25.08.2025 - Verstehen. Kein Verständnis - Dialog mit Rüdiger Safranski
Dominik von Ribbentrop:
Wie denken Autokraten? Wie kommt das Böse in die Welt? Wiederholt sich
Geschichte, und wenn ja, wie? In seinem Buch "Verstehen. Kein Verständnis" spürt
der Enkel des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop den zeitlosen
Wechselwirkungen nach, die das Denken und Wirken von Individuen, aber auch von
Gruppen, Gesellschaften und Nationen, bestimmen. Es ist eine historische,
soziologische auch philosophische Reise durch die Jahre von 1918 bis 1945, wobei
sich interessante Parallelen zu den heutigen Vorgängen in Deutschland, Europa
und der Welt auftun. Das Ende der Weimarer Demokratie und der Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges scheinen weit entfernt und Teil der Vergangenheit – doch
dieselben Dynamiken sind auch heute präsent und wirkmächtig, weltweit. 80 Jahre
später betrachtet Dominik von Ribbentrop, immer geleitet von der Frage „Wie
konnte das passieren?“, das Leben seines Großvaters und durchreist dabei die
Wirbelstürme der damaligen Ideologien und der Kämpfe um Vorherrschaften, um am
Ende seine Erkenntnisse und Anmerkungen zu formulieren. Ein Auszug aus dem
Dialog mit Rüdiger Safranski, der in ganzer Länge ebenfalls im Buch enthalten
ist.
Rüdiger Safranski: Ja, in der Tat, das ist zutreffend. Aber ich denke schon,
dass wir heute als Gesellschaft doch viel gefestigter sind, auch wenn es jetzt
tatsächlich einige Parallelen gibt.
Dominik von Ribbentrop: Das wäre wünschenswert. Ich fürchte allerdings,
das Eis ist ziemlich dünn, auf dem die Zivilisationen, also nicht nur in
Deutschland, sich bewegen. Die anerzogenen gutbürgerlichen Verhaltenscodes
weichen überraschend schnell primitiveren Reptilieninstinkten, wenn die Angst
vor Verarmung Überhand gewinnt. Dies führt zu einer Emotionalisierung im
Miteinander, was heute ihren Ausdruck in der Empörung, in der Überreaktion
findet. Man sucht immer weniger das Gespräch zur Lösung eines Themas. Die
Tendenz heute ist es wieder, absolut recht in seiner selbst gebauten Wahrheit zu
haben. Die Grautöne verschwinden. So auch Ende der 1920er-Jahre, als eine
rasante Polarisierung stattfand und aus Wutbürgern ziemlich schnell Wutwürger
wurden. Die Politik hatte die Menschen verloren und diese begannen, aufeinander
einzuschlagen, und sehnten sich nach einem autoritären Erlöser. Sind wir da
heute? Nein, sicherlich nicht. Aber wir befinden uns auf einer ungünstigen
Entwicklungsebene, die auch irgendwann einen Kipppunkt erreichen kann.
Safranski: Haben Sie auf internationaler Ebene auch Parallelen ausgemacht?
Ribbentrop: Auf internationaler Ebene sehe ich heute einen ähnlichen
Bedeutungsverlust der UN wie der des Völkerbundes in den 1920er-Jahren. Die
guten Absichten sind zwar da. Aber wenn Länder nicht mehr mitmachen, dann bleibt
es ohne Konsequenzen. Nicht mehr Ausgleich und Gespräch und Wertschätzung haben
Priorität, sondern Projektionen, Mutmaßungen und Rüstung. Wie in den
1930er-Jahren. Auch die Vorwürfe damals und heute sind ähnlich: Die UN, damals
der Völkerbund, sind ein Herrschaftsinstrument zur Durchsetzung westlicher
Interessen, damals der Interessen Großbritanniens und Frankreichs, heute der
Vereinigten Staaten und des Westens. Oder anders formuliert: Die UN läuft
Gefahr, eine Schönwetterorganisation zu sein, die am Ende des Tages nichts
ausrichten kann, wenn einzelne Länder egoistisch handeln. In Schönwetterphasen
kann ein regel- und moralbasiertes Weltparlament funktionieren. Dies ändert sich
aber schnell, so heute wie damals, wenn sich nur ein Land benachteiligt fühlt
und meint, nur durch militärische Macht ernst genommen zu werden. Wie damals
erleben wir heute den Übergang von einer regelbasierten Weltorganisation zu
einer machtbasierten Nationalpolitik. Wie erklären Sie sich die große
Popularität Hitlers und seine Erfolge?
