.02.2024 - Friedenssicherung beginnt in den Köpfen
Pazifistisches Denken gilt als veraltet, wenn nicht gar als naiv und unmoralisch, wie die jüngst bemühte, skandalöse Vokabel des „Lumpenpazifismus“ bezeugt. Populär ist dagegen eine neue politische Entschlossenheit, die den Krieg als Mittel der Friedenssicherung verklärt. Heinz Klippert plädiert für einen reflektierten Pazifismus, der Waffeneinsätze zwar nicht ausschließt, wohl aber dem sensiblen Hinterfragen, Verstehen und Deeskalieren internationaler Konflikte die absolute Priorität zuweist. Sein aktuelles Buch „Frieden sichern!“ richtet sich an alle, die der Alternativlosigkeit politischer und militärischer Konfrontation widersprechen und pazifistische Denkweisen retten möchten. Ein Kommentar.
Die aktuellen Kriege in der Ukraine und in Gaza/Israel werfen einmal mehr die Frage auf, wie denn derartige ruinöse Kampfhandlungen vermieden bzw. gestoppt werden können. Diese Frage richtet sich nicht nur an Politiker, Militärs, Geheimdienstler, Friedensforscher oder sonstige Strategieplaner, sondern auch und nicht zuletzt an die Bevölkerung insgesamt. Warum? Weil Kriege in der Regel nur dann geführt werden können, wenn weite Teile der Bevölkerung stimmungsmäßig mitspielen und hinreichend Hass, Vorurteile, Panik und sonstige Aversionen und Feindbilder entwickelt haben. Dann nämlich können Politiker und Militärs relativ risikolos eskalieren. Das aber heißt im Umkehrschluss, dass Friedenssicherung letztlich nur dann gelingen kann, wenn die bestehende Kriegsstimmung im Volk abgebaut und eine möglichst ausgeprägte Kriegsskepsis in die Köpfe der Menschen Einzug hält.
Probate Mittel dazu sind Aufklärung, Reflexion, politischer Perspektivenwechsel, Vertrauensbildung und andere Formen der kritischen Auseinandersetzung. Doch nicht nur das. „Mentale Abrüstung“ erfordert auch und zugleich den möglichst wirksamen Abbau bestehender Vorurteile, Aversionen, Ängste, Hassgefühle, Überlegenheitsphantasien, Missverständnisse und sonstiger mentaler und emotionaler Feindhaltungen. Das verlangt Umlernen und Verlernen mit dem Ziel, überzogene Feindbilder zurechtzurücken. Andernfalls ist es um die Chancen der Deeskalation, Versöhnung und gewaltfreien Friedenssicherung eher schlecht bestellt. Wie schwierig diese friedensstiftende Mäßigung in der Realität oft ist, lässt sich derzeit prototypisch in der Ukraine und in Gaza beobachten. Dort haben sich die Fronten zwischen den Kriegsparteien infolge des wechselseitigen Terrors und der hasssteigernden Propaganda mittlerweile derart verhärtet, dass kaum noch jemand die Notwendigkeit dieser Kriege infrage stellt. Gnadenlose Zerstörungen und Tötungsorgien scheinen gleichsam alternativlos.
Das Dilemma bei dieser mentalen und emotionalen Stimmungsmache und Hasserzeugung ist nur, dass es mit zunehmender Kriegsdauer immer schwerer wird, auf ernsthafte Waffenstillstands- bzw. Friedensverhandlungen umzuschalten. Die Gewaltspirale dreht sich immer weiter – es sei denn, das kriegsbejahende mentale Skript in den Köpfen der Menschen ändert sich. Dazu aber braucht es vor allem eines: die Einsicht, dass Kriege letztlich allen schaden, nur höchst selten Frieden bringen und in aller Regel nicht nur einen, sondern meist mehrere Verursacher haben, zu denen womöglich auch die politischen Eliten im eigenen Lager gehören. Dieses differenzierte Hinterfragen, Problematisieren und Reflektieren bestehender Konflikte, Kriegsbegründungen und sonstiger destruktionsfördernder Narrative in der Gesellschaft stehen im Mittelpunkt des angeführten Buches und eröffnen die Chance, dass sich ein Mehr an Vernunft und Friedenswillen entwickelt.
