Wir erleben den typisch taktisch geprägten Wahlkampf: Personen vermarkten und „Inhalte überwinden“. Es geht um Einwanderung und um leere Versprechen, Lobbyismus und Korruption. Die Beeinflussung und Demontage der Demokratie werden aber gnadenlos ignoriert. Doch gerade an diesen Themen sollte sich eine Wahlentscheidung festmachen.
Korrupt. Dieses »böse« Wort wird bei uns gemieden. Korrupt sind Autokraten, Diktatoren in fernen Ländern. In der Politik wird über viel gestritten, aber nicht über das System, das sich entwickelt hat oder den Zustand der Demokratie. Ihre Feinde sind Extremisten von rechts und links, alle anderen dagegen seriöse, aufrechte Demokraten. Auch in Deutschland hat man immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert. Meist geht es nur noch ums Geld, um den Profit. Alles wird auf dieses Ziel ausgerichtet, egal, was das vor allem langfristig bedeutet. Es kommt zum Ausverkauf der Demokratie. Die Grenzen, das Korrektiv zu dieser Entwicklung, lösen sich auf, während wir uns über Nebenthemen streiten. Sehen wir endlich mal hin und nennen das Kind beim Namen: Nahezu unsere ganze Gesellschaft wird korrumpiert.
Dazu kommt eine breite Grauzone, die sich zwischen Politik und Unternehmen entwickelt hat. Es gibt privilegierte Zugänge, starke Beeinflussungen, Abhängigkeiten, Druck, Erwartungen und Vorteilsnahmen. An deren Wirkungsende steht, dass Profitinteressen bei politischen Entscheidungen Vorrang vor dem Gemeinwohl haben. Gerade auch die Politik wird korrumpiert.
Und unsere Demokratie schützt davor immer weniger. Im Gegenteil, sie wird genau daran angepasst. Was heißt denn überhaupt »korrupt«? Der Ausdruck geht auf das lateinische Wort corruptus zurück, welches gleich mehrere Bedeutungen aufweist: »verdorben«, »sittenlos«, »bestochen«, »verkehrt«. Der Begriff lässt sich nicht nur in der Wirtschaft oder Politik, sondern
in allen gesellschaftlichen Bereichen anwenden. Bei uns wird er heute meist direkt mit Geld in Zusammenhang gebracht. Korruption meint allerdings eher den allgemeinen Missbrauch einer Vertrauensstellung. Dieser besteht darin, eine Position, die man innehat, zum weiteren Vorteil auszunutzen oder jemand anderen, der eine Position innehat, mit einem Angebot, einer Gegenleistung zu selbigem anzustiften. Dabei spielt es natürlich eine wichtige Rolle, ob es sich um eine öffentliche Stellung handelt und wer der eigentliche Auftraggeber dieser Person ist.
Legale Korruption
Das wahre Ausmaß von Korruption und legaler Korruption ist viel größer, als es den Anschein hat. Legale Korruption? Ja, genau darum geht es auch in meinem neuen Buch. Ich beschreibe die Vorgänge bei Cum-Ex, die Maskendeals, die Sponsorengelder, gut honorierte Nebenjobs für Abgeordnete, Spendenpartys, Absprachen, die niemals schriftlich fixiert wurden. Das meiste davon geschieht jeden Tag, ganz legal und kann nur von denen praktiziert werden, die schon sehr viel Geld haben. Im Zusammenspiel mit denen, die ihre politische Macht und ihre Kontakte nutzen, um die reichen und mächtigen Finanziers der Lobbys noch reicher zu machen. Bestimmte Regeln gelten nicht für gewählte Politiker. Es gibt nicht nur Musk, der massiv mit seinen Milliarden die Politik beeinflusst. Im kleineren Maßstab ist das auch gang und gäbe. Das Nachsehen haben diejenigen, die keine Lobby haben, die wenig oder gar kein Vermögen besitzen. Es ist längst wissenschaftlich nachgewiesen, dass, egal welche Parteien gerade regieren, die Politik sich nach den Bedürfnissen der Vermögendsten ausrichtet.