Safranski: Ja, wie war das denn überhaupt möglich, so große Teile des Volkes
zu gewinnen? Dieser Partei ist es aufgrund einer krisenhaften Situation
gelungen, große Massen hinter sich zu versammeln. Ja, wahrscheinlich muss man da
in den sauren Apfel der Einsicht beißen, dass es in der Krisensituation für
große Teile attraktiver war, ein neues Gemeinschaftsgefühl zu erleben als die
demokratischen Wahlprozeduren. Ein heißes Gemeinschaftserlebnis hat ein
stärkeres Gewicht als alle vier Jahre zur Wahl zu gehen. Vor 1933 waren die
Wahlen ja noch etwas häufiger, weil das Parlament immer wieder aufgelöst wurde.
Ich würde die These aufstellen, das in dem Moment, wo die Religionen an
Bindekraft verlieren, eine Sehnsucht nach Sinn und Gemeinschaft entsteht. Und
die Parteienwirtschaft der Weimarer Zeit konnte diese Sehnsucht nach Sinn und
Gemeinschaft nicht befriedigen. Die Nazis boten dann diese quasi religiöse
Gemeinschaft mit allen entsprechenden Ritualen an. Die Nazis also wirkten bei
vielen als Religionsersatz. Die Nazis, selbst eine Massenbewegung, mobilisierten
die Ängste vor der anonymen Massengesellschaft der Moderne. Gemeinschaft gegen
Gesellschaft. Das ist der Hintergrund für den gigantischen Erfolg des
Nationalsozialismus. Er war, man kann es auch so sagen, eine antipolitische
Politik. Man wollte nicht mehr dieses politische Geschäft, das verachteten die
Leute. Nein, ein anderer Geist musste her. Und diese Bedürfnisse befriedigten
die Nazis, sie spendeten die Wärme der Herde.
Ribbentrop: Die Brüning’sche Wirtschaftspolitik zielte in der Krise darauf
ab, das Land gesundzusparen. Es war so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was
man hätte machen sollen. Und genau aus dieser Erkenntnis heraus wird heute auf
Krisen eher reagiert mit »whatever it takes« und unlimitiertem Gelddrucken.
Safranski: Da haben Sie übrigens ein Beispiel, wie aus Geschichte gelernt
wird. Gerade auf diesem Gebiet, dem volkswirtschaftlichen, ist wirklich gelernt
worden. Brüning war ja kein Blindgänger, sondern seine Politik war eingebettet
in damalige Theorien. Er glaubte sich auf der sicheren Seite zu befinden. Aber
das war vollkommen verkehrt. Und das, die Verkehrtheit der Deflationspolitik,
erkannte man in diesem vollem Maße erst danach. Solche Fehler vermeidet man nun.
Ein paar Sachen lernt man schon.
Ribbentrop: Was denken Sie? Läuft Geschichte ab, wie sie nun einmal abläuft.
Als naturgegeben und im Prinzip nicht zu beeinflussen?
Safranski: Man sagt oft sehr schnell, Strukturen machen Geschichte. Für mich
gehört gerade Hitler zu den Beispielen, der Fall Napoleon ist ähnlich, wo man
sagen kann, ohne diese Figur wäre die Geschichte so nicht geschehen. Das sind
Situationen und Umstände, in denen das Charisma einer Person, auch ein finsteres
Charisma, Geschichte machen. Bei Hitler ist das im hohem Maße der Fall. Nehmen
wir seinen Antisemitismus. Diesen empfand er als seine eigentliche Mission. In
Mein Kampf hat er darüber deutlich geschrieben: Die Juden sind Bazillen und der
Planet wird von ihnen entvölkert. Er verstieg sich zu der Vorstellung, dass die
Menschheit nicht überleben kann, wenn nicht die Juden als der größte Bazillus
des Menschengeschlechts beseitigt wird. Es ist atemberaubend, natürlich
grauenhaft, dass alles in seinem Denksystem um diesen Punkt herum aufgebaut war.
Ribbentrop: Ich teile hier Ihre Ansicht. Die große Katastrophe der Schoa wäre
ohne die Person Hitler unmöglich. Dieser wahnhafte und radikale und für seine
Ziele so unendlich schädliche Antisemitismus beherrschte diesen unsicheren
Kleingeist aus Braunau bis zu seinem letzten Tag im Bunker. Er machte in seinen
Reden nie ein Geheimnis daraus, war allerdings schlau genug, konkrete
Mordbefehle nicht schriftlich zu geben. Diese Befehle wurden dann korrekt, mit
Disziplin und Gehorsam, durch eine funktionierende Bürokratie ausgeführt. Da
frage ich mich schon, ob wir Deutsche besonders untertänig veranlagt sind,
solche Befehle mit viel Pflichtbewusstsein auszuführen. Wäre das auch in einem
anderen Land möglich gewesen?
Safranski: Schwer zu sagen, aber im Prinzip glaube ich, ist das keine
deutsche Spezialität.
