17.11.2024 - Wissen, was wir wollen: Ohne Ziel gibt es keinen Weg zum Ziel
Erich Vad:
Ein Funke – oder auch: ein Taurus-Marschflugkörper – genügt und in
Deutschland herrscht Krieg. Grausamer und schlimmer als wir es uns vorstellen
können. Ein Krieg, der unser aller Ende werden kann. Weshalb also haben deutsche
Politiker noch immer keine Strategie entworfen, um den Krieg in der Ukraine
politisch zu beenden? Diese Frage stellt Ex-General Erich Vad in seinem neuen
Buch „Ernstfall für Deutschland. Ein Handbuch gegen den Krieg“ und entwirft ein
furchterregendes Szenario, sollte der Ukraine-Krieg aus dem Ruder laufen und
nach Deutschland übergreifen. Er erklärt, warum die geplante Stationierung von
amerikanischen Mittelstreckenwaffen diskutiert werden muss und inwiefern sich
gerade Deutschland für Frieden einsetzen kann und muss. Ein Auszug.
Natürlich kann man auch ohne Ziel ankommen. Bloß kommt man dann irgendwo an, zum
Beispiel in einem Deutschland, das sich im Krieg befindet. Wenn also ein Krieg
vor der Haustür steht und man die Verantwortung für rund fünfundachtzig
Millionen Menschen trägt, sollte man keinen ziellosen Schlingerkurs ohne Kompass
fahren. Und doch tun wir genau das. Die deutsche Politik hat keine
realistischen, erreichbaren Ziele, wenn sie einen Sieg der Ukraine herbeireden
will, statt Verhandlungen anzustoßen. Die deutsche Politik ignoriert
militärische und strategische Realitäten, denkt nicht vom Ende her und agiert
nicht auf Basis der deutschen Interessenlage. Beispiel Waffenlieferungen:
Was ist das Ziel, wenn man nicht parallel auf eine politische Lösung und
Verhandlungen setzt? Eine Nuklearmacht wie Russland und ein Diktator wie Putin,
der seine Bevölkerung rücksichtslos im Krieg verheizt, lassen sich nicht mit ein
paar Panzern besiegen. Sie lassen sich auch nicht abnutzen, zumindest nicht von
der Ukraine allein. Also kann das Ziel von Waffenlieferungen nur sein, eine
Niederlage der Ukraine zu verhindern und deren Verhandlungsposition zu stärken.
Dann braucht man jedoch auch eine Strategie für »danach«. Soll die Ukraine
unabhängig sein? Wie würden wir diese Unabhängigkeit sichern und in der Zukunft
schützen? Es ist trotz allem unwahrscheinlich, dass die Ukraine in absehbarer
Zeit Mitglied der Europäischen Union oder der NATO wird; dieser Schutz wäre also
erst einmal nicht gegeben. Und wie würden wir Russland in eine europäische
Ordnung mit einer unabhängigen Ukraine einbeziehen? Was bekäme Putin im
Gegenzug? Schließlich wollen wir ihn nicht vollends in die Arme Pekings treiben,
denn das würde die Machtverhältnisse zu unseren Ungunsten verschieben. Das sind
nur einige der Fragen, die beantwortet werden müssten. Waffen alleine sind hier
weder der Weg zum Sieg noch zum Frieden; ohne realistische Ziele sind sie
politischer Aktionismus und reine Symbolpolitik. Wer zudem immer weitere
Waffen oder sogar Waffensysteme wie Taurus fordert, mit denen sich die Ukraine
nicht nur verteidigen, sondern Russland angreifen könnte, verschließt die Augen
vor den möglichen Konsequenzen. Da wäre das Völkerrecht, mit dem wir uns zu
Recht ausgiebig beschäftigen, seit wir Waffen liefern. Aber Putin wird sich kaum
darum scheren, ob unsere Waffenlieferungen vom Völkerrecht gedeckt sind oder
nicht. Es ist wahrscheinlicher, dass er das Geberland Deutschland als
Kriegspartei wahrnimmt, falls zum Beispiel Taurus-Marschflugkörper aus der
Ukraine auf Moskau abgefeuert würden. Ich sage nicht, dass Putin damit richtig
liegt. Ich sage: Man muss sich der realistischen Konsequenzen bewusst sein und –
im Sinne Deutschlands – vom Ende her denken. Für Deutschland kann die Lösung
nur sein, eine langfristige politische Strategie zu entwickeln und sie mit
Hilfen für die Ukraine (wie zum Beispiel Waffenlieferungen, soweit sie Sinn
machen) zu verbinden. Deutschland muss endlich die richtigen Fragen stellen und
beantworten: Wie sehen mögliche Wege aus dem Konflikt aus? Wie kann ein
möglicher Frieden aussehen? Was kann und soll für die Ukraine erreicht werden?
