25.01.2025 - Wie JFK den Frieden in der Ukraine anstreben würde
Jeffrey Sachs:
Der weltbekannte Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs gewann als
wirtschaftlicher Berater der postsowjetischen Regierungen in Polen und Russland
sowie durch seine Tätigkeit als Sonderberater des Generalsekretärs der UN tiefe
Einblicke in die Hintergründe der aktuellen geopolitischen Krise. In seinem Buch
„Diplomatie oder Desaster“ zeigt er auf, wie dreißig Jahre aggressive
NATO-Osterweiterung und gebrochene Versprechen seitens der USA dazu beigetragen
haben, diesem Konflikt den Weg zu bereiten. Die Situation ist nach wie vor
brandgefährlich und die Führer auf beiden Seiten der Front bringen uns mit jeder
Eskalation näher an den Rand einer Katastrophe. Doch es besteht nach wie vor
auch Grund zur Hoffnung: Wie Jeffrey Sachs aufzeigt, sind die Grundlagen für
eine diplomatische Lösung nach wie vor gegeben, und die Ära des Kalten Krieges
hat gezeigt, dass dies die einzige Lösung ist, um das Allerschlimmste zu
verhindern – das gilt heute vielleicht mehr denn je. Ein Auszug.
Präsident John F. Kennedy war einer der großen Friedensstifter der Welt.
Er führte eine friedliche Lösung der Kubakrise herbei und handelte auf dem
Höhepunkt des Kalten Krieges erfolgreich den Teilvertrag über das Verbot von
Nuklearversuchen mit der Sowjetunion aus. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung
unternahm er Schritte zur Beendigung des amerikanischen Engagements in Vietnam
In seiner schillernden und unübertroffenen Friedensrede, die er am 10.
Juni 1963 hielt, legte Kennedy seine Formel für den Frieden mit der Sowjetunion
dar. Diese Rede macht deutlich, dass die US-Herangehensweise an Russland und den
Ukraine-Krieg eine dramatische Neuausrichtung erfordert. Bisher hat sich das
Weiße Haus nicht an die von Kennedy empfohlenen Regeln gehalten, um Frieden zu
finden. Wenn man jedoch Kennedys Rat beherzigt, könnte Amerika erneut ein
Friedensstifter werden.
Ein Mathematiker würde JFKs Rede als »konstruktiven Beweis« dafür
bezeichnen, wie man Frieden schaffen kann, da die Rede selbst direkt zum
Atomteststoppvertrag beitrug, der im Juli 1963 von den USA und der Sowjetunion
unterzeichnet wurde. Nach Erhalt der Rede teilte der sowjetische Staatschef
Nikita Chruschtschow Kennedys Gesandtem in Russland, Averell Harriman, mit, dass
es sich um die beste Rede eines amerikanischen Präsidenten seit Franklin D.
Roosevelt handele und dass er mit Kennedy Frieden schließen wolle.
In der Rede beschreibt Kennedy den Frieden »als das notwendige rationale Ziel
vernünftiger Menschen«. Dennoch räumt er ein, dass es nicht einfach ist, Frieden
zu schaffen: »Mir ist klar, dass das Streben nach Frieden nicht so dramatisch
ist wie das Streben nach Krieg – und häufig stoßen die Worte des Verfolgers auf
taube Ohren. Aber wir haben keine dringendere Aufgabe.«
Der wichtigste Schlüssel zum Frieden ist nach Kennedys Ansicht die Tatsache,
dass beide Seiten den Frieden wollen. Man gerät leicht in die Falle, einen
Konflikt nur der anderen Seite anzulasten und darauf zu bestehen, dass nur der
Gegner seine Einstellungen und sein Verhalten ändern sollte. Kennedy sagt ganz
klar: »Wir müssen unsere eigene Haltung überdenken – als Einzelne und als Nation
–, denn unsere Haltung ist genauso wichtig wie die der anderen.«
Kennedy wandte sich gegen den im Kalten Krieg vorherrschenden Pessimismus,
dass ein Frieden mit der Sowjetunion unmöglich sei, und »dass der Krieg
unvermeidlich ist, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist, dass wir von
Kräften beherrscht werden, die wir nicht kontrollieren können. Wir brauchen
diese Ansicht nicht zu akzeptieren. Unsere Probleme sind von Menschen gemacht –
also können sie auch von Menschen gelöst werden.«
Entscheidend sei, so Kennedy, dass man »nicht nur ein verzerrtes und
verzweifeltes Bild der anderen Seite sieht«. Wir dürfen »einen Konflikt nicht
als unvermeidlich, ein Entgegenkommen nicht als unmöglich und eine Kommunikation
nicht als bloßen Austausch von Drohungen ansehen«, sondern vielmehr »das
russische Volk für seine zahlreichen Errungenschaften würdigen – in Wissenschaft
und Raumfahrt, in wirtschaftlichem und industriellem Wachstum, in der Kultur und
in Taten des Mutes.