Autoren von "Verstehen. Kein Verständnis - Dialog mit Rüdiger Safranski"
25.08.2025 - Verstehen. Kein Verständnis - Dialog mit Rüdiger Safranski
Wie denken Autokraten? Wie kommt das Böse in die Welt? Wiederholt sich Geschichte, und wenn ja, wie? In seinem Buch "Verstehen. Kein Verständnis" spürt der Enkel des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop den zeitlosen Wechselwirkungen nach, die das Denken und Wirken von Individuen, aber auch von Gruppen, Gesellschaften und Nationen, bestimmen. Es ist eine historische, soziologische auch philosophische Reise durch die Jahre von 1918 bis 1945, wobei sich interessante Parallelen zu den heutigen Vorgängen in Deutschland, Europa und der Welt auftun. Das Ende der Weimarer Demokratie und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges scheinen weit entfernt und Teil der Vergangenheit – doch dieselben Dynamiken sind auch heute präsent und wirkmächtig, weltweit. 80 Jahre später betrachtet Dominik von Ribbentrop, immer geleitet von der Frage „Wie konnte das passieren?“, das Leben seines Großvaters und durchreist dabei die Wirbelstürme der damaligen Ideologien und der Kämpfe um Vorherrschaften, um am Ende seine Erkenntnisse und Anmerkungen zu formulieren. Ein Auszug aus dem Dialog mit Rüdiger Safranski, der in ganzer Länge ebenfalls im Buch enthalten ist.
Rüdiger Safranski: Ja, in der Tat, das ist zutreffend. Aber ich denke schon, dass wir heute als Gesellschaft doch viel gefestigter sind, auch wenn es jetzt tatsächlich einige Parallelen gibt.
Dominik von Ribbentrop: Das wäre wünschenswert. Ich fürchte allerdings, das Eis ist ziemlich dünn, auf dem die Zivilisationen, also nicht nur in Deutschland, sich bewegen. Die anerzogenen gutbürgerlichen Verhaltenscodes weichen überraschend schnell primitiveren Reptilieninstinkten, wenn die Angst vor Verarmung Überhand gewinnt. Dies führt zu einer Emotionalisierung im Miteinander, was heute ihren Ausdruck in der Empörung, in der Überreaktion findet. Man sucht immer weniger das Gespräch zur Lösung eines Themas. Die Tendenz heute ist es wieder, absolut recht in seiner selbst gebauten Wahrheit zu haben. Die Grautöne verschwinden. So auch Ende der 1920er-Jahre, als eine rasante Polarisierung stattfand und aus Wutbürgern ziemlich schnell Wutwürger wurden. Die Politik hatte die Menschen verloren und diese begannen, aufeinander einzuschlagen, und sehnten sich nach einem autoritären Erlöser. Sind wir da heute? Nein, sicherlich nicht. Aber wir befinden uns auf einer ungünstigen Entwicklungsebene, die auch irgendwann einen Kipppunkt erreichen kann.
Safranski: Haben Sie auf internationaler Ebene auch Parallelen ausgemacht?
Ribbentrop: Auf internationaler Ebene sehe ich heute einen ähnlichen Bedeutungsverlust der UN wie der des Völkerbundes in den 1920er-Jahren. Die guten Absichten sind zwar da. Aber wenn Länder nicht mehr mitmachen, dann bleibt es ohne Konsequenzen. Nicht mehr Ausgleich und Gespräch und Wertschätzung haben Priorität, sondern Projektionen, Mutmaßungen und Rüstung. Wie in den 1930er-Jahren. Auch die Vorwürfe damals und heute sind ähnlich: Die UN, damals der Völkerbund, sind ein Herrschaftsinstrument zur Durchsetzung westlicher Interessen, damals der Interessen Großbritanniens und Frankreichs, heute der Vereinigten Staaten und des Westens. Oder anders formuliert: Die UN läuft Gefahr, eine Schönwetterorganisation zu sein, die am Ende des Tages nichts ausrichten kann, wenn einzelne Länder egoistisch handeln. In Schönwetterphasen kann ein regel- und moralbasiertes Weltparlament funktionieren. Dies ändert sich aber schnell, so heute wie damals, wenn sich nur ein Land benachteiligt fühlt und meint, nur durch militärische Macht ernst genommen zu werden. Wie damals erleben wir heute den Übergang von einer regelbasierten Weltorganisation zu einer machtbasierten Nationalpolitik. Wie erklären Sie sich die große Popularität Hitlers und seine Erfolge?
