Kambodscha, Vietnam, Sahara, Afghanistan, Somalia, Ruanda – vierzig Jahre
lang war Flavio Del Ponte als Chirurg weltweit mit dem Leid des Krieges
konfrontiert. In seinem Buch blickt er in den Rückspiegel und sieht sich selbst
als jungen, hoffnungsvollen Arzt, der um die Welt reist und als Kriegschirurg
endet. Während dieser Zeit wechselt er seinen Beruf und die Rollen, die ihm
angeboten werden: militärisch, politisch, als Experte im Stab des
UN-Generalsekretariats und nicht zuletzt als humanitärer Helfer. Aber im Herzen
blieb er immer ein Arzt mit der fixen Idee, den Leidenden zu helfen. Flavio Del
Pontes Buch ein überzeugtes Plädoyer für Frieden. Ein Auszug
Bei dem
Kreuzzug gegen Landminen nutzte ich neben den persönlichen Erfahrungen, welche
die nie erloschene Glut immer wieder anfachten, schamlos die vielen Fotos, die
ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte, um meine öffentlichen Präsentationen
lebendiger zu gestalten und das Gewissen der Menschen zu »berühren«. Die Wirkung
der Fotos änderte sich je nach Publikum und es mangelte nicht an Überraschungen,
einschließlich Übelkeit und plötzlichem Verlassen des Saals beim Anblick von
Kindern, die von Landminen zerrissen worden waren und die ich auf dem
Operationstisch vor mir hatte.
Heutzutage haben wir uns durch die Medien fast daran gewöhnt, krude Bilder zu
sehen, die kaum noch unsere Empfindsamkeit berühren und flüchtig an uns
vorbeiziehen. Damals jedoch entdeckte ich eine Wahrheit, die mir bis dahin
unbekannt war: dass die Kraft des Wortes in Verbindung mit dem Bild die
menschliche Seele in ihrer Tiefe erreichen kann und erschüttert – wenn ein
Publikum aufmerksam zuhört und bereit ist, die ihm angebotene Botschaft zu
empfangen.
Hin und wieder kam es dazu, dass es am Ende einer solchen Präsentation oder
am Schluss einer Konferenz tosenden Applaus gab. Eine Zustimmung wie ein
überwältigender, mächtiger Luftzug, der über die Kehle bis in die Lungen reicht,
sie öffnet und dehnt und ein unfassbares Gefühl des Wohlbefindens erzeugt: ein
berauschendes Vergnügen. Die moderne Medizin würde gewiss von einem gewaltigen
Serotonin- und Dopaminschub sprechen … aber ein solches Gefühl muss man erst
einmal erleben.
Hatte mich der Applaus für Musiker nach einem Konzert (manchmal sogar, bevor
der letzte Ton verklungen war) oder für Schauspieler nach einem Theaterstück
oder einer Lesung von Natur aus immer eher genervt, so konnte ich an diesen
Tagen am eigenen Leib erfahren, was Künstler, Musiker, aber auch Redner
empfinden, wenn das Publikum seine Wertschätzung durch Applaus ausdrückt und so
an der Freude eines gemeinsamen Erlebnisses teilhat. Ja, Beifall als Belohnung
war mir bis dahin unbekannt gewesen. Dann aber hatte ich erleben dürfen, was
Applaus vermag: diese Geste der Hände, die einen trockenen, wiederholten Klang
erzeugen, der sich zu anderen gesellt, an Intensität zunimmt und bis in die
Tiefen der Seele vorzudringen vermag. Seit diesen Tagen glaube ich an die Kraft
des Applauses: Er ist eine Hymne geteilter, unmittelbarer, ehrlicher und doch
vergänglicher menschlicher Freude. Die Kraft des Applauses kann man allerdings –
hin und wieder – auch durch einen Blick, eine Träne, ein Lächeln, ein Wort oder
eine einfache menschliche Geste spüren.
Über die Verdienste unsere Strategie zur Unterstützung von Landminenopfern
kann man heute wohl sagen, dass sie konzeptionell Hilfe auf alle Opfer von
Gewalt und nicht nur auf die von Landminen ausweitete. Die Bereitschaft,
Minenopfern und insbesondere Kindern zu helfen, musste auch Opfer von
öffentlicher und privater Gewalt im Blick haben, und dies nicht nur in Bezug auf
die kurativen, sondern auch auf die präventiven Aspekte. Unsere
»Maputo-Strategie« wurde 2001 auf zwölf kleinen Seiten veröffentlicht und
basierte auf sieben Prinzipien, die ich hier kurz aufzählen möchte:
der Nicht-Diskriminierung von Opfern, einem integrierten und umfassenden
Ansatz, dem Prinzip der Mitbeteiligung, nationaler Eigenverantwortung und
institutioneller Unterstützung, dem Grundsatz der Transparenz und Effizienz,
einem Ansatz für nachhaltige Entwicklung, der Definition der Rechte der
Opfer.