Kennedy warnte auch davor, einen nuklearen Gegner in eine Ecke zu drängen,
die ihn zu Verzweiflungstaten verleiten könnte: »Vor allem müssen die
Atommächte bei der Verteidigung ihrer eigenen lebenswichtigen Interessen solche
Konfrontationen vermeiden, die einen Gegner vor die Wahl stellen, entweder einen
demütigenden Rückzug oder einen Atomkrieg zu führen. Ein solcher Kurs im
Atomzeitalter wäre nur ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder für
einen kollektiven Todeswunsch für die Welt.«
Vermutlich ahnte Kennedy, dass ein Friedensvertrag vor allem deshalb zustande
kommen konnte, da der Frieden im gemeinsamen Interesse der USA und der
Sowjetunion lag. Jenen, die behaupteten, die Sowjetunion würde sich nicht an
einen Friedensvertrag halten, entgegnete Kennedy, dass »sowohl die
Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten als auch die Sowjetunion und deren
Verbündete ein gegenseitiges tiefes Interesse an einem gerechten und echten
Frieden und an der Beendigung des Wettrüstens haben. Vereinbarungen zu diesem
Zweck liegen sowohl im Interesse der Sowjetunion als auch in unserem – und
selbst die feindlichsten Nationen können sich darauf verlassen, daß sie die
Vertragsverpflichtungen, und nur diese, akzeptieren und einhalten, die in ihrem
eigenen Interesse liegen.«
Von zentraler Bedeutung war für Kennedy die direkte Kommunikation zwischen
den Kontrahenten. Der Frieden, sagte er, »wird ein besseres Verständnis
zwischen den Sowjets und uns erfordern. Und ein besseres Verständnis erfordert
mehr Kontakt und Kommunikation. Ein Schritt in diese Richtung ist das
vorgeschlagene Arrangement für eine direkte Verbindung zwischen Moskau und
Washington, um auf beiden Seiten die gefährlichen Verzögerungen,
Missverständnisse und Fehlinterpretationen der Handlungen der anderen Seite zu
vermeiden, die in Krisenzeiten auftreten können.«
Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg hat sich Biden fast vollständig
gegenteilig verhalten. Er hat Putin persönlich und wiederholt verunglimpft.
Seine Regierung hat das Kriegsziel der USA als Schwächung Russlands definiert.
Biden hat jede Kommunikation mit Putin vermieden. Seit Februar 2022 haben sie
offenbar kein einziges Mal miteinander gesprochen, und Biden hat ein bilaterales
Treffen mit Putin auf dem G20-Gipfel in Bali abgelehnt.
Biden hat sich auch geweigert, die großen Sicherheitsbedenken Russlands auch
nur anzuerkennen, geschweige denn, darauf einzugehen. Putin hat wiederholt zum
Ausdruck gebracht, dass Russland eine NATO-Erweiterung auf die Ukraine – ein
Land mit einer knapp 2 000 Kilometer langen Grenze zu Russland – entschieden
ablehnt. Die USA würden ein mexikanisch-russisches oder mexikanisch-chinesisches
Militärbündnis angesichts der über 3000 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko
und den USA ja ebenfalls niemals tolerieren. Es ist an der Zeit, dass Biden mit
Russland über die NATO-Erweiterung verhandelt, und zwar im Rahmen umfassenderer
Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges.
Als Kennedy im Januar 1961 sein Amt antrat, legte er seinen Standpunkt zu
Verhandlungen klar dar: »Wir sollten niemals aus Angst verhandeln. Aber lasst
uns niemals Angst haben zu verhandeln. Lasst beide Seiten erforschen, welche
Probleme uns verbinden, anstatt an den Problemen herumzudoktern, die uns
trennen.« In seiner Friedensrede erinnerte JFK daran, dass das, was die USA und
Russland eint, darin besteht, dass »wir alle diesen kleinen Planeten bewohnen.
Wir alle atmen die gleiche Luft. Wir alle sorgen uns um die Zukunft unserer
Kinder. Und wir sind alle sterblich.«
(Geschrieben im Juni 2023)
Autoren von "Wie JFK den Frieden in der Ukraine anstreben würde"
25.01.2025 - Wie JFK den Frieden in der Ukraine anstreben würde
Der weltbekannte Entwicklungsökonom Jeffrey Sachs gewann als wirtschaftlicher Berater der postsowjetischen Regierungen in Polen und Russland sowie durch seine Tätigkeit als Sonderberater des Generalsekretärs der UN tiefe Einblicke in die Hintergründe der aktuellen geopolitischen Krise. In seinem Buch „Diplomatie oder Desaster“ zeigt er auf, wie dreißig Jahre aggressive NATO-Osterweiterung und gebrochene Versprechen seitens der USA dazu beigetragen haben, diesem Konflikt den Weg zu bereiten. Die Situation ist nach wie vor brandgefährlich und die Führer auf beiden Seiten der Front bringen uns mit jeder Eskalation näher an den Rand einer Katastrophe. Doch es besteht nach wie vor auch Grund zur Hoffnung: Wie Jeffrey Sachs aufzeigt, sind die Grundlagen für eine diplomatische Lösung nach wie vor gegeben, und die Ära des Kalten Krieges hat gezeigt, dass dies die einzige Lösung ist, um das Allerschlimmste zu verhindern – das gilt heute vielleicht mehr denn je. Ein Auszug.
Präsident John F. Kennedy war einer der großen Friedensstifter der Welt. Er führte eine friedliche Lösung der Kubakrise herbei und handelte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges erfolgreich den Teilvertrag über das Verbot von Nuklearversuchen mit der Sowjetunion aus. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung unternahm er Schritte zur Beendigung des amerikanischen Engagements in Vietnam
In seiner schillernden und unübertroffenen Friedensrede, die er am 10. Juni 1963 hielt, legte Kennedy seine Formel für den Frieden mit der Sowjetunion dar. Diese Rede macht deutlich, dass die US-Herangehensweise an Russland und den Ukraine-Krieg eine dramatische Neuausrichtung erfordert. Bisher hat sich das Weiße Haus nicht an die von Kennedy empfohlenen Regeln gehalten, um Frieden zu finden. Wenn man jedoch Kennedys Rat beherzigt, könnte Amerika erneut ein Friedensstifter werden.
Ein Mathematiker würde JFKs Rede als »konstruktiven Beweis« dafür bezeichnen, wie man Frieden schaffen kann, da die Rede selbst direkt zum Atomteststoppvertrag beitrug, der im Juli 1963 von den USA und der Sowjetunion unterzeichnet wurde. Nach Erhalt der Rede teilte der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow Kennedys Gesandtem in Russland, Averell Harriman, mit, dass es sich um die beste Rede eines amerikanischen Präsidenten seit Franklin D. Roosevelt handele und dass er mit Kennedy Frieden schließen wolle.
In der Rede beschreibt Kennedy den Frieden »als das notwendige rationale Ziel vernünftiger Menschen«. Dennoch räumt er ein, dass es nicht einfach ist, Frieden zu schaffen: »Mir ist klar, dass das Streben nach Frieden nicht so dramatisch ist wie das Streben nach Krieg – und häufig stoßen die Worte des Verfolgers auf taube Ohren. Aber wir haben keine dringendere Aufgabe.«
Der wichtigste Schlüssel zum Frieden ist nach Kennedys Ansicht die Tatsache, dass beide Seiten den Frieden wollen. Man gerät leicht in die Falle, einen Konflikt nur der anderen Seite anzulasten und darauf zu bestehen, dass nur der Gegner seine Einstellungen und sein Verhalten ändern sollte. Kennedy sagt ganz klar: »Wir müssen unsere eigene Haltung überdenken – als Einzelne und als Nation –, denn unsere Haltung ist genauso wichtig wie die der anderen.«
Kennedy wandte sich gegen den im Kalten Krieg vorherrschenden Pessimismus, dass ein Frieden mit der Sowjetunion unmöglich sei, und
»dass der Krieg unvermeidlich ist, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist, dass wir von Kräften beherrscht werden, die wir nicht kontrollieren können. Wir brauchen diese Ansicht nicht zu akzeptieren. Unsere Probleme sind von Menschen gemacht – also können sie auch von Menschen gelöst werden.«
Entscheidend sei, so Kennedy, dass man »nicht nur ein verzerrtes und verzweifeltes Bild der anderen Seite sieht«. Wir dürfen »einen Konflikt nicht als unvermeidlich, ein Entgegenkommen nicht als unmöglich und eine Kommunikation nicht als bloßen Austausch von Drohungen ansehen«, sondern vielmehr »das russische Volk für seine zahlreichen Errungenschaften würdigen – in Wissenschaft und Raumfahrt, in wirtschaftlichem und industriellem Wachstum, in der Kultur und in Taten des Mutes.
Kennedy warnte auch davor, einen nuklearen Gegner in eine Ecke zu drängen, die ihn zu Verzweiflungstaten verleiten könnte:
»Vor allem müssen die Atommächte bei der Verteidigung ihrer eigenen lebenswichtigen Interessen solche Konfrontationen vermeiden, die einen Gegner vor die Wahl stellen, entweder einen demütigenden Rückzug oder einen Atomkrieg zu führen. Ein solcher Kurs im Atomzeitalter wäre nur ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder für einen kollektiven Todeswunsch für die Welt.«
Vermutlich ahnte Kennedy, dass ein Friedensvertrag vor allem deshalb zustande kommen konnte, da der Frieden im gemeinsamen Interesse der USA und der Sowjetunion lag. Jenen, die behaupteten, die Sowjetunion würde sich nicht an einen Friedensvertrag halten, entgegnete Kennedy, dass
»sowohl die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten als auch die Sowjetunion und deren Verbündete ein gegenseitiges tiefes Interesse an einem gerechten und echten Frieden und an der Beendigung des Wettrüstens haben. Vereinbarungen zu diesem Zweck liegen sowohl im Interesse der Sowjetunion als auch in unserem – und selbst die feindlichsten Nationen können sich darauf verlassen, daß sie die Vertragsverpflichtungen, und nur diese, akzeptieren und einhalten, die in ihrem eigenen Interesse liegen.«
Von zentraler Bedeutung war für Kennedy die direkte Kommunikation zwischen den Kontrahenten. Der Frieden, sagte er,
»wird ein besseres Verständnis zwischen den Sowjets und uns erfordern. Und ein besseres Verständnis erfordert mehr Kontakt und Kommunikation. Ein Schritt in diese Richtung ist das vorgeschlagene Arrangement für eine direkte Verbindung zwischen Moskau und Washington, um auf beiden Seiten die gefährlichen Verzögerungen, Missverständnisse und Fehlinterpretationen der Handlungen der anderen Seite zu vermeiden, die in Krisenzeiten auftreten können.«
Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg hat sich Biden fast vollständig gegenteilig verhalten. Er hat Putin persönlich und wiederholt verunglimpft. Seine Regierung hat das Kriegsziel der USA als Schwächung Russlands definiert. Biden hat jede Kommunikation mit Putin vermieden. Seit Februar 2022 haben sie offenbar kein einziges Mal miteinander gesprochen, und Biden hat ein bilaterales Treffen mit Putin auf dem G20-Gipfel in Bali abgelehnt.
Biden hat sich auch geweigert, die großen Sicherheitsbedenken Russlands auch nur anzuerkennen, geschweige denn, darauf einzugehen. Putin hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass Russland eine NATO-Erweiterung auf die Ukraine – ein Land mit einer knapp 2 000 Kilometer langen Grenze zu Russland – entschieden ablehnt. Die USA würden ein mexikanisch-russisches oder mexikanisch-chinesisches Militärbündnis angesichts der über 3000 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko und den USA ja ebenfalls niemals tolerieren. Es ist an der Zeit, dass Biden mit Russland über die NATO-Erweiterung verhandelt, und zwar im Rahmen umfassenderer Verhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges.
Als Kennedy im Januar 1961 sein Amt antrat, legte er seinen Standpunkt zu Verhandlungen klar dar: »Wir sollten niemals aus Angst verhandeln. Aber lasst uns niemals Angst haben zu verhandeln. Lasst beide Seiten erforschen, welche Probleme uns verbinden, anstatt an den Problemen herumzudoktern, die uns trennen.« In seiner Friedensrede erinnerte JFK daran, dass das, was die USA und Russland eint, darin besteht, dass »wir alle diesen kleinen Planeten bewohnen. Wir alle atmen die gleiche Luft. Wir alle sorgen uns um die Zukunft unserer Kinder. Und wir sind alle sterblich.«
(Geschrieben im Juni 2023)
Autoren von "Wie JFK den Frieden in der Ukraine anstreben würde"
Bücher von Jeffrey Sachs