Traditionelle Muslime, die demokratische Werte hochhalten, haben es dieser
Zeiten schwer – zwischen antimuslimischem Generalverdacht und Anfeindungen durch
Islamisten in den eigenen Reihen. Das beschreibt Teseo La Marca am Fall einer
Berliner Moschee. Kommende Woche erscheint sein neues Buch „Die fehlgeleitete
Islam-Debatte und ihre Folgen“.
Es genügt wenig, um in Verruf zu geraten.
Dass auch Mohamed Taha Sabri dieses Schicksal ereilen würde, galt lange Zeit als
unwahrscheinlich. Der Imam der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin Neukölln
organisiert mit seinem Verein „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) öffentliche
Podiumsdiskussionen und Kooperationen mit Kirchen und jüdischen Gemeinden.
In öffentlichen Äußerungen trat er für einen „deutschen Islam“ ein, der einer
deutschen Lebensrealität entspringt und sich von ausländischen Einflüssen
freimacht. Er forderte, dass sich die radikale aus Ägypten stammende
Muslimbruderschaft, die eine islamische Gesellschaft anstrebt, zu einer Art
muslimischen CDU entwickle: einer demokratischen Partei, die sich religiösen
Werten zwar verpflichtet fühlt, aber zwischen Staat und Religion trennt.
2015 erhielt Sabri für seinen Einsatz im interreligiösen Dialog den
Verdienstorden des Landes Berlin. Doch zu diesem Zeitpunkt stand er bereits im
Visier der Sicherheitsbehörden. In den Jahren 2015 und 2016 erwähnte der
Berliner Verfassungsschutz die Dar-as-Salam-Moschee in seinen Jahresberichten,
der Vorwurf: Nähe zur Muslimbruderschaft. Zuvor hatte die Gemeinde eine
theologische Konferenz organisiert, wobei unter mehreren hundert Gästen auch
einige dabei gewesen seien, die der Muslimbruderschaft nahestehen sollen. Die
Moschee selbst klagte gegen die Erwähnung des Verfassungsschutzes, mit Erfolg.
Dennoch: In der medialen Öffentlichkeit ist der Ruf der Moschee bis heute schwer
beschädigt. Die Islamkritikerin Necla Kelek nannte die Moschee sogar „eine der
reaktionärsten Moscheen Berlins“. Spiegel-Journalisten besuchten daraufhin
mehrmals – sowohl angemeldet als auch unangemeldet – Predigten in der Moschee
und konnten nichts Reaktionäres oder Radikales finden, im Gegenteil: Gepredigt
wurden Werte wie Toleranz, Gewaltfreiheit, Demokratie. Deutschland habe laut
Sabri eine der besten Verfassungen der Welt. Die Vorwürfe gegen die
Dar-as-Salam-Moschee folgen einem verbreiteten Muster. Moscheen, in denen die
islamistische Ausrichtung längst erwiesen ist, werden medial in Ruhe gelassen.
Die Verfassungsschützer erwähnen sie zwar, doch politisch hat das nur selten
Konsequenzen. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen hingegen ausgerechnet die
Moscheen, die traditionelle Religionspraxis mit Pluralismus und Grundgesetz in
Einklang bringen – und die damit einen wertvollen Beitrag zur
Islamismus-Prävention leisten. Die sogenannten Muslime der Mitte. Da sie, wie im
Falle der Dar-as-Salam-Moschee, häufig auch Kooperationspartner für öffentliche
Stellen sind, sind die Islamismus-Vorwürfe ihnen gegenüber besonders brisant.
