Bei der Herstellung des Diabetes-Medikaments Metformin gibt es zwei
Marktführer, Zentiva und Sandoz. Jüngst drohten sie, Metformin vom Markt zu
nehmen, wenn die „Europäische Richtlinie über die Behandlung von kommunalem
Abwasser“ realisiert würde. Diese sieht eine vierte Reinigungsstufe in
Klärwerken vor. Durch neue Verfahren können mit dieser zusätzlichen
Reinigungsstufe erstmals auch kleinste Stoffe aus dem Wasser gefiltert werden.
Dazu gehören zum Beispiel Kosmetika, industrielle Chemikalien, aber auch
Medikamente. Mit den gegenwärtigen drei Klärstufen konnten diese Stoffe bislang
nicht oder nur kaum entfernt werden. Das hat gravierende Folgen für unser
Trinkwasser.
Schon vor fünfzehn Jahren konnte man 30 Medikamentenrückstände in unserem
Trinkwasser nachweisen, insbesondere Diclofenac, Ibuprofen, Metamizol und
Östrogene, aber auch Psychopharmaka und Antibiotika wie Amoxicillin. Experimente
mit Amphibien konnten immerhin zeigen, dass östrogenbelastetes Wasser aus einem
Froschmännchen ein Froschweibchen macht. Und in solch belasteten Gewässern kommt
es bei Fischen zu Missbildungen, Nierenschäden und Defekten im Immunsystem.
Immer wieder wird daher diskutiert, ob die messbaren Östrogenkonzentrationen
sowohl für Unfruchtbarkeit bei Männern als auch für den Geburtenrückgang mit
verantwortlich sein könnten. Auch könnte die unmerkliche Einnahme von
Antibiotika mit dem Trinkwasser zu unerkannten Resistenzen beitragen. Hieb- und
stichfest bewiesen ist das bislang noch nicht, aber auf die leichte Schulter
kann man es trotzdem nicht nehmen.
Vor mehr als einem Jahr beschloss das Europaparlament daher eine Verschärfung
der Abwasserrichtlinie. Diese neue Richtlinie verpflichtet bestimmte Industrien
zur Kostenübernahme der Klärwerk-Aufrüstung – man nennt das Verursacherprinzip.
Vorgesehen ist eine Kostenbeteiligung der Kosmetika- und Pharmaindustrie an der
Abwasserreinigung in Höhe von 80 Prozent durch die Einrichtungen dieser
zusätzlichen vierten Reinigungsstufe. Laut EU sind ihre Produkte für mehr als 90
Prozent der Mikroschadstoffe verantwortlich. Allein in Deutschland müssen nun
570 Klärwerke mit der vierten Klärstufe umgebaut werden. Der Verband der
kommunalen Unternehmer schätzt die entstehenden Kosten dafür auf knapp neun
Milliarden Euro, mit zusätzlichen Betriebskosten von knapp einer Milliarde Euro
im Jahr.
Die Reaktion der Pharmaindustrie ließ ein bisschen auf sich warten, fiel
dafür aber umso deftiger aus. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie
arbeitet an einer Klage gegen die EU-Kommission. Das ist sein gutes Recht.
Kritisch wird der massive Widerstand allerdings in dem Moment, wo schiere
Drohungen und Erpressung ins Spiel geraten. „Wenn das wirklich so kommt und sich
nichts ändert, werden wir Metformin vom Markt nehmen müssen“, erklärt der
Geschäftsführer des Pharmakonzern Zentiva, Josip Mestrovic. Metformin ist
immerhin das Medikament der ersten Wahl für knapp drei Millionen
Typ-2-Diabetiker allein in Deutschland. Alternativen gibt es kaum, und die
wenigen sind deutlich teurer. Auch bei Antibiotika und bei Krebsmedikamenten
müsse mit Versorgungsengpässen gerechnet werden, wenn die finanziellen Lasten
nicht „gerechter verteilt werden“. Gerecht heißt in diesem Sinne wohl, dass die
Gewinne der Pharmaindustrie nicht angetastet werden.
Man kann in einer Demokratie verschiedene Meinungen haben, öffentlich
streiten und die Differenzen austragen. Im Idealfall kommt es zu einem
Kompromiss, mit dem alle leben können – oder müssen. Man sollte allerdings nicht
versuchen, mit einer erbärmlichen und sittenwidrigen Erpressung seinen
Standpunkt durchzusetzen. Das Strafgesetzbuch sieht dafür in seinem §253
Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor. Die Versorgung mit Medikamenten gehört
zur Daseinsvorsorge, und nicht wenige Stimmen erheben sich immer wieder, die aus
diesem Grund eine Verstaatlichung der Pharmaindustrie fordern. Wenn es dafür
vielleicht noch an Argumenten gemangelt haben sollte, dann hat die
Pharmaindustrie mit dieser Kampagne, mit der Millionen Erkrankter in Angst und
Schrecken versetzt worden sind, ein gewichtiges Argument hinzugefügt: Das
Gemeinwohl ist gleichgültig, sobald die Gewinne bedroht sind.
Der Text erschien bereits in der ÄrzteZeitung, 12.06.2025; „Aufgerollt“, No.