Welche Ziele sind realistisch und was steht im Weg? Wie schaffen wir es
zugleich, Deutschlands Interessen zu wahren? Bislang zeigt sich die deutsche
Politik jedoch strategisch planlos und nicht lösungsorientiert. So kann kein
Krieg beendet werden und erst recht nicht in unserem Sinne beendet werden. Das
mag – ähnlich wie oben – vermessen klingen. Schließlich geht es doch um die
Ukraine! Nein, es geht immer auch um Deutschland: Der Krieg kann nach
Deutschland hinüberschwappen. Dass wir die Ukraine unterstützen ist richtig,
aber immens teuer, der Wiederaufbau nach dem Krieg noch nicht eingerechnet.
Russland zu ächten mag moralisch richtig sein, kostet uns aber ebenfalls – und
zeigt bisher weder die erhoffte durchschlagende Wirkung, noch bringt es Putin an
den Verhandlungstisch. Weil es also auch um Deutschland – wie überhaupt um
Europa – geht, darf die deutsche Politik die eigenen nationalen Interessen nicht
einfach ausklammern. Stattdessen muss sie endlich eine umfassende Strategie für
Deutschland finden, die sich an unseren nationalen Interessen orientiert und
über den Krieg in der Ukraine hinausreicht, selbst wenn er eines unserer
dringendsten Probleme ist. Deutschland muss wieder lernen, das, was für uns am
besten ist, zur Leitschnur unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns zu
machen. Wie soll zum Beispiel unser Verhältnis zu den USA in Zukunft
aussehen? Derzeit verhalten wir uns wie ein 51. US-Bundesstaat, wenn auch aus
gutem Grund. Und wie wollen wir unser Verhältnis zu China gestalten? Der Handel
mit China ist für uns wirtschaftlich existenziell, aber herausfordernd – und für
die US-Amerikaner etwas, mit dem wir schleunigst aufhören sollten. Wie wollen
wir es mit den übrigen Ländern des Globalen Südens halten? Auch hier bräuchten
wir dringend stabile politische und wirtschaftliche Beziehungen. Was machen wir
mit unseren vielen anderen europäischen Problemen? Etwa mit den Fragen, wohin
sich die EU entwickeln will und kann oder wie wir unsere offene Südflanke mit
vielen regionalen Krisen und entsprechenden Flüchtlingsbewegungen sichern und
Extremismus abhalten. Wenn wir ans Ziel kommen wollen, dürfen isolierte
Waffenlieferungen nicht unser zentrales, alles beherrschende politische Thema
sein.
Autoren von "Wissen, was wir wollen: Ohne Ziel gibt es keinen Weg zum Ziel"
17.11.2024 - Wissen, was wir wollen: Ohne Ziel gibt es keinen Weg zum Ziel
Ein Funke – oder auch: ein Taurus-Marschflugkörper – genügt und in Deutschland herrscht Krieg. Grausamer und schlimmer als wir es uns vorstellen können. Ein Krieg, der unser aller Ende werden kann. Weshalb also haben deutsche Politiker noch immer keine Strategie entworfen, um den Krieg in der Ukraine politisch zu beenden? Diese Frage stellt Ex-General Erich Vad in seinem neuen Buch „Ernstfall für Deutschland. Ein Handbuch gegen den Krieg“ und entwirft ein furchterregendes Szenario, sollte der Ukraine-Krieg aus dem Ruder laufen und nach Deutschland übergreifen. Er erklärt, warum die geplante Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenwaffen diskutiert werden muss und inwiefern sich gerade Deutschland für Frieden einsetzen kann und muss. Ein Auszug.
Natürlich kann man auch ohne Ziel ankommen. Bloß kommt man dann irgendwo an, zum Beispiel in einem Deutschland, das sich im Krieg befindet. Wenn also ein Krieg vor der Haustür steht und man die Verantwortung für rund fünfundachtzig Millionen Menschen trägt, sollte man keinen ziellosen Schlingerkurs ohne Kompass fahren.
Und doch tun wir genau das. Die deutsche Politik hat keine realistischen, erreichbaren Ziele, wenn sie einen Sieg der Ukraine herbeireden will, statt Verhandlungen anzustoßen. Die deutsche Politik ignoriert militärische und strategische Realitäten, denkt nicht vom Ende her und agiert nicht auf Basis der deutschen Interessenlage.
