01.06.2025 - Die Tyrannei der kleinen Entscheidungen
Thomas Fischer:
Zukunft verpflichtet“, sagt der Unternehmer Thomas M. Fischer, und
entwickelt in seinem neuen Buch konkrete Ideen für eine nachhaltige
Transformation am Standort Deutschland, indem er verschiedene Ansätze in ein
Ganzes verbindet. Die zentrale Frage ist dabei nicht, worauf wir als
Gesellschaft auf dem Weg zu wirksamem Klima- und Umweltschutz verzichten müssen,
sondern was wir vielmehr an Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Resilienz
gewinnen können. Ob wir den künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten
hinterlassen und unsere soziale Marktwirtschaft in die Zukunft führen können,
entscheidet sich in der Wirtschaft, die sich dafür neu erfinden muss.
Wie problematisch der Fokus auf die klassisch-ökonomischen Vorstellungen von
Erfolg ist, erzählen uns Abend für Abend die Sprecherinnen und Sprecher von
Tagesschau oder heute, vermelden seriöse Medien fast jeden Tag. Das Wundersame
daran ist, wie schwer es uns als doch eigentlich vernunftbegabte Wesen fällt zu
akzeptieren, dass unser Erfolgsstreben einen Preis hat. Es ist nämlich kein
Geheimnis, dass viele Menschen auf dem Planeten und vor allem die künftigen
Generationen dafür teuer bezahlen müssen. Mit den ökonomischen Erfolgsprinzipien
zerstören wir die Umwelt in einem Maße, das längst Lebensqualität und vor allem
unsere Lebensgrundlagen gefährdet. In selektiver Wahrnehmung und mit
verengtem Gesichtsfeld – oder gar bewusster Ignoranz – haben wir es als
Gemeinwesen in Kauf genommen, unseren Wohlstand auf Kosten der Natur, des Klimas
und der Lebensbedingungen von Menschen am anderen Ende der sogenannten
Wertschöpfungskette zu erwirtschaften und zu mehren. Auf den ersten Bericht des
Club of Rome hinzuweisen, der »Die Grenzen des Wachstums« bereits im Jahr 1972
erstaunlich genau umrissen hat, ist an dieser Stelle sicher nicht originell.
Indes markiert das Erscheinungsdatum des Reports eine Bewusstseinswende. Seit
mehr als 50 Jahren können wir nicht mehr behaupten, wir hätten nicht gewusst,
wie sehr unser konsum- und wachstumsorientierter Lebensstil den Lebensraum Erde
massiv schädigt. Für dieses kollektiv-seltsame Verhalten lassen sich mehrere
Gründe identifizieren. Es ist schwer und ungeübt, individuelles Handeln mit
kollektiver Wirkung zu verknüpfen. Tagtäglich treffen wir gemeinsam, jede und
jeder für sich, Abermillionen von Entscheidungen, die sich ökologisch negativ
auswirken. Im privaten wie im beruflichen Kontext beweist der Mensch große
Klasse darin, wider besseres Wissen zu handeln und sich selbst zu überlisten:
aus Bequemlichkeit; weil im Gehirn das Belohnungssystem anspringt und seinen
Tribut verlangt; als Folge einer unseligen Gruppendynamik oder weil uns
nachhaltige Alternativen einfach zu teuer erscheinen. Ramsch und Billigwaren
werden gekauft um der schnellen Bedürfnisbefriedigung willen, aggressiv
vermarktet über Plattformen wie temu und einmal um die Welt geliefert. Mit dem
Billigflieger wird hierhin und dorthin gereist; nicht zuletzt ist es immer
wieder verlockend, mit dem Auto statt mit der Bahn unterwegs zu sein … An dieser
Stelle ließen sich noch unzählige solcher Handlungen anführen, von denen jede
für sich genommen quantitativ nahezu unbedeutend sein mag, kumulativ aber dazu
führt, dass wir unser Leben nicht schnell genug dekarbonisieren und mit unserem
konsumorientierten Lebensstil entschieden zu viele Ressourcen nutzen. Wir sind,
um einen Gedanken des US-Ökonomen Alfred E. Kahn (1917–2010) aufzugreifen, alle
Teil der »Tyrannei der kleinen Entscheidungen« – und das seit Jahr-zehnten.
