06.10.2024 - Die Europäische Zentralbank verschärft die Krise
Tom Krebs:
Deutschland steckt in einer Dauerkrise. Die Wirtschaft stagniert, der
Lebensstandard vieler Menschen ist dramatisch gesunken und die AfD gewinnt an
Zustimmung. In seinem neuen Buch zeigt der renommierte Ökonom Tom Krebs, dass
eine Fehldiagnose marktliberaler Ökonomen und die entsprechenden
Fehlentscheidungen der Bundesregierung für die schlechte Lage in Deutschland
verantwortlich sind. Um den Wohlstand zu retten und den Zusammenhalt zu stärken,
muss sich die deutsche Politik von der marktliberalen Märchenwelt der Ökonomen
befreien. Denn nur ein Ansatz, der die Sorgen der Menschen ernst nimmt und
gleichzeitig eine positive Vision der Zukunft bietet, kann uns aus der Misere
führen. Ein Auszug, der sich mit der Zinspolitik der EZB befasst.
In Krisenzeiten kann die Geldpolitik die Wirtschaft stabilisieren und damit
Schaden verhindern. Während der Finanzkrise hat die Europäische Zentralbank
(EZB) den Leitzins drastisch gesenkt und so die Zinskosten für
Unternehmenskredite und Häuserhypotheken reduziert. Während der Coronakrise
waren die Zinsen bereits niedrig, aber die EZB konnte mit dem Ankauf von Staats-
und Unternehmensanleihen wichtige Liquidität für die Finanzmärkte bereitstellen.
Diese Maßnahmen erhöhten die Bereitschaft der Geschäftsbanken, Kredite an
Unternehmen und private Haushalte zu vergeben. In der Finanz- und Coronakrise
half die EZB der Wirtschaft und verhinderte mit ihrer expansiven Geldpolitik
einen noch größeren Wirtschaftseinbruch.
Während der Energiekrise war alles anders. Die Geldpolitik der EZB hat die
Wirtschaft nicht unterstützt, sondern ihr eher geschadet. Innerhalb eines Jahres
hob die EZB den Leitzins von 0 Prozent im Juli 2022 auf 4 Prozent im Juni 2023
an. Dieser Zinsschock traf alle Unternehmen, doch war der Effekt auf die
Bauwirtschaft besonders ausgeprägt. Beispielsweise sind die Aufträge im
Wohnungsbau seit Sommer 2022 um rund 30 Prozent gesunken. Die Wohnungsbaubranche
befindet sich derzeit in einer Schockstarre, deren Auswirkungen noch einige
Jahre zu spüren sein werden. Warum schadet die EZB der Wirtschaft mit ihrer
restriktiven Geldpolitik? Der Grund liegt in der gängigen ökonomischen Lehre,
die besagt, dass Inflation nur mit restriktiver Geldpolitik bekämpft werden
könne. In Zeiten hoher Inflationsraten müsse die EZB ein-greifen und durch ihre
restriktive Geldpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und
Dienstleistungen reduzieren, um den Preisdruck zu senken. Dieses Argument ist in
jedem Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre nachzulesen. Die konsequente Anwendung
dieses klassischen Prinzips der Geldtheorie erfordert es, dass die EZB in einer
Wirtschaftskrise, die durch hohe Inflationsraten geprägt ist, zur Verschärfung
der Krise beiträgt, weil die Inflationsbekämpfung für Notenbanken immer
Priorität hat.
Diese Standardtheorie der Geldpolitik ist vergleichbar mit der exzessiven
Anwendung des Aderlasses, wie es im Mittelalter die Regel war. Ähnlich wie die
mittelalterliche Medizin haben die Ökonomen scheinbar nur ein Mittel zur
Inflationsbekämpfung: eine restriktive Geldpolitik, um die wirtschaftliche
Aktivität zu reduzieren und dadurch die Inflation zu senken. Dies bedeutet unter
anderem, dass in einer Krise mit hohen Inflationsraten die Notenbanken mit ihrer
restriktiven Geldpolitik die Krise noch verschärfen und der Wirtschaft Schaden
zufügen. Der Patient muss bis zur vollständigen Erschöpfung geschröpft werden!
Es gibt eine ökonomisch vernünftige Alternative zu dieser Politik der
Zerstörung. Die beste Lösung wäre gewesen, das Problem bei der Wurzel zu packen.
Um 2022 die Inflation zu drücken, hätte die Bundesregierung zusammen mit den
anderen EU-Staaten frühzeitig effektive Energiepreiskontrollen einführen und so
die Krise im Keim ersticken können. Das ist der direkte Weg der
Inflationsbekämpfung, der wesentlich effektiver ist als eine restriktive
Geldpolitik. Mit einer solchen Krisenpolitik wäre die Inflation wesentlich
niedriger ausgefallen, als sie tatsächlich war, und die Produktions- und
Reallohnverluste wären viel kleiner gewesen. Die Rezession 2023 war unnötig –
mit der richtigen Geld- und Wirtschaftspolitik hätten wir uns stattdessen über
eine wirtschaftliche Erholung freuen können.
Es ist anders gekommen. Die einfache Lösung des Inflationsproblems war aus
ideologischen Gründen nicht möglich. Die Skepsis der Ökonomen gegenüber
Preiskontrollen hatte zur Folge, dass die Bundesregierung erst sehr spät die
Energiepreisbremse einführte und es für industrielle Kunden keine effektive
Preisbremse gab. Zudem scheiterte eine europäische Energiepreisbremse lange an
dem Widerstand vieler Ökonomen und der Bundesregierung. So kam es, dass das
ökonomisch vernünftige Mittel nur begrenzt und verspätet genutzt wurden. Das
marktradikale Dogma der Wirtschaftswissenschaftler hatte wieder einmal über die
ökonomische Vernunft gesiegt.
Diese Überlegungen unterstreichen, wie sehr der Wirtschaftsliberalismus und
seine Fehlanalysen unser Leben beeinflussen. Viele Menschen sind es gewohnt, die
Geldpolitik der Notenbanken als ein abstraktes Instrument zur Sicherung der
Preisstabilität zu betrachten, welches nach festen Regeln und alternativlos
eingesetzt wird. Der gegenwärtige Schmerz muss angeblich sein, damit es uns
zukünftig bessergehen kann. Diese Sichtweise ist auch in den Medien verbreitet.
Doch die Realität sieht anders aus: Die Rolle der Geldpolitik ist ein höchst
kontroverses Thema in Fachkreisen, und die Entscheidungen der Notenbanken haben
erheblichen Einfluss auf den Lebensstandard in einem Land. Und nur wer
unkritisch an dem Marktdogma der Ökonomen festhält, streitet diese Komplexität
ab. Das Ergebnis einer unterkomplexen Analyse ist eine suboptimale Geldpolitik,
die der Wirtschaft schadet und den Wohlstand der Menschen gefährdet.
Autoren von "Die Europäische Zentralbank verschärft die Krise"
06.10.2024 - Die Europäische Zentralbank verschärft die Krise
Deutschland steckt in einer Dauerkrise. Die Wirtschaft stagniert, der Lebensstandard vieler Menschen ist dramatisch gesunken und die AfD gewinnt an Zustimmung. In seinem neuen Buch zeigt der renommierte Ökonom Tom Krebs, dass eine Fehldiagnose marktliberaler Ökonomen und die entsprechenden Fehlentscheidungen der Bundesregierung für die schlechte Lage in Deutschland verantwortlich sind. Um den Wohlstand zu retten und den Zusammenhalt zu stärken, muss sich die deutsche Politik von der marktliberalen Märchenwelt der Ökonomen befreien. Denn nur ein Ansatz, der die Sorgen der Menschen ernst nimmt und gleichzeitig eine positive Vision der Zukunft bietet, kann uns aus der Misere führen. Ein Auszug, der sich mit der Zinspolitik der EZB befasst.
In Krisenzeiten kann die Geldpolitik die Wirtschaft stabilisieren und damit Schaden verhindern. Während der Finanzkrise hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins drastisch gesenkt und so die Zinskosten für Unternehmenskredite und Häuserhypotheken reduziert. Während der Coronakrise waren die Zinsen bereits niedrig, aber die EZB konnte mit dem Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen wichtige Liquidität für die Finanzmärkte bereitstellen. Diese Maßnahmen erhöhten die Bereitschaft der Geschäftsbanken, Kredite an Unternehmen und private Haushalte zu vergeben. In der Finanz- und Coronakrise half die EZB der Wirtschaft und verhinderte mit ihrer expansiven Geldpolitik einen noch größeren Wirtschaftseinbruch.
Während der Energiekrise war alles anders. Die Geldpolitik der EZB hat die Wirtschaft nicht unterstützt, sondern ihr eher geschadet. Innerhalb eines Jahres hob die EZB den Leitzins von 0 Prozent im Juli 2022 auf 4 Prozent im Juni 2023 an. Dieser Zinsschock traf alle Unternehmen, doch war der Effekt auf die Bauwirtschaft besonders ausgeprägt. Beispielsweise sind die Aufträge im Wohnungsbau seit Sommer 2022 um rund 30 Prozent gesunken. Die Wohnungsbaubranche befindet sich derzeit in einer Schockstarre, deren Auswirkungen noch einige Jahre zu spüren sein werden.
Warum schadet die EZB der Wirtschaft mit ihrer restriktiven Geldpolitik? Der Grund liegt in der gängigen ökonomischen Lehre, die besagt, dass Inflation nur mit restriktiver Geldpolitik bekämpft werden könne. In Zeiten hoher Inflationsraten müsse die EZB ein-greifen und durch ihre restriktive Geldpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen reduzieren, um den Preisdruck zu senken. Dieses Argument ist in jedem Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre nachzulesen. Die konsequente Anwendung dieses klassischen Prinzips der Geldtheorie erfordert es, dass die EZB in einer Wirtschaftskrise, die durch hohe Inflationsraten geprägt ist, zur Verschärfung der Krise beiträgt, weil die Inflationsbekämpfung für Notenbanken immer Priorität hat.
Diese Standardtheorie der Geldpolitik ist vergleichbar mit der exzessiven Anwendung des Aderlasses, wie es im Mittelalter die Regel war. Ähnlich wie die mittelalterliche Medizin haben die Ökonomen scheinbar nur ein Mittel zur Inflationsbekämpfung: eine restriktive Geldpolitik, um die wirtschaftliche Aktivität zu reduzieren und dadurch die Inflation zu senken. Dies bedeutet unter anderem, dass in einer Krise mit hohen Inflationsraten die Notenbanken mit ihrer restriktiven Geldpolitik die Krise noch verschärfen und der Wirtschaft Schaden zufügen. Der Patient muss bis zur vollständigen Erschöpfung geschröpft werden!
Es gibt eine ökonomisch vernünftige Alternative zu dieser Politik der Zerstörung. Die beste Lösung wäre gewesen, das Problem bei der Wurzel zu packen. Um 2022 die Inflation zu drücken, hätte die Bundesregierung zusammen mit den anderen EU-Staaten frühzeitig effektive Energiepreiskontrollen einführen und so die Krise im Keim ersticken können. Das ist der direkte Weg der Inflationsbekämpfung, der wesentlich effektiver ist als eine restriktive Geldpolitik. Mit einer solchen Krisenpolitik wäre die Inflation wesentlich niedriger ausgefallen, als sie tatsächlich war, und die Produktions- und Reallohnverluste wären viel kleiner gewesen. Die Rezession 2023 war unnötig – mit der richtigen Geld- und Wirtschaftspolitik hätten wir uns stattdessen über eine wirtschaftliche Erholung freuen können.
Es ist anders gekommen. Die einfache Lösung des Inflationsproblems war aus ideologischen Gründen nicht möglich. Die Skepsis der Ökonomen gegenüber Preiskontrollen hatte zur Folge, dass die Bundesregierung erst sehr spät die Energiepreisbremse einführte und es für industrielle Kunden keine effektive Preisbremse gab. Zudem scheiterte eine europäische Energiepreisbremse lange an dem Widerstand vieler Ökonomen und der Bundesregierung. So kam es, dass das ökonomisch vernünftige Mittel nur begrenzt und verspätet genutzt wurden. Das marktradikale Dogma der Wirtschaftswissenschaftler hatte wieder einmal über die ökonomische Vernunft gesiegt.
Diese Überlegungen unterstreichen, wie sehr der Wirtschaftsliberalismus und seine Fehlanalysen unser Leben beeinflussen. Viele Menschen sind es gewohnt, die Geldpolitik der Notenbanken als ein abstraktes Instrument zur Sicherung der Preisstabilität zu betrachten, welches nach festen Regeln und alternativlos eingesetzt wird. Der gegenwärtige Schmerz muss angeblich sein, damit es uns zukünftig bessergehen kann. Diese Sichtweise ist auch in den Medien verbreitet. Doch die Realität sieht anders aus: Die Rolle der Geldpolitik ist ein höchst kontroverses Thema in Fachkreisen, und die Entscheidungen der Notenbanken haben erheblichen Einfluss auf den Lebensstandard in einem Land. Und nur wer unkritisch an dem Marktdogma der Ökonomen festhält, streitet diese Komplexität ab. Das Ergebnis einer unterkomplexen Analyse ist eine suboptimale Geldpolitik, die der Wirtschaft schadet und den Wohlstand der Menschen gefährdet.
Autoren von "Die Europäische Zentralbank verschärft die Krise"
Bücher von Tom Krebs