Safranski: Ja, wie war das denn überhaupt möglich, so große Teile des Volkes zu gewinnen? Dieser Partei ist es aufgrund einer krisenhaften Situation gelungen, große Massen hinter sich zu versammeln. Ja, wahrscheinlich muss man da in den sauren Apfel der Einsicht beißen, dass es in der Krisensituation für große Teile attraktiver war, ein neues Gemeinschaftsgefühl zu erleben als die demokratischen Wahlprozeduren. Ein heißes Gemeinschaftserlebnis hat ein stärkeres Gewicht als alle vier Jahre zur Wahl zu gehen. Vor 1933 waren die Wahlen ja noch etwas häufiger, weil das Parlament immer wieder aufgelöst wurde. Ich würde die These aufstellen, das in dem Moment, wo die Religionen an Bindekraft verlieren, eine Sehnsucht nach Sinn und Gemeinschaft entsteht. Und die Parteienwirtschaft der Weimarer Zeit konnte diese Sehnsucht nach Sinn und Gemeinschaft nicht befriedigen. Die Nazis boten dann diese quasi religiöse Gemeinschaft mit allen entsprechenden Ritualen an. Die Nazis also wirkten bei vielen als Religionsersatz. Die Nazis, selbst eine Massenbewegung, mobilisierten die Ängste vor der anonymen Massengesellschaft der Moderne. Gemeinschaft gegen Gesellschaft. Das ist der Hintergrund für den gigantischen Erfolg des Nationalsozialismus. Er war, man kann es auch so sagen, eine antipolitische Politik. Man wollte nicht mehr dieses politische Geschäft, das verachteten die Leute. Nein, ein anderer Geist musste her. Und diese Bedürfnisse befriedigten die Nazis, sie spendeten die Wärme der Herde.
Ribbentrop: Die Brüning’sche Wirtschaftspolitik zielte in der Krise darauf ab, das Land gesundzusparen. Es war so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was man hätte machen sollen. Und genau aus dieser Erkenntnis heraus wird heute auf Krisen eher reagiert mit »whatever it takes« und unlimitiertem Gelddrucken.
Safranski: Da haben Sie übrigens ein Beispiel, wie aus Geschichte gelernt wird. Gerade auf diesem Gebiet, dem volkswirtschaftlichen, ist wirklich gelernt worden. Brüning war ja kein Blindgänger, sondern seine Politik war eingebettet in damalige Theorien. Er glaubte sich auf der sicheren Seite zu befinden. Aber das war vollkommen verkehrt. Und das, die Verkehrtheit der Deflationspolitik, erkannte man in diesem vollem Maße erst danach. Solche Fehler vermeidet man nun. Ein paar Sachen lernt man schon.
Ribbentrop: Was denken Sie? Läuft Geschichte ab, wie sie nun einmal abläuft. Als naturgegeben und im Prinzip nicht zu beeinflussen?
Safranski: Man sagt oft sehr schnell, Strukturen machen Geschichte. Für mich gehört gerade Hitler zu den Beispielen, der Fall Napoleon ist ähnlich, wo man sagen kann, ohne diese Figur wäre die Geschichte so nicht geschehen. Das sind Situationen und Umstände, in denen das Charisma einer Person, auch ein finsteres Charisma, Geschichte machen. Bei Hitler ist das im hohem Maße der Fall. Nehmen wir seinen Antisemitismus. Diesen empfand er als seine eigentliche Mission. In Mein Kampf hat er darüber deutlich geschrieben: Die Juden sind Bazillen und der Planet wird von ihnen entvölkert. Er verstieg sich zu der Vorstellung, dass die Menschheit nicht überleben kann, wenn nicht die Juden als der größte Bazillus des Menschengeschlechts beseitigt wird. Es ist atemberaubend, natürlich grauenhaft, dass alles in seinem Denksystem um diesen Punkt herum aufgebaut war.
Ribbentrop: Ich teile hier Ihre Ansicht. Die große Katastrophe der Schoa wäre ohne die Person Hitler unmöglich. Dieser wahnhafte und radikale und für seine Ziele so unendlich schädliche Antisemitismus beherrschte diesen unsicheren Kleingeist aus Braunau bis zu seinem letzten Tag im Bunker. Er machte in seinen Reden nie ein Geheimnis daraus, war allerdings schlau genug, konkrete Mordbefehle nicht schriftlich zu geben. Diese Befehle wurden dann korrekt, mit Disziplin und Gehorsam, durch eine funktionierende Bürokratie ausgeführt. Da frage ich mich schon, ob wir Deutsche besonders untertänig veranlagt sind, solche Befehle mit viel Pflichtbewusstsein auszuführen. Wäre das auch in einem anderen Land möglich gewesen?
Safranski: Schwer zu sagen, aber im Prinzip glaube ich, ist das keine deutsche Spezialität.
Autoren von "Verstehen. Kein Verständnis - Dialog mit Rüdiger Safranski"
Bücher von Dominik von Ribbentrop