Es ist nur eine Nebenmeldung, dass das öffentliche private Vermögen der Deutschen auf 9.300 Milliarden gewachsen ist. Ein Zuwachs von über 1.500 Milliarden nur in 2024! Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2024 wurden mit 476,8 Milliarden Euro veranschlagt. In einem Jahr, was für die meisten Menschen mit steigenden Kosten und weniger Geld verbunden ist – und in dem alle über die Wirtschaftskrise sprechen. Die Hälfte der Bevölkerung besitzt nahezu kein Vermögen, während der größte Anteil der über 9.000 Milliarden sich auf die reichsten 10 Prozent konzentriert. Hätten wir eine funktionierende Demokratie, funktionierende Parteien, eine ausgewogene Öffentlichkeit, dann wäre dies das Hauptthema im Wahlkampf und man würde endlich über die Ursachen sprechen. So weisen wir das weit weg und wenn, dann sind es Ausnahmen. So wie wir auch das Thema Postdemokratie nicht wahrhaben wollen. Doch nicht in Deutschland, in Ungarn könnte man vielleicht darüber sprechen, sagte mir noch vor wenigen Tagen eine Journalistin in einem Gespräch über mein Buch. Doch, hier ganz konkret in unserem Land, haben wir eine marktkonforme Demokratie etabliert, die viele Merkmale der Postdemokratie trägt.
Nach der Postdemokratie
Vor mittlerweile über 15 Jahren bescheinigte Colin Crouch uns die »Postdemokratie«, eine aufrechterhaltene, demokratische Fassade mit freien Wahlen. Dahinter eine schleichende Demontage, zerfallende Diskurs- und Resonanzräume, übermächtige Lobbys. Seitdem haben Soziologen und Politikwissenschaftler den westlichen Demokratien immer wieder attestiert, in einer tiefen Krise zu stecken. Aber auch nach so vielen Jahren bleibt es eine Diskussion unter Fachleuten, die Politik zeigt sich unbeeindruckt, ignoriert den Zustand, der uns letztendlich alle betrifft. Als würden Wissenschaftler über eine sich ausbreitende Krankheit diskutieren, die nur die eine besondere Quallenart befällt.
Die Demokratie passte sich also dem Markt an. Genauer gesagt einem Teil davon, den großen, einflussreichen Playern. Kleine Unternehmen und Selbstständige müssen sich weitestgehend ohne Unterstützung und ohne großen Einfluss den harten Gesetzen des Marktes unterwerfen. Je größer der Player, desto mehr bestimmt er die Regeln, desto mehr Vergünstigungen bekommt er, desto eher wird er vom Staat gerettet, sollte er trotz der ganzen Vorteile alles in den Sand setzen, wie die Banken in der Globalen Finanzkrise 2007/2008 – »too big to fail.«
Damit kommen wir zum Kern. Die Demokratie wird so lange hingenommen, wie sie die Profite einiger sichert, wie sie dafür sorgt, dass der Reichtum von Wenigen nicht nur unangetastet bleibt, sondern sich vergrößert, ganz egal, wer dafür bezahlen muss, ausgeraubt oder belastet wird. Es geht dabei nicht mehr um das allgemeine Wachstum und auch nicht den Markt an sich. Das Zweckbündnis, das der Kapitalismus mit der Demokratie geschlossen hat, um den Sozialismus abzuwehren und zum Teil, um Wohlstand zu generieren, hat seine Notwendigkeit verloren. Das, was mal als »sozial« galt an der Marktwirtschaft, wurde schon lange aufgekündigt und ist heute nur noch ein Mythos. Ähnlich ergeht es jetzt dem »demokratischen« Teil unseres Systems. Der Finanzkapitalismus, die Oligopole und größten Marktteilnehmer brauchen keine wirkliche Demokratie mehr, höchstens noch den Namen. Nach außen wird die Fassade aber aufrechterhalten und betont, dass die demokratischen Parteien doch zusammenstehen sollen.
Demontage, Karambolage, Montage
Ich folge bei meinen Beschreibungen der Spur des Geldes, bringe einige Beispiele und eigenen Erfahrungen an, die ich in 19 Jahren Bundestag erlebt habe. In einem Kapitel beschreibe ich, wie ich selbst fast zu einem Lobbyisten wurde, wie man nach und nach in den Einflussbereich der Lobby geraten kann. Gerade die Verbreitung und Vielfältigkeit des Lobbyismus setzt auf die Korrumpierung nicht nur in der Politik. Die Medien, die Wissenschaft: am Ende ist die gesamte Öffentlichkeit davon nicht ausgenommen. Der Profitlobbyismus hat eine massive Wirkung auf die Demokratie. Aus der Demontage entstehen Karambolagen, die wir zwar wahrnehmen, aber sie immer noch vor allem anderen Ursachen zuordnen.
Nichts weniger als eine permanente Revolte ist notwendig. Diesen Begriff entlehne ich Albert Camus und mit einem Zitat von dem Literaturnobelpreisträger beschließe ich das Buch und auch diesen Text: »Die wahre Großzügigkeit der Zukunft besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben. Die Revolte beweist dadurch, dass sie die Bewegung des Lebens selbst ist und dass man sie nicht leugnen kann, ohne auf das Leben zu verzichten«.
