25.08.2024 - Kontrolle über das Südchinesische Meer: Das maritime Containment Chinas
Erich Vad:
Was hat das Südchinesische Meer mit der Krim-Halbinsel zu tun? Sind die
USA noch unser Freund und Helfer? Unter welcher Flagge kämpft eigentlich Europa?
Dr. Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und militärpolitischer Berater der ehemaligen
Bundeskanzlerin Angela Merkel, liefert in seinem Buch „Abschreckend oder
erschreckend? Europa ohne Sicherheit“ Antworten: Europa braucht nachhaltige
Sicherheit. Und die kommt nicht von allein, sondern nur, wenn wir etwas dafür
tun, und sie kommt hoffentlich auch aus Deutschland. Erich Vad zeigt Wege auf,
durch glaubwürdige militärische Abschreckung, Verteidigungsfähigkeit und
Diplomatie Kriege zu verhindern und den Frieden zu bewahren.
Was tut eine etablierte Supermacht, wenn eine aufstrebende Macht versucht,
ihr den Rang abzulaufen? Die etablierte Macht hindert die aufstrebende daran,
ihren Einflussbereich auszudehnen. Wie gelingt ihr das, wenn die aufstrebende
Macht an einem Meer liegt, über das sie die ganze Welt erreichen kann? Die
etablierte Macht versperrt ihr den Zugang zu diesem Meer. Wie versperrt sie ihn,
wenn sie sich Tausende Kilometer entfernt an der gegenüberliegenden Küste
befindet? Die etablierte Macht findet Verbündete, die Nachbarstaaten der
aufstrebenden Macht sind. Im besten Fall Inselstaaten oder mindestens mit
Territorium im Meer vor der Küste der aufstrebenden Macht. Vielleicht befinden
sich diese Verbündeten bereits im Konflikt mit der aufstrebenden Macht. Die
etablierte Macht verspricht ihnen deshalb Schutz oder macht ihnen schlicht die
besseren Angebote. Dann baut die etablierte Macht eigene Militärbasen auf dem
Territorium der Verbündeten und rüstet gemeinsam mit ihnen auf.
Die Idee einer solchen »Island Chain Strategy« kam 1951 während des
Koreakrieges auf. Schon damals war der amerikanische Plan, die ehemalige
Sowjetunion und China mit Marinebasen zu umringen, um ihnen den Zugang zum Meer
abzuschneiden – maritime Eindämmungspolitik oder englisch: »Containment«. Heute
setzen die Amerikaner ihre damals entwickelte Strategie gegenüber dem Rivalen
China ein. Ihr Containment im Indo-Pazifik verbindet faktische und potenzielle
amerikanische Verbündete – von Japan über Südkorea, Taiwan, die Philippinen,
Vietnam, Malaysia, Indonesien und Singapur bis nach Indien. Das Ganze ähnelt
einer maritimen Perlenkette, die Chinas Bewegungsfreiheit effektiv eingrenzt –
bestückt mit einem Netz amerikanischer Militärbasen, insbesondere in Japan und
auf Okinawa, in Südkorea, auf den Philippinen, auf Guam, in Singapur und auf
Diego Garcia im Indischen Ozean
Die laufenden Territorialkonflikte zwischen China und Japan, Taiwan, Vietnam,
den Philippinen und Malaysia sowie die Auseinandersetzungen um einzelne
Inselgruppen im Südchinesischen Meer liegen hier begründet; man muss sie in
diesem größeren Kontext sehen. Denn China versucht, sich aus der buchstäblich
ausweglosen maritimen Situation zu befreien. Nicht, indem es einen Krieg mit den
USA anfängt, sondern indem es gegen deren regionale Verbündete vorgeht und
versucht, Perlen aus der Kette zu reißen. So ist zum Beispiel Taiwan die Tür in
den Pazifik für China, was – zusätzlich zu dem historischen Hintergrund – für
Konfliktpotenzial zwischen Taipeh und Peking sorgt. Nur dass es die USA sind,
die diese Tür für China verschlossen halten.
China hat gute Gründe oder besser gesagt: dringende nationale Interessen,
die Perlenkette auseinanderzureißen. Zum einen verbindet das Südchinesische Meer
den Pazifik und den Indischen Ozean. Wer diese Verbindung kontrolliert, hat
freien Zugang zu den Weltmeeren. Das ist erstens für den Welthandel wichtig, der
zu einem Drittel im Südchinesischen Meer abgewickelt wird, und zweitens
essenziell für China, falls es zu einem militärischen Konflikt mit den USA
kommen sollte. Solange die USA den Zugang kontrollieren, sind China die
Weltmeere versperrt, egal wie viele Schiffe das Land baut.
Tatsächlich verfügt die chinesische Marine über mehr Schiffseinheiten als
die amerikanische, darunter bald drei Flugzeugträger, wovon die US-Navy
allerdings elf Stück besitzt. Daran, dass die Zugänge zu den Weltmeeren nicht
von Peking, sondern von den amerikanischen Verbündeten und den US-Militärbasen
beherrscht werden, würde sich jedoch selbst dann nichts ändern, wenn das
Südchinesische Meer im Einflussbereich Chinas bliebe. Damit sind der
chinesischen Ambition, eine maritime Großmacht zu werden und mit ihrer Marine
weltweit zu operieren, geografisch enge Grenzen gesetzt. Marineübungen mit
Russland in der Ostsee ändern daran nichts.