Beispiel Waffenlieferungen: Was ist das Ziel, wenn man nicht parallel auf eine politische Lösung und Verhandlungen setzt? Eine Nuklearmacht wie Russland und ein Diktator wie Putin, der seine Bevölkerung rücksichtslos im Krieg verheizt, lassen sich nicht mit ein paar Panzern besiegen. Sie lassen sich auch nicht abnutzen, zumindest nicht von der Ukraine allein. Also kann das Ziel von Waffenlieferungen nur sein, eine Niederlage der Ukraine zu verhindern und deren Verhandlungsposition zu stärken. Dann braucht man jedoch auch eine Strategie für »danach«. Soll die Ukraine unabhängig sein? Wie würden wir diese Unabhängigkeit sichern und in der Zukunft schützen? Es ist trotz allem unwahrscheinlich, dass die Ukraine in absehbarer Zeit Mitglied der Europäischen Union oder der NATO wird; dieser Schutz wäre also erst einmal nicht gegeben. Und wie würden wir Russland in eine europäische Ordnung mit einer unabhängigen Ukraine einbeziehen? Was bekäme Putin im Gegenzug? Schließlich wollen wir ihn nicht vollends in die Arme Pekings treiben, denn das würde die Machtverhältnisse zu unseren Ungunsten verschieben. Das sind nur einige der Fragen, die beantwortet werden müssten. Waffen alleine sind hier weder der Weg zum Sieg noch zum Frieden; ohne realistische Ziele sind sie politischer Aktionismus und reine Symbolpolitik.
Wer zudem immer weitere Waffen oder sogar Waffensysteme wie Taurus fordert, mit denen sich die Ukraine nicht nur verteidigen, sondern Russland angreifen könnte, verschließt die Augen vor den möglichen Konsequenzen. Da wäre das Völkerrecht, mit dem wir uns zu Recht ausgiebig beschäftigen, seit wir Waffen liefern. Aber Putin wird sich kaum darum scheren, ob unsere Waffenlieferungen vom Völkerrecht gedeckt sind oder nicht. Es ist wahrscheinlicher, dass er das Geberland Deutschland als Kriegspartei wahrnimmt, falls zum Beispiel Taurus-Marschflugkörper aus der Ukraine auf Moskau abgefeuert würden. Ich sage nicht, dass Putin damit richtig liegt. Ich sage: Man muss sich der realistischen Konsequenzen bewusst sein und – im Sinne Deutschlands – vom Ende her denken.
Für Deutschland kann die Lösung nur sein, eine langfristige politische Strategie zu entwickeln und sie mit Hilfen für die Ukraine (wie zum Beispiel Waffenlieferungen, soweit sie Sinn machen) zu verbinden. Deutschland muss endlich die richtigen Fragen stellen und beantworten: Wie sehen mögliche Wege aus dem Konflikt aus? Wie kann ein möglicher Frieden aussehen? Was kann und soll für die Ukraine erreicht werden? Welche Ziele sind realistisch und was steht im Weg? Wie schaffen wir es zugleich, Deutschlands Interessen zu wahren?
Bislang zeigt sich die deutsche Politik jedoch strategisch planlos und nicht lösungsorientiert. So kann kein Krieg beendet werden und erst recht nicht in unserem Sinne beendet werden. Das mag – ähnlich wie oben – vermessen klingen. Schließlich geht es doch um die Ukraine!
Nein, es geht immer auch um Deutschland: Der Krieg kann nach Deutschland hinüberschwappen. Dass wir die Ukraine unterstützen ist richtig, aber immens teuer, der Wiederaufbau nach dem Krieg noch nicht eingerechnet. Russland zu ächten mag moralisch richtig sein, kostet uns aber ebenfalls – und zeigt bisher weder die erhoffte durchschlagende Wirkung, noch bringt es Putin an den Verhandlungstisch. Weil es also auch um Deutschland – wie überhaupt um Europa – geht, darf die deutsche Politik die eigenen nationalen Interessen nicht einfach ausklammern. Stattdessen muss sie endlich eine umfassende Strategie für Deutschland finden, die sich an unseren nationalen Interessen orientiert und über den Krieg in der Ukraine hinausreicht, selbst wenn er eines unserer dringendsten Probleme ist. Deutschland muss wieder lernen, das, was für uns am besten ist, zur Leitschnur unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns zu machen.
Wie soll zum Beispiel unser Verhältnis zu den USA in Zukunft aussehen? Derzeit verhalten wir uns wie ein 51. US-Bundesstaat, wenn auch aus gutem Grund. Und wie wollen wir unser Verhältnis zu China gestalten? Der Handel mit China ist für uns wirtschaftlich existenziell, aber herausfordernd – und für die US-Amerikaner etwas, mit dem wir schleunigst aufhören sollten. Wie wollen wir es mit den übrigen Ländern des Globalen Südens halten? Auch hier bräuchten wir dringend stabile politische und wirtschaftliche Beziehungen. Was machen wir mit unseren vielen anderen europäischen Problemen? Etwa mit den Fragen, wohin sich die EU entwickeln will und kann oder wie wir unsere offene Südflanke mit vielen regionalen Krisen und entsprechenden Flüchtlingsbewegungen sichern und Extremismus abhalten. Wenn wir ans Ziel kommen wollen, dürfen isolierte Waffenlieferungen nicht unser zentrales, alles beherrschende politische Thema sein.
Autoren von "Wissen, was wir wollen: Ohne Ziel gibt es keinen Weg zum Ziel"
Bücher von Erich Vad