09.02.2025 - Korrumpiert
Wir erleben den typisch taktisch geprägten Wahlkampf: Personen vermarkten und „Inhalte überwinden“. Es geht um Einwanderung und um leere Versprechen, Lobbyismus und Korruption. Die Beeinflussung und Demontage der Demokratie werden aber gnadenlos ignoriert. Doch gerade an diesen Themen sollte sich eine Wahlentscheidung festmachen. Korrupt. Dieses »böse« Wort wird bei uns gemieden. Korrupt sind Autokraten, Diktatoren in fernen Ländern. In der Politik wird über viel gestritten, aber nicht über das System, das sich entwickelt hat oder den Zustand der Demokratie. Ihre Feinde sind Extremisten von rechts und links, alle anderen dagegen seriöse, aufrechte Demokraten. Auch in Deutschland hat man immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert. Meist geht es nur noch ums Geld, um den Profit. Alles wird auf dieses Ziel ausgerichtet, egal, was das vor allem langfristig bedeutet. Es kommt zum Ausverkauf der Demokratie. Die Grenzen, das Korrektiv zu dieser Entwicklung, lösen sich auf, während wir uns über Nebenthemen streiten. Sehen wir endlich mal hin und nennen das Kind beim Namen: Nahezu unsere ganze Gesellschaft wird korrumpiert. Dazu kommt eine breite Grauzone, die sich zwischen Politik und Unternehmen entwickelt hat. Es gibt privilegierte Zugänge, starke Beeinflussungen, Abhängigkeiten, Druck, Erwartungen und Vorteilsnahmen. An deren Wirkungsende steht, dass Profitinteressen bei politischen Entscheidungen Vorrang vor dem Gemeinwohl haben. Gerade auch die Politik wird korrumpiert. Und unsere Demokratie schützt davor immer weniger. Im Gegenteil, sie wird genau daran angepasst. Was heißt denn überhaupt »korrupt«? Der Ausdruck geht auf das lateinische Wort corruptus zurück, welches gleich mehrere Bedeutungen aufweist: »verdorben«, »sittenlos«, »bestochen«, »verkehrt«. Der Begriff lässt sich nicht nur in der Wirtschaft oder Politik, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen anwenden. Bei uns wird er heute meist direkt mit Geld in Zusammenhang gebracht. Korruption meint allerdings eher den allgemeinen Missbrauch einer Vertrauensstellung. Dieser besteht darin, eine Position, die man innehat, zum weiteren Vorteil auszunutzen oder jemand anderen, der eine Position innehat, mit einem Angebot, einer Gegenleistung zu selbigem anzustiften. Dabei spielt es natürlich eine wichtige Rolle, ob es sich um eine öffentliche Stellung handelt und wer der eigentliche Auftraggeber dieser Person ist. Legale Korruption Das wahre Ausmaß von Korruption und legaler Korruption ist viel größer, als es den Anschein hat. Legale Korruption? Ja, genau darum geht es auch in meinem neuen Buch. Ich beschreibe die Vorgänge bei Cum-Ex, die Maskendeals, die Sponsorengelder, gut honorierte Nebenjobs für Abgeordnete, Spendenpartys, Absprachen, die niemals schriftlich fixiert wurden. Das meiste davon geschieht jeden Tag, ganz legal und kann nur von denen praktiziert werden, die schon sehr viel Geld haben. Im Zusammenspiel mit denen, die ihre politische Macht und ihre Kontakte nutzen, um die reichen und mächtigen Finanziers der Lobbys noch reicher zu machen. Bestimmte Regeln gelten nicht für gewählte Politiker. Es gibt nicht nur Musk, der massiv mit seinen Milliarden die Politik beeinflusst. Im kleineren Maßstab ist das auch gang und gäbe. Das Nachsehen haben diejenigen, die keine Lobby haben, die wenig oder gar kein Vermögen besitzen. Es ist längst wissenschaftlich nachgewiesen, dass, egal welche Parteien gerade regieren, die Politik sich nach den Bedürfnissen der Vermögendsten ausrichtet. Es ist nur eine Nebenmeldung, dass das öffentliche private Vermögen der Deutschen auf 9.300 Milliarden gewachsen ist. Ein Zuwachs von über 1.500 Milliarden nur in 2024! Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2024 wurden mit 476,8 Milliarden Euro veranschlagt. In einem Jahr, was für die meisten Menschen mit steigenden Kosten und weniger Geld verbunden ist – und in dem alle über die Wirtschaftskrise sprechen. Die Hälfte der Bevölkerung besitzt nahezu kein Vermögen, während der größte Anteil der über 9.000 Milliarden sich auf die reichsten 10 Prozent konzentriert. Hätten wir eine funktionierende Demokratie, funktionierende Parteien, eine ausgewogene Öffentlichkeit, dann wäre dies das Hauptthema im Wahlkampf und man würde endlich über die Ursachen sprechen. So weisen wir das weit weg und wenn, dann sind es Ausnahmen. So wie wir auch das Thema Postdemokratie nicht wahrhaben wollen. Doch nicht in Deutschland, in Ungarn könnte man vielleicht darüber sprechen, sagte mir noch vor wenigen Tagen eine Journalistin in einem Gespräch über mein Buch. Doch, hier ganz konkret in unserem Land, haben wir eine marktkonforme Demokratie etabliert, die viele Merkmale der Postdemokratie trägt. Nach der Postdemokratie Vor mittlerweile über 15 Jahren bescheinigte Colin Crouch uns die »Postdemokratie«, eine aufrechterhaltene, demokratische Fassade mit freien Wahlen. Dahinter eine schleichende Demontage, zerfallende Diskurs- und Resonanzräume, übermächtige Lobbys. Seitdem haben Soziologen und Politikwissenschaftler den westlichen Demokratien immer wieder attestiert, in einer tiefen Krise zu stecken. Aber auch nach so vielen Jahren bleibt es eine Diskussion unter Fachleuten, die Politik zeigt sich unbeeindruckt, ignoriert den Zustand, der uns letztendlich alle betrifft. Als würden Wissenschaftler über eine sich ausbreitende Krankheit diskutieren, die nur die eine besondere Quallenart befällt. Die Demokratie passte sich also dem Markt an. Genauer gesagt einem Teil davon, den großen, einflussreichen Playern. Kleine Unternehmen und Selbstständige müssen sich weitestgehend ohne Unterstützung und ohne großen Einfluss den harten Gesetzen des Marktes unterwerfen. Je größer der Player, desto mehr bestimmt er die Regeln, desto mehr Vergünstigungen bekommt er, desto eher wird er vom Staat gerettet, sollte er trotz der ganzen Vorteile alles in den Sand setzen, wie die Banken in der Globalen Finanzkrise 2007/2008 – »too big to fail.« Damit kommen wir zum Kern. Die Demokratie wird so lange hingenommen, wie sie die Profite einiger sichert, wie sie dafür sorgt, dass der Reichtum von Wenigen nicht nur unangetastet bleibt, sondern sich vergrößert, ganz egal, wer dafür bezahlen muss, ausgeraubt oder belastet wird. Es geht dabei nicht mehr um das allgemeine Wachstum und auch nicht den Markt an sich. Das Zweckbündnis, das der Kapitalismus mit der Demokratie geschlossen hat, um den Sozialismus abzuwehren und zum Teil, um Wohlstand zu generieren, hat seine Notwendigkeit verloren. Das, was mal als »sozial« galt an der Marktwirtschaft, wurde schon lange aufgekündigt und ist heute nur noch ein Mythos. Ähnlich ergeht es jetzt dem »demokratischen« Teil unseres Systems. Der Finanzkapitalismus, die Oligopole und größten Marktteilnehmer brauchen keine wirkliche Demokratie mehr, höchstens noch den Namen. Nach außen wird die Fassade aber aufrechterhalten und betont, dass die demokratischen Parteien doch zusammenstehen sollen. Demontage, Karambolage, Montage Ich folge bei meinen Beschreibungen der Spur des Geldes, bringe einige Beispiele und eigenen Erfahrungen an, die ich in 19 Jahren Bundestag erlebt habe. In einem Kapitel beschreibe ich, wie ich selbst fast zu einem Lobbyisten wurde, wie man nach und nach in den Einflussbereich der Lobby geraten kann. Gerade die Verbreitung und Vielfältigkeit des Lobbyismus setzt auf die Korrumpierung nicht nur in der Politik. Die Medien, die Wissenschaft: am Ende ist die gesamte Öffentlichkeit davon nicht ausgenommen. Der Profitlobbyismus hat eine massive Wirkung auf die Demokratie. Aus der Demontage entstehen Karambolagen, die wir zwar wahrnehmen, aber sie immer noch vor allem anderen Ursachen zuordnen. Nichts weniger als eine permanente Revolte ist notwendig. Diesen Begriff entlehne ich Albert Camus und mit einem Zitat von dem Literaturnobelpreisträger beschließe ich das Buch und auch diesen Text: »Die wahre Großzügigkeit der Zukunft besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben. Die Revolte beweist dadurch, dass sie die Bewegung des Lebens selbst ist und dass man sie nicht leugnen kann, ohne auf das Leben zu verzichten«.
Autoren von "Korrumpiert"
Bücher von Marco Bülow