Vermeintliche Kollaborationen zwischen Staat und Islamisten aufzudecken,
verschafft rechtskonservativen Medien und Boulevard-Blättern, wie „Bild“ oder
„Nius.de“, Reichweite und Gehör. Dementsprechend haben es sich einige Beamte,
Journalisten und Intellektuelle – „selbsternannte Muslimjäger“, wie die
Spiegel-Journalistin Özlem Gezer sie nennt – zur Lebensaufgabe gemacht,
akribisch nach dem kleinsten Fehltritt gesellschaftlich engagierter Muslime zu
suchen. Ein beliebtes Mittel ist dabei die sogenannte „Kontaktschuld“: Ein
Treffen mit einem Akteur, der beim Verfassungsschutz bekannt ist, reicht aus,
schon ist man selbst Islamist. Auch im Falle der Dar-as-Salam-Moschee gingen
die staatlichen Schikanen weiter. Im Dezember 2020 gab es eine polizeiliche
Großrazzia gegen den Verein, wegen angeblichen Corona-Subventionsbetrugs – und
Verdacht auf Terrorfinanzierung, wie sich später herausstellte. Allerdings ohne
jeglichen Anhaltspunkt. Auch hier wehrte sich die Moschee juristisch, laut
Gericht war die Razzia unbegründet. Es ist ein unguter Mix aus systematischer
Ausgrenzung und ständigem Rechtfertigungsdruck, der vielen deutschen Muslimen –
fatalerweise denen, die sich am meisten für Verständigung und Vielfalt einsetzen
– immer mehr das Gefühl gibt, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Dazu kommt ein
sich verschärfender antimuslimischer Rassismus in großen Teilen der Bevölkerung,
die neue Härte in der Migrationspolitik und, nicht zuletzt, die Unterdrückung
palästinensischer Stimmen zum Nahostkonflikt. Zugleich aber stehen die
Muslime der Mitte auch in ihren eigenen Reihen immer stärker unter Druck. In
einer Stellungnahme gegen israelfeindliche Proteste erkannte die NBS das
„Existenzrecht Israels als Staat“ an und thematisierte den steigenden
Antisemitismus und nach dem 7. Oktober. Bei einem Teil des muslimischen
Publikums kommt so etwas nicht gut an. Einmal sei Sabri aufgrund solcher
Positionen laut eigener Aussage von einem Salafisten sogar bewusstlos geprügelt
worden. Die Anfeindungen gegenüber der Moschee durch Islamisten habe ich im
Februar 2025 selbst miterlebt. Damals fand hier eine Veranstaltung zu den
bevorstehenden Bundestagswahlen statt, mehrere Imame meldeten sich zu Wort,
beleuchteten das Thema Wahlen aus theologischer Sicht und predigten wieder
einmal einen deutschen Islam im Einklang mit dem deutschem Gesetz und deutscher
Lebensrealität. Neben mir saßen zwei Männer, die die Veranstaltung jedoch immer
wieder mit Zwischenrufen störten: Für wen sich die Imame eigentlich hielten?
Deutscher Islam? „Jetzt reden Imame schon wie die AfD!“, sagte einer. Vor Ort
anwesende Polizisten gaben später Auskunft über die beiden Störenfriede: Sie
seien polizeibekannte Mitglieder der „Hizb ut-Tahrir“, einer islamistischen
Gruppierung, die hinter mehreren extremen Online-Accounts steckt, die unter
anderem demokratische Wahlen als „haram“, als islamisch verboten, ablehnten.
Für muslimische Brückenbauer sieht es zurzeit nicht gut aus. Sie sind mehr denn
je den Anfeindungen aus gleich zwei Richtungen ausgesetzt. Hier der
Generalverdacht der Medien und staatlicher Behörden, dort die Angriffe radikaler
Islamisten. Dabei ist Möglichkeit eines „deutschen Islam“ auf beides angewiesen:
die Bereitschaft der Muslime, tradierte Dogmen zu revidieren, sowie die
Bereitschaft der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, sie als ebenbürtige
Mitbürger zu behandeln.
10.08.2025 - Muslime der Mitte
Traditionelle Muslime, die demokratische Werte hochhalten, haben es dieser Zeiten schwer – zwischen antimuslimischem Generalverdacht und Anfeindungen durch Islamisten in den eigenen Reihen. Das beschreibt Teseo La Marca am Fall einer Berliner Moschee. Kommende Woche erscheint sein neues Buch „Die fehlgeleitete Islam-Debatte und ihre Folgen“.
Es genügt wenig, um in Verruf zu geraten. Dass auch Mohamed Taha Sabri dieses Schicksal ereilen würde, galt lange Zeit als unwahrscheinlich. Der Imam der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin Neukölln organisiert mit seinem Verein „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) öffentliche Podiumsdiskussionen und Kooperationen mit Kirchen und jüdischen Gemeinden.
In öffentlichen Äußerungen trat er für einen „deutschen Islam“ ein, der einer deutschen Lebensrealität entspringt und sich von ausländischen Einflüssen freimacht. Er forderte, dass sich die radikale aus Ägypten stammende Muslimbruderschaft, die eine islamische Gesellschaft anstrebt, zu einer Art muslimischen CDU entwickle: einer demokratischen Partei, die sich religiösen Werten zwar verpflichtet fühlt, aber zwischen Staat und Religion trennt.
2015 erhielt Sabri für seinen Einsatz im interreligiösen Dialog den Verdienstorden des Landes Berlin. Doch zu diesem Zeitpunkt stand er bereits im Visier der Sicherheitsbehörden. In den Jahren 2015 und 2016 erwähnte der Berliner Verfassungsschutz die Dar-as-Salam-Moschee in seinen Jahresberichten, der Vorwurf: Nähe zur Muslimbruderschaft. Zuvor hatte die Gemeinde eine theologische Konferenz organisiert, wobei unter mehreren hundert Gästen auch einige dabei gewesen seien, die der Muslimbruderschaft nahestehen sollen. Die Moschee selbst klagte gegen die Erwähnung des Verfassungsschutzes, mit Erfolg.
Dennoch: In der medialen Öffentlichkeit ist der Ruf der Moschee bis heute schwer beschädigt. Die Islamkritikerin Necla Kelek nannte die Moschee sogar „eine der reaktionärsten Moscheen Berlins“. Spiegel-Journalisten besuchten daraufhin mehrmals – sowohl angemeldet als auch unangemeldet – Predigten in der Moschee und konnten nichts Reaktionäres oder Radikales finden, im Gegenteil: Gepredigt wurden Werte wie Toleranz, Gewaltfreiheit, Demokratie. Deutschland habe laut Sabri eine der besten Verfassungen der Welt.
Die Vorwürfe gegen die Dar-as-Salam-Moschee folgen einem verbreiteten Muster. Moscheen, in denen die islamistische Ausrichtung längst erwiesen ist, werden medial in Ruhe gelassen. Die Verfassungsschützer erwähnen sie zwar, doch politisch hat das nur selten Konsequenzen.
Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen hingegen ausgerechnet die Moscheen, die traditionelle Religionspraxis mit Pluralismus und Grundgesetz in Einklang bringen – und die damit einen wertvollen Beitrag zur Islamismus-Prävention leisten. Die sogenannten Muslime der Mitte. Da sie, wie im Falle der Dar-as-Salam-Moschee, häufig auch Kooperationspartner für öffentliche Stellen sind, sind die Islamismus-Vorwürfe ihnen gegenüber besonders brisant. Vermeintliche Kollaborationen zwischen Staat und Islamisten aufzudecken, verschafft rechtskonservativen Medien und Boulevard-Blättern, wie „Bild“ oder „Nius.de“, Reichweite und Gehör.
Dementsprechend haben es sich einige Beamte, Journalisten und Intellektuelle – „selbsternannte Muslimjäger“, wie die Spiegel-Journalistin Özlem Gezer sie nennt – zur Lebensaufgabe gemacht, akribisch nach dem kleinsten Fehltritt gesellschaftlich engagierter Muslime zu suchen. Ein beliebtes Mittel ist dabei die sogenannte „Kontaktschuld“: Ein Treffen mit einem Akteur, der beim Verfassungsschutz bekannt ist, reicht aus, schon ist man selbst Islamist.
Auch im Falle der Dar-as-Salam-Moschee gingen die staatlichen Schikanen weiter. Im Dezember 2020 gab es eine polizeiliche Großrazzia gegen den Verein, wegen angeblichen Corona-Subventionsbetrugs – und Verdacht auf Terrorfinanzierung, wie sich später herausstellte. Allerdings ohne jeglichen Anhaltspunkt. Auch hier wehrte sich die Moschee juristisch, laut Gericht war die Razzia unbegründet.
Es ist ein unguter Mix aus systematischer Ausgrenzung und ständigem Rechtfertigungsdruck, der vielen deutschen Muslimen – fatalerweise denen, die sich am meisten für Verständigung und Vielfalt einsetzen – immer mehr das Gefühl gibt, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Dazu kommt ein sich verschärfender antimuslimischer Rassismus in großen Teilen der Bevölkerung, die neue Härte in der Migrationspolitik und, nicht zuletzt, die Unterdrückung palästinensischer Stimmen zum Nahostkonflikt.
Zugleich aber stehen die Muslime der Mitte auch in ihren eigenen Reihen immer stärker unter Druck. In einer Stellungnahme gegen israelfeindliche Proteste erkannte die NBS das „Existenzrecht Israels als Staat“ an und thematisierte den steigenden Antisemitismus und nach dem 7. Oktober. Bei einem Teil des muslimischen Publikums kommt so etwas nicht gut an. Einmal sei Sabri aufgrund solcher Positionen laut eigener Aussage von einem Salafisten sogar bewusstlos geprügelt worden.
Die Anfeindungen gegenüber der Moschee durch Islamisten habe ich im Februar 2025 selbst miterlebt. Damals fand hier eine Veranstaltung zu den bevorstehenden Bundestagswahlen statt, mehrere Imame meldeten sich zu Wort, beleuchteten das Thema Wahlen aus theologischer Sicht und predigten wieder einmal einen deutschen Islam im Einklang mit dem deutschem Gesetz und deutscher Lebensrealität. Neben mir saßen zwei Männer, die die Veranstaltung jedoch immer wieder mit Zwischenrufen störten: Für wen sich die Imame eigentlich hielten? Deutscher Islam? „Jetzt reden Imame schon wie die AfD!“, sagte einer.
Vor Ort anwesende Polizisten gaben später Auskunft über die beiden Störenfriede: Sie seien polizeibekannte Mitglieder der „Hizb ut-Tahrir“, einer islamistischen Gruppierung, die hinter mehreren extremen Online-Accounts steckt, die unter anderem demokratische Wahlen als „haram“, als islamisch verboten, ablehnten.
Für muslimische Brückenbauer sieht es zurzeit nicht gut aus. Sie sind mehr denn je den Anfeindungen aus gleich zwei Richtungen ausgesetzt. Hier der Generalverdacht der Medien und staatlicher Behörden, dort die Angriffe radikaler Islamisten. Dabei ist Möglichkeit eines „deutschen Islam“ auf beides angewiesen: die Bereitschaft der Muslime, tradierte Dogmen zu revidieren, sowie die Bereitschaft der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, sie als ebenbürtige Mitbürger zu behandeln.
Autoren von "Muslime der Mitte"
Bücher von Teseo La Marca