33, und auf www.medizinHuman.de
05.07.2025 - Erpressung
Bei der Herstellung des Diabetes-Medikaments Metformin gibt es zwei Marktführer, Zentiva und Sandoz. Jüngst drohten sie, Metformin vom Markt zu nehmen, wenn die „Europäische Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser“ realisiert würde. Diese sieht eine vierte Reinigungsstufe in Klärwerken vor. Durch neue Verfahren können mit dieser zusätzlichen Reinigungsstufe erstmals auch kleinste Stoffe aus dem Wasser gefiltert werden. Dazu gehören zum Beispiel Kosmetika, industrielle Chemikalien, aber auch Medikamente. Mit den gegenwärtigen drei Klärstufen konnten diese Stoffe bislang nicht oder nur kaum entfernt werden. Das hat gravierende Folgen für unser Trinkwasser.
Schon vor fünfzehn Jahren konnte man 30 Medikamentenrückstände in unserem Trinkwasser nachweisen, insbesondere Diclofenac, Ibuprofen, Metamizol und Östrogene, aber auch Psychopharmaka und Antibiotika wie Amoxicillin. Experimente mit Amphibien konnten immerhin zeigen, dass östrogenbelastetes Wasser aus einem Froschmännchen ein Froschweibchen macht. Und in solch belasteten Gewässern kommt es bei Fischen zu Missbildungen, Nierenschäden und Defekten im Immunsystem. Immer wieder wird daher diskutiert, ob die messbaren Östrogenkonzentrationen sowohl für Unfruchtbarkeit bei Männern als auch für den Geburtenrückgang mit verantwortlich sein könnten. Auch könnte die unmerkliche Einnahme von Antibiotika mit dem Trinkwasser zu unerkannten Resistenzen beitragen. Hieb- und stichfest bewiesen ist das bislang noch nicht, aber auf die leichte Schulter kann man es trotzdem nicht nehmen.
Vor mehr als einem Jahr beschloss das Europaparlament daher eine Verschärfung der Abwasserrichtlinie. Diese neue Richtlinie verpflichtet bestimmte Industrien zur Kostenübernahme der Klärwerk-Aufrüstung – man nennt das Verursacherprinzip. Vorgesehen ist eine Kostenbeteiligung der Kosmetika- und Pharmaindustrie an der Abwasserreinigung in Höhe von 80 Prozent durch die Einrichtungen dieser zusätzlichen vierten Reinigungsstufe. Laut EU sind ihre Produkte für mehr als 90 Prozent der Mikroschadstoffe verantwortlich. Allein in Deutschland müssen nun 570 Klärwerke mit der vierten Klärstufe umgebaut werden. Der Verband der kommunalen Unternehmer schätzt die entstehenden Kosten dafür auf knapp neun Milliarden Euro, mit zusätzlichen Betriebskosten von knapp einer Milliarde Euro im Jahr.
Die Reaktion der Pharmaindustrie ließ ein bisschen auf sich warten, fiel dafür aber umso deftiger aus. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie arbeitet an einer Klage gegen die EU-Kommission. Das ist sein gutes Recht. Kritisch wird der massive Widerstand allerdings in dem Moment, wo schiere Drohungen und Erpressung ins Spiel geraten. „Wenn das wirklich so kommt und sich nichts ändert, werden wir Metformin vom Markt nehmen müssen“, erklärt der Geschäftsführer des Pharmakonzern Zentiva, Josip Mestrovic. Metformin ist immerhin das Medikament der ersten Wahl für knapp drei Millionen Typ-2-Diabetiker allein in Deutschland. Alternativen gibt es kaum, und die wenigen sind deutlich teurer. Auch bei Antibiotika und bei Krebsmedikamenten müsse mit Versorgungsengpässen gerechnet werden, wenn die finanziellen Lasten nicht „gerechter verteilt werden“. Gerecht heißt in diesem Sinne wohl, dass die Gewinne der Pharmaindustrie nicht angetastet werden.
Man kann in einer Demokratie verschiedene Meinungen haben, öffentlich streiten und die Differenzen austragen. Im Idealfall kommt es zu einem Kompromiss, mit dem alle leben können – oder müssen. Man sollte allerdings nicht versuchen, mit einer erbärmlichen und sittenwidrigen Erpressung seinen Standpunkt durchzusetzen. Das Strafgesetzbuch sieht dafür in seinem §253 Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vor. Die Versorgung mit Medikamenten gehört zur Daseinsvorsorge, und nicht wenige Stimmen erheben sich immer wieder, die aus diesem Grund eine Verstaatlichung der Pharmaindustrie fordern. Wenn es dafür vielleicht noch an Argumenten gemangelt haben sollte, dann hat die Pharmaindustrie mit dieser Kampagne, mit der Millionen Erkrankter in Angst und Schrecken versetzt worden sind, ein gewichtiges Argument hinzugefügt:
Das Gemeinwohl ist gleichgültig, sobald die Gewinne bedroht sind.
Der Text erschien bereits in der ÄrzteZeitung, 12.06.2025; „Aufgerollt“, No. 33, und auf www.medizinHuman.de
Autoren von "Erpressung"
Bücher von Bernd Hontschik