Diese Punkte dürften heute wenig überraschen, aber sie weisen klar darauf
hin, dass sich exakt in jenen Jahren neue Entwicklungen und konzeptionelle Wege
abzeichneten, die inzwischen Allgemeingut geworden sind. Es sind die
Leitprinzipien für jedes gültige Entwicklungs- und Kooperationsprojekt in der
Welt. Die Erinnerung daran, wie wir uns damals gegen Angriffe und Kritik wehren
mussten, lässt mich heute lächeln. Mit unserem Think Tank waren wir unserer Zeit
etwas voraus.
Die Maßnahmen, die von der Schweiz im Rahmen des Ottawa-Übereinkommens und
insbesondere im Bereich der Hilfe für Minenopfer durchgeführt werden konnten,
dienten dazu, das Konzept der Opferhilfe »tout court« zu erweitern, und wurden
und werden immer noch als wertvoller Katalysator für Friedensbemühungen genutzt.
Von Anfang an hing allerdings eine schwere Hypothek über der
Ottawa-Konvention: die Nicht-Ratifizierung durch die Supermächte USA und
Russland, China und Indien. Sie alle hatten unannehmbare Vorwände und
lächerliche Ausreden vorgebracht, um das Übereinkommen nicht ratifizieren zu
müssen – obwohl sie, wie sie sagten, es »könnten«. Bis heute ist die Konvention
von 156 Staaten unterzeichnet worden, dagegen stehen 39 Nichtunterzeichner. Es
bedarf hier keines Kommentars, aber einer deprimierenden Feststellung:
Antipersonenminen gibt es auch heute noch und sie sind in mehreren laufenden
Konflikten und bei einigen tragischen aktuellen Ereignissen wie in der Ukraine
und im Gazastreifen wieder aufgetaucht, wo sich die »longa manus« der Großmächte
nicht mehr verstecken kann.
Im Lichte der aktuellen Kriegssituationen erscheint es bedeutsam, dass zu den
39 Nicht-Unterzeichnern neben den oben genannten Mächten auch Saudi-Arabien,
Armenien und Aserbaidschan, Burma, Nord- und Südkorea, Indien und Pakistan, Iran
und die Vereinigten Arabischen Emirate, Israel und Libanon, Ägypten, Libyen und
Marokko gehören.
03.11.2024 - Kreuzzug gegen Landminen
Kambodscha, Vietnam, Sahara, Afghanistan, Somalia, Ruanda – vierzig Jahre lang war Flavio Del Ponte als Chirurg weltweit mit dem Leid des Krieges konfrontiert. In seinem Buch blickt er in den Rückspiegel und sieht sich selbst als jungen, hoffnungsvollen Arzt, der um die Welt reist und als Kriegschirurg endet. Während dieser Zeit wechselt er seinen Beruf und die Rollen, die ihm angeboten werden: militärisch, politisch, als Experte im Stab des UN-Generalsekretariats und nicht zuletzt als humanitärer Helfer. Aber im Herzen blieb er immer ein Arzt mit der fixen Idee, den Leidenden zu helfen. Flavio Del Pontes Buch ein überzeugtes Plädoyer für Frieden. Ein Auszug
Bei dem Kreuzzug gegen Landminen nutzte ich neben den persönlichen Erfahrungen, welche die nie erloschene Glut immer wieder anfachten, schamlos die vielen Fotos, die ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte, um meine öffentlichen Präsentationen lebendiger zu gestalten und das Gewissen der Menschen zu »berühren«. Die Wirkung der Fotos änderte sich je nach Publikum und es mangelte nicht an Überraschungen, einschließlich Übelkeit und plötzlichem Verlassen des Saals beim Anblick von Kindern, die von Landminen zerrissen worden waren und die ich auf dem Operationstisch vor mir hatte.
Heutzutage haben wir uns durch die Medien fast daran gewöhnt, krude Bilder zu sehen, die kaum noch unsere Empfindsamkeit berühren und flüchtig an uns vorbeiziehen. Damals jedoch entdeckte ich eine Wahrheit, die mir bis dahin unbekannt war: dass die Kraft des Wortes in Verbindung mit dem Bild die menschliche Seele in ihrer Tiefe erreichen kann und erschüttert – wenn ein Publikum aufmerksam zuhört und bereit ist, die ihm angebotene Botschaft zu empfangen.
Hin und wieder kam es dazu, dass es am Ende einer solchen Präsentation oder am Schluss einer Konferenz tosenden Applaus gab. Eine Zustimmung wie ein überwältigender, mächtiger Luftzug, der über die Kehle bis in die Lungen reicht, sie öffnet und dehnt und ein unfassbares Gefühl des Wohlbefindens erzeugt: ein berauschendes Vergnügen. Die moderne Medizin würde gewiss von einem gewaltigen Serotonin- und Dopaminschub sprechen … aber ein solches Gefühl muss man erst einmal erleben.