Leider finden diese mentalen und emotionalen Wurzeln der Kriegstreiberei bislang eher wenig Beachtung. Das ist deshalb gefährlich, weil eine einmal entfachte Kriegsstimmung Gefahr läuft, dass die infizierten Kriegsbefürworter das Gefühl bekommen, den militärischen Eskalationspfad nicht mehr verlassen zu dürfen bzw. zu können. Also wird die Gewaltspirale weiter gedreht. In Israel und in der Ukraine lässt sich dieses Phänomen derzeit recht gut beobachten. Soll dieser mentale und emotionale Teufelskreis durchbrochen werden, so ist es unabdingbar vonnöten, dass die bestehende Kriegsakzeptanz in der Bevölkerung gekappt und ein Mehr an Kriegsskepsis bzw. Kriegsresistenz kultiviert wird. Dazu braucht es besagte Reflexionen und Perspektivenwechsel, Hintergrundanalysen und Kriegsfolgenbetrachtungen, kritische Faktenchecks und Konfliktlösungsüberlegungen, Selbstkritik und Feindkritik, Friedenswillen und Versöhnungsbereitschaft. Dass es um diese pazifistischen Haltungen und Handlungen zurzeit nicht gerade zum Besten bestellt ist, bestätigen einige neuere Meinungsumfragen zu den Komplexen Aufrüstung, Waffenexporte in Krisengebiete, Wirtschaftssanktionen und Kriegsertüchtigung der Bevölkerung (vgl. das angeführte Buch, S. 74 ff).
Sprachen sich bis vor wenigen Jahren noch die allermeisten Bundesbürger gegen Militäreinsätze, Aufrüstung und Waffenlieferungen in Krisengebiete aus, so hat sich dieses Stimmungsbild spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs entscheidend geändert. Waffenlieferungen in Krisengebiete wie die Ukraine, Saudi-Arabien, Israel, Katar oder Ägypten finden inzwischen erstaunlich breite Zustimmung - selbst wenn sie den deutschen Sicherheitsinteressen, Menschenrechtsvorstellungen und außenpolitischen Grundsatzerklärungen zuwiderlaufen. Dieser irritierende Stimmungsschwenk in der Bevölkerung ist natürlich Wasser auf die Mühlen vieler rüstungsaffiner Hardliner in den Parteien, Parlamenten und Leitmedien, die schon länger für eine nachdrückliche „Kriegsertüchtigung“ der Deutschen plädieren. Dass deren Kalkül derzeit aufgeht, zeigt zum einen das relativ geräuschlose Verabschieden eines 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramms zur Modernisierung und Aufstockung der Bundeswehr im Frühjahr/Sommer 2022 sowie zweitens die kaum problematisierte Ankündigung von Verteidigungsminister Pistorius Anfang Oktober 2023, dass die Deutschen „wieder kriegstüchtig“ werden müssen. Eine wahrlich unselige Formulierung!
Soll dieser neue bellizistische Zeitgeist korrigiert und die Idee einer gewaltfreien Völkerverständigung wiederbelebt werden, so spricht vieles für die erwähnte „mentale und emotionale Abrüstung“ in den Köpfen von Politiker/innen, Medienschaffenden und „Normalbürger/innen“. Fehlt diese reflektierte Kriegsskepsis, Gewaltverneinung und Friedenssuche, so ist die Gefahr groß, dass vorschnell auf Konfrontation und Waffengänge gesetzt wird und mögliche Deeskalationsmaßnahmen und Verhandlungsoptionen erst gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Dieser Trend ist derzeit leider wieder stark im Kommen und wird von nicht wenigen als Ausweis von Stärke und Unerbittlichkeit bewundert. Soll dieser leichtfertigen Kriegstreiberei wirksam begegnet werden, so braucht es unbedingt entsprechende Reflexions- und Klärungsprozesse in Medien, Schulen, Universitäten, Parteien, Parlamenten, Akademien und sonstigen Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die den Boden für die von Emanuel Kant angemahnte „Vernunft“ bereiten und ein friedensethisches und friedenspolitisches Umdenken bewirken. Wie gesagt: Friedenssicherung muss in den Köpfen der Menschen beginnen. Das angezeigte Buch beleuchtet die Hintergründe und Implikationen dieser Strategie.
Autoren von "Friedenssicherung beginnt in den Köpfen"
Bücher von Heinz Klippert