Selbst zunehmendes Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein haben nicht dazu
geführt, dass wir unter dem Strich ein nachhaltigeres Leben führen. Nun mag
mancher der ständigen Erinnerung überdrüssig sein, dass wir in Deutschland jedes
Jahr im Mai den »Erdüberschusstag« erreichen, jenes Datum also, ab dem wir mehr
natürliche Ressourcen verbrauchen, als Mutter Erde imstande ist, binnen eines
Jahres zu erneuern. Im Jahr 2024 haben wir diese Grenze am 2. Mai erreicht; zwei
Tage früher als im Jahr zuvor. Allen Lippenbekenntnissen und tatsächlichen
Anstrengungen um einen umweltbewussteren Lebensstil zum Trotz erhöht sich die
Ausbeutungsdynamik. Wir bräuchten längst die Ressourcen von drei Erden. Weltweit
betrachtet bedarf es 1,7 Planeten vom Typ »Erde«, denn global lag der Earth
Overshoot Day für 2024 auf dem 1. August. In den 1970er-Jahren befand sich der
weltweite Erdüberlastungstag noch im Dezember und rückt seither im Kalender, mit
Ausnahme einer kleinen Corona-Delle, immer weiter vor. Dass wir unser
Verhalten als erfolgreich bewerten, obwohl es genau genommen zu ökologischen und
sozialen Katastrophen beiträgt, hat zudem mit einer systemimmanenten
Selbsttäuschung zu tun: In unsere von ökonomischer Nutzenmaximierung
beherrschten Denkmuster wird die Umwelt als ernst zu nehmender, in der Summe der
Kosten zu berücksichtigender Faktor nicht integriert. Die ökologischen und
sozialen Folgen – sprich die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf unser
aller Leben – werden von der klassischen Betriebswirtschaftslehre nicht adäquat
erfasst und schon gar nicht eingepreist. Umweltschädigung – ich bin versucht zu
schreiben: Zukunftsschädigung – kostet die Unternehmen immer noch viel zu wenig.
Mit den negativen Konsequenzen für Klima und Umwelt unseres Handelns umzugehen,
wird zu einem großen Teil der Gesellschaft überlassen. Die Kosten werden
externalisiert, was im Klartext bedeutet: Die Zeche zahlen die Steuerzahlerinnen
und -zahler. Oder Menschen im Globalen Süden, die sich nicht wehren können. Und
natürlich, wenn sich absolut niemand verantwortlich fühlt, die Natur.
Autoren von "Die Tyrannei der kleinen Entscheidungen"
01.06.2025 - Die Tyrannei der kleinen Entscheidungen
Zukunft verpflichtet“, sagt der Unternehmer Thomas M. Fischer, und entwickelt in seinem neuen Buch konkrete Ideen für eine nachhaltige Transformation am Standort Deutschland, indem er verschiedene Ansätze in ein Ganzes verbindet. Die zentrale Frage ist dabei nicht, worauf wir als Gesellschaft auf dem Weg zu wirksamem Klima- und Umweltschutz verzichten müssen, sondern was wir vielmehr an Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Resilienz gewinnen können. Ob wir den künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen und unsere soziale Marktwirtschaft in die Zukunft führen können, entscheidet sich in der Wirtschaft, die sich dafür neu erfinden muss.
Wie problematisch der Fokus auf die klassisch-ökonomischen Vorstellungen von Erfolg ist, erzählen uns Abend für Abend die Sprecherinnen und Sprecher von Tagesschau oder heute, vermelden seriöse Medien fast jeden Tag. Das Wundersame daran ist, wie schwer es uns als doch eigentlich vernunftbegabte Wesen fällt zu akzeptieren, dass unser Erfolgsstreben einen Preis hat. Es ist nämlich kein Geheimnis, dass viele Menschen auf dem Planeten und vor allem die künftigen Generationen dafür teuer bezahlen müssen. Mit den ökonomischen Erfolgsprinzipien zerstören wir die Umwelt in einem Maße, das längst Lebensqualität und vor allem unsere Lebensgrundlagen gefährdet.
In selektiver Wahrnehmung und mit verengtem Gesichtsfeld – oder gar bewusster Ignoranz – haben wir es als Gemeinwesen in Kauf genommen, unseren Wohlstand auf Kosten der Natur, des Klimas und der Lebensbedingungen von Menschen am anderen Ende der sogenannten Wertschöpfungskette zu erwirtschaften und zu mehren. Auf den ersten Bericht des Club of Rome hinzuweisen, der »Die Grenzen des Wachstums« bereits im Jahr 1972 erstaunlich genau umrissen hat, ist an dieser Stelle sicher nicht originell. Indes markiert das Erscheinungsdatum des Reports eine Bewusstseinswende. Seit mehr als 50 Jahren können wir nicht mehr behaupten, wir hätten nicht gewusst, wie sehr unser konsum- und wachstumsorientierter Lebensstil den Lebensraum Erde massiv schädigt.