Hatte mich der Applaus für Musiker nach einem Konzert (manchmal sogar, bevor der letzte Ton verklungen war) oder für Schauspieler nach einem Theaterstück oder einer Lesung von Natur aus immer eher genervt, so konnte ich an diesen Tagen am eigenen Leib erfahren, was Künstler, Musiker, aber auch Redner empfinden, wenn das Publikum seine Wertschätzung durch Applaus ausdrückt und so an der Freude eines gemeinsamen Erlebnisses teilhat. Ja, Beifall als Belohnung war mir bis dahin unbekannt gewesen. Dann aber hatte ich erleben dürfen, was Applaus vermag: diese Geste der Hände, die einen trockenen, wiederholten Klang erzeugen, der sich zu anderen gesellt, an Intensität zunimmt und bis in die Tiefen der Seele vorzudringen vermag. Seit diesen Tagen glaube ich an die Kraft des Applauses: Er ist eine Hymne geteilter, unmittelbarer, ehrlicher und doch vergänglicher menschlicher Freude. Die Kraft des Applauses kann man allerdings – hin und wieder – auch durch einen Blick, eine Träne, ein Lächeln, ein Wort oder eine einfache menschliche Geste spüren.
Über die Verdienste unsere Strategie zur Unterstützung von Landminenopfern kann man heute wohl sagen, dass sie konzeptionell Hilfe auf alle Opfer von Gewalt und nicht nur auf die von Landminen ausweitete. Die Bereitschaft, Minenopfern und insbesondere Kindern zu helfen, musste auch Opfer von öffentlicher und privater Gewalt im Blick haben, und dies nicht nur in Bezug auf die kurativen, sondern auch auf die präventiven Aspekte. Unsere »Maputo-Strategie« wurde 2001 auf zwölf kleinen Seiten veröffentlicht und basierte auf sieben Prinzipien, die ich hier kurz aufzählen möchte:
der Nicht-Diskriminierung von Opfern,
einem integrierten und umfassenden Ansatz,
dem Prinzip der Mitbeteiligung,
nationaler Eigenverantwortung und institutioneller Unterstützung,
dem Grundsatz der Transparenz und Effizienz,
einem Ansatz für nachhaltige Entwicklung,
der Definition der Rechte der Opfer.
Diese Punkte dürften heute wenig überraschen, aber sie weisen klar darauf hin, dass sich exakt in jenen Jahren neue Entwicklungen und konzeptionelle Wege abzeichneten, die inzwischen Allgemeingut geworden sind. Es sind die Leitprinzipien für jedes gültige Entwicklungs- und Kooperationsprojekt in der Welt. Die Erinnerung daran, wie wir uns damals gegen Angriffe und Kritik wehren mussten, lässt mich heute lächeln. Mit unserem Think Tank waren wir unserer Zeit etwas voraus.
Die Maßnahmen, die von der Schweiz im Rahmen des Ottawa-Übereinkommens und insbesondere im Bereich der Hilfe für Minenopfer durchgeführt werden konnten, dienten dazu, das Konzept der Opferhilfe »tout court« zu erweitern, und wurden und werden immer noch als wertvoller Katalysator für Friedensbemühungen genutzt.
Von Anfang an hing allerdings eine schwere Hypothek über der Ottawa-Konvention: die Nicht-Ratifizierung durch die Supermächte USA und Russland, China und Indien. Sie alle hatten unannehmbare Vorwände und lächerliche Ausreden vorgebracht, um das Übereinkommen nicht ratifizieren zu müssen – obwohl sie, wie sie sagten, es »könnten«. Bis heute ist die Konvention von 156 Staaten unterzeichnet worden, dagegen stehen 39 Nichtunterzeichner. Es bedarf hier keines Kommentars, aber einer deprimierenden Feststellung: Antipersonenminen gibt es auch heute noch und sie sind in mehreren laufenden Konflikten und bei einigen tragischen aktuellen Ereignissen wie in der Ukraine und im Gazastreifen wieder aufgetaucht, wo sich die »longa manus« der Großmächte nicht mehr verstecken kann.
Im Lichte der aktuellen Kriegssituationen erscheint es bedeutsam, dass zu den 39 Nicht-Unterzeichnern neben den oben genannten Mächten auch Saudi-Arabien, Armenien und Aserbaidschan, Burma, Nord- und Südkorea, Indien und Pakistan, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate, Israel und Libanon, Ägypten, Libyen und Marokko gehören.
Autoren von "Kreuzzug gegen Landminen"
Bücher von Flavio Del Ponte