Die Situation erinnert an die, in der sich das Deutsche Reich vor dem Ersten
Weltkrieg befand. Damals kollidierten die deutschen wirtschaftlichen Interessen
mit denen Großbritanniens. Deutschland versuchte, das durch ein
Flottenbauprogramm zu kompensieren, konnte sein strategisches Problem aber nicht
lösen: Durch seegestützte Blockaden konnte Großbritannien den Deutschen den
Zugang zu den Weltmeeren verwehren, weil die deutsche Marine im Wesentlichen aus
dem engen Raum der Nord- und Ostsee heraus operieren musste. Im Zweiten
Weltkrieg sah es ähnlich aus, obwohl die verzwickte Situation durch
U-Boot-Stützpunkte am Atlantik aus deutscher Sicht verbessert wurde.
Zum anderen ist das Südchinesische Meer reich an Gas- und Ölvorkommen, im
Frühjahr 2024 wurde jüngst ein Ölfeld von mehr als hundert Millionen Tonnen
Rohöl entdeckt. Aus geostrategischer und ökonomischer Sicht hat China daher kaum
eine andere Wahl, als hart zu bleiben und sich gegen das amerikanische
Containment zu wehren – ähnlich wie es Russland mit Blick auf die Krim und das
Schwarze Meer geht oder den USA mit Blick auf Kuba und die Karibik. Um seine
Macht zu sichern und seinen Einfluss in der Welt auszubauen, muss China das
Südchinesische Meer beherrschen – während die USA das Gegenteil müssen, nämlich
China daran hindern.
Autoren von "Kontrolle über das Südchinesische Meer: Das maritime Containment Chinas"
25.08.2024 - Kontrolle über das Südchinesische Meer: Das maritime Containment Chinas
Was hat das Südchinesische Meer mit der Krim-Halbinsel zu tun? Sind die USA noch unser Freund und Helfer? Unter welcher Flagge kämpft eigentlich Europa? Dr. Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und militärpolitischer Berater der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, liefert in seinem Buch „Abschreckend oder erschreckend? Europa ohne Sicherheit“ Antworten: Europa braucht nachhaltige Sicherheit. Und die kommt nicht von allein, sondern nur, wenn wir etwas dafür tun, und sie kommt hoffentlich auch aus Deutschland. Erich Vad zeigt Wege auf, durch glaubwürdige militärische Abschreckung, Verteidigungsfähigkeit und Diplomatie Kriege zu verhindern und den Frieden zu bewahren.
Was tut eine etablierte Supermacht, wenn eine aufstrebende Macht versucht, ihr den Rang abzulaufen? Die etablierte Macht hindert die aufstrebende daran, ihren Einflussbereich auszudehnen. Wie gelingt ihr das, wenn die aufstrebende Macht an einem Meer liegt, über das sie die ganze Welt erreichen kann? Die etablierte Macht versperrt ihr den Zugang zu diesem Meer. Wie versperrt sie ihn, wenn sie sich Tausende Kilometer entfernt an der gegenüberliegenden Küste befindet? Die etablierte Macht findet Verbündete, die Nachbarstaaten der aufstrebenden Macht sind. Im besten Fall Inselstaaten oder mindestens mit Territorium im Meer vor der Küste der aufstrebenden Macht. Vielleicht befinden sich diese Verbündeten bereits im Konflikt mit der aufstrebenden Macht. Die etablierte Macht verspricht ihnen deshalb Schutz oder macht ihnen schlicht die besseren Angebote. Dann baut die etablierte Macht eigene Militärbasen auf dem Territorium der Verbündeten und rüstet gemeinsam mit ihnen auf.
Die Idee einer solchen »Island Chain Strategy« kam 1951 während des Koreakrieges auf. Schon damals war der amerikanische Plan, die ehemalige Sowjetunion und China mit Marinebasen zu umringen, um ihnen den Zugang zum Meer abzuschneiden – maritime Eindämmungspolitik oder englisch: »Containment«. Heute setzen die Amerikaner ihre damals entwickelte Strategie gegenüber dem Rivalen China ein. Ihr Containment im Indo-Pazifik verbindet faktische und potenzielle amerikanische Verbündete – von Japan über Südkorea, Taiwan, die Philippinen, Vietnam, Malaysia, Indonesien und Singapur bis nach Indien. Das Ganze ähnelt einer maritimen Perlenkette, die Chinas Bewegungsfreiheit effektiv eingrenzt – bestückt mit einem Netz amerikanischer Militärbasen, insbesondere in Japan und auf Okinawa, in Südkorea, auf den Philippinen, auf Guam, in Singapur und auf Diego Garcia im Indischen Ozean
Die laufenden Territorialkonflikte zwischen China und Japan, Taiwan, Vietnam, den Philippinen und Malaysia sowie die Auseinandersetzungen um einzelne Inselgruppen im Südchinesischen Meer liegen hier begründet; man muss sie in diesem größeren Kontext sehen. Denn China versucht, sich aus der buchstäblich ausweglosen maritimen Situation zu befreien. Nicht, indem es einen Krieg mit den USA anfängt, sondern indem es gegen deren regionale Verbündete vorgeht und versucht, Perlen aus der Kette zu reißen. So ist zum Beispiel Taiwan die Tür in den Pazifik für China, was – zusätzlich zu dem historischen Hintergrund – für Konfliktpotenzial zwischen Taipