Nach dem Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition ist es still geworden um die
Gesundheitspolitik. Gerade noch auf den letzten Drücker hat die Lauterbach‘sche
Krankenhausrevolution mit dem angeberischen Namen
Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) Bundestag und Bundesrat
passiert. Da ist das Gewitter neuer Gesetze und Verordnungen, deren Folgen auch
für Fachleute in dieser Geschwindigkeit teilweise nicht überschaubar waren,
einer seltsamen Ruhe gewichen. Alle halten inne und warten, was für eine
Sozialpolitik eine neue Bundesregierung wohl machen wird.
In dieses Vakuum hinein ruft die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des
Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, dass man die Diskriminierung
der gesetzlich Versicherten bei der Vergabe von Arztterminen nicht länger
hinnehmen könne. Alle wissen, dass sie mit dieser Zustandsbeschreibung recht
hat, dass nämlich Privatpatienten nicht lange auf einen Termin warten müssen,
gesetzlich Versicherte aber manchmal Wochen oder Monate. Und kaum ausgesprochen,
kommt auch unser fast schon vergessener Gesundheitsminister wieder zum Vorschein
und spricht: „Längere Wartezeiten für Kassenpatienten in Praxen und
Krankenhäusern sind nicht weiter tragbar. Jeder gesetzlich Versicherte muss
genauso schnell behandelt werden wie ein Privatversicherter.“
Neunzig Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich versichert, zehn Prozent in
Privatkassen. Diese Zweiteilung ist einmalig in Europa und bedeutet, das sich
Gutverdienende und fast alle Beamten aus der Solidarversicherung verabschieden.
Als Privatversicherte genießen sie Privilegien, zum Beispiel bei der
Unterbringung im Krankenhaus, bei der Chefarztbehandlung oder bei den schnellen
Zugängen zu Arztterminen, denn ihre Behandlung generiert bis zu zwanzig Prozent
der Umsätze in Arztpraxen. Über diese Privilegien kann man immer wieder
lamentieren, aber niemand wagt es, daran die Axt anzulegen. Das würde nämlich
bedeuten, dass man die Privaten als Regelversicherungen abschaffen müsste. Schon
eine solche Andeutung ruft großes Geschrei hervor, am lautesten aus der
Ärzteschaft, die um ihre Umsätze fürchtet, und für den Chef der Kassenärzte ist
diese alljährlich wiederkehrende Neiddebatte „populistischer Blödsinn“,
unredlich, albern und peinlich. Die immerkluge Seite von Wikipedia schreibt
dazu: „Neid bezeichnet eine Empfindung, bei der die neidende Person über die
Güter einer anderen Person selbst verfügen möchte.“ Neid ist immerhin eine der
sieben Todsünden, aber er ist bei den Wartezeiten auf Arzttermine eigentlich
verständlich.
Aber nehmen wir einmal an, wir hätten eine Bürgerversicherung, also ein
Krankenversicherungssystem, bei dem ausnahmslos alle gesetzlich
krankenversichert sind, je nach ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit. Was wäre
die Folge? Die Privatversicherer würden umgehend eine breite Palette von
Zusatzversicherungen anbieten, mit der alle Besserverdienenden sich im
Handumdrehen wieder sämtliche Privilegien erkaufen könnten, die man ihnen mit
der Bürgerversicherung eigentlich hatte wegnehmen wollen, und die Arztpraxen
hätten im gleichen Zug ihre alten Umsätze wiedererlangt. Die
„Zweiklassenmedizin“ müsse beendet werden, ruft unser Gesundheitsminister. Mit
dieser Illusion will er den Schwächeren in unserer Gesellschaft suggerieren, er
stehe an ihrer Seite. Die Wahrheit aber ist, dass es in einer
Klassengesellschaft Klassen gibt, wie der Name schon sagt, im Flugzeug, in der
Bahn, im Krankenhaus, eben auch in der Gesundheitsversorgung. Und die
Klassengesellschaft wird ja nicht abgeschafft. Es wird also alles beim Alten
bleiben. Daran wird auch kein neues Terminversorgungsverbesserungsgesetz etwas
ändern.
18.01.2025 - Termin-Neid
Nach dem Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition ist es still geworden um die Gesundheitspolitik. Gerade noch auf den letzten Drücker hat die Lauterbach‘sche Krankenhausrevolution mit dem angeberischen Namen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) Bundestag und Bundesrat passiert. Da ist das Gewitter neuer Gesetze und Verordnungen, deren Folgen auch für Fachleute in dieser Geschwindigkeit teilweise nicht überschaubar waren, einer seltsamen Ruhe gewichen. Alle halten inne und warten, was für eine Sozialpolitik eine neue Bundesregierung wohl machen wird.
In dieses Vakuum hinein ruft die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, dass man die Diskriminierung der gesetzlich Versicherten bei der Vergabe von Arztterminen nicht länger hinnehmen könne. Alle wissen, dass sie mit dieser Zustandsbeschreibung recht hat, dass nämlich Privatpatienten nicht lange auf einen Termin warten müssen, gesetzlich Versicherte aber manchmal Wochen oder Monate. Und kaum ausgesprochen, kommt auch unser fast schon vergessener Gesundheitsminister wieder zum Vorschein und spricht: „Längere Wartezeiten für Kassenpatienten in Praxen und Krankenhäusern sind nicht weiter tragbar. Jeder gesetzlich Versicherte muss genauso schnell behandelt werden wie ein Privatversicherter.“
Neunzig Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich versichert, zehn Prozent in Privatkassen. Diese Zweiteilung ist einmalig in Europa und bedeutet, das sich Gutverdienende und fast alle Beamten aus der Solidarversicherung verabschieden. Als Privatversicherte genießen sie Privilegien, zum Beispiel bei der Unterbringung im Krankenhaus, bei der Chefarztbehandlung oder bei den schnellen Zugängen zu Arztterminen, denn ihre Behandlung generiert bis zu zwanzig Prozent der Umsätze in Arztpraxen. Über diese Privilegien kann man immer wieder lamentieren, aber niemand wagt es, daran die Axt anzulegen. Das würde nämlich bedeuten, dass man die Privaten als Regelversicherungen abschaffen müsste. Schon eine solche Andeutung ruft großes Geschrei hervor, am lautesten aus der Ärzteschaft, die um ihre Umsätze fürchtet, und für den Chef der Kassenärzte ist diese alljährlich wiederkehrende Neiddebatte „populistischer Blödsinn“, unredlich, albern und peinlich. Die immerkluge Seite von Wikipedia schreibt dazu: „Neid bezeichnet eine Empfindung, bei der die neidende Person über die Güter einer anderen Person selbst verfügen möchte.“ Neid ist immerhin eine der sieben Todsünden, aber er ist bei den Wartezeiten auf Arzttermine eigentlich verständlich.
Aber nehmen wir einmal an, wir hätten eine Bürgerversicherung, also ein Krankenversicherungssystem, bei dem ausnahmslos alle gesetzlich krankenversichert sind, je nach ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit. Was wäre die Folge? Die Privatversicherer würden umgehend eine breite Palette von Zusatzversicherungen anbieten, mit der alle Besserverdienenden sich im Handumdrehen wieder sämtliche Privilegien erkaufen könnten, die man ihnen mit der Bürgerversicherung eigentlich hatte wegnehmen wollen, und die Arztpraxen hätten im gleichen Zug ihre alten Umsätze wiedererlangt.
Die „Zweiklassenmedizin“ müsse beendet werden, ruft unser Gesundheitsminister. Mit dieser Illusion will er den Schwächeren in unserer Gesellschaft suggerieren, er stehe an ihrer Seite. Die Wahrheit aber ist, dass es in einer Klassengesellschaft Klassen gibt, wie der Name schon sagt, im Flugzeug, in der Bahn, im Krankenhaus, eben auch in der Gesundheitsversorgung. Und die Klassengesellschaft wird ja nicht abgeschafft. Es wird also alles beim Alten bleiben. Daran wird auch kein neues Terminversorgungsverbesserungsgesetz etwas ändern.
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Autoren von "Termin-Neid"
Bücher von Bernd Hontschik