Für dieses kollektiv-seltsame Verhalten lassen sich mehrere Gründe identifizieren. Es ist schwer und ungeübt, individuelles Handeln mit kollektiver Wirkung zu verknüpfen. Tagtäglich treffen wir gemeinsam, jede und jeder für sich, Abermillionen von Entscheidungen, die sich ökologisch negativ auswirken. Im privaten wie im beruflichen Kontext beweist der Mensch große Klasse darin, wider besseres Wissen zu handeln und sich selbst zu überlisten: aus Bequemlichkeit; weil im Gehirn das Belohnungssystem anspringt und seinen Tribut verlangt; als Folge einer unseligen Gruppendynamik oder weil uns nachhaltige Alternativen einfach zu teuer erscheinen. Ramsch und Billigwaren werden gekauft um der schnellen Bedürfnisbefriedigung willen, aggressiv vermarktet über Plattformen wie temu und einmal um die Welt geliefert. Mit dem Billigflieger wird hierhin und dorthin gereist; nicht zuletzt ist es immer wieder verlockend, mit dem Auto statt mit der Bahn unterwegs zu sein … An dieser Stelle ließen sich noch unzählige solcher Handlungen anführen, von denen jede für sich genommen quantitativ nahezu unbedeutend sein mag, kumulativ aber dazu führt, dass wir unser Leben nicht schnell genug dekarbonisieren und mit unserem konsumorientierten Lebensstil entschieden zu viele Ressourcen nutzen. Wir sind, um einen Gedanken des US-Ökonomen Alfred E. Kahn (1917–2010) aufzugreifen, alle Teil der »Tyrannei der kleinen Entscheidungen« – und das seit Jahr-zehnten.
Selbst zunehmendes Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein haben nicht dazu geführt, dass wir unter dem Strich ein nachhaltigeres Leben führen. Nun mag mancher der ständigen Erinnerung überdrüssig sein, dass wir in Deutschland jedes Jahr im Mai den »Erdüberschusstag« erreichen, jenes Datum also, ab dem wir mehr natürliche Ressourcen verbrauchen, als Mutter Erde imstande ist, binnen eines Jahres zu erneuern. Im Jahr 2024 haben wir diese Grenze am 2. Mai erreicht; zwei Tage früher als im Jahr zuvor. Allen Lippenbekenntnissen und tatsächlichen Anstrengungen um einen umweltbewussteren Lebensstil zum Trotz erhöht sich die Ausbeutungsdynamik. Wir bräuchten längst die Ressourcen von drei Erden. Weltweit betrachtet bedarf es 1,7 Planeten vom Typ »Erde«, denn global lag der Earth Overshoot Day für 2024 auf dem 1. August. In den 1970er-Jahren befand sich der weltweite Erdüberlastungstag noch im Dezember und rückt seither im Kalender, mit Ausnahme einer kleinen Corona-Delle, immer weiter vor.
Dass wir unser Verhalten als erfolgreich bewerten, obwohl es genau genommen zu ökologischen und sozialen Katastrophen beiträgt, hat zudem mit einer systemimmanenten Selbsttäuschung zu tun: In unsere von ökonomischer Nutzenmaximierung beherrschten Denkmuster wird die Umwelt als ernst zu nehmender, in der Summe der Kosten zu berücksichtigender Faktor nicht integriert. Die ökologischen und sozialen Folgen – sprich die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf unser aller Leben – werden von der klassischen Betriebswirtschaftslehre nicht adäquat erfasst und schon gar nicht eingepreist. Umweltschädigung – ich bin versucht zu schreiben: Zukunftsschädigung – kostet die Unternehmen immer noch viel zu wenig. Mit den negativen Konsequenzen für Klima und Umwelt unseres Handelns umzugehen, wird zu einem großen Teil der Gesellschaft überlassen. Die Kosten werden externalisiert, was im Klartext bedeutet: Die Zeche zahlen die Steuerzahlerinnen und -zahler. Oder Menschen im Globalen Süden, die sich nicht wehren können. Und natürlich, wenn sich absolut niemand verantwortlich fühlt, die Natur.
Autoren von "Die Tyrannei der kleinen Entscheidungen"
Bücher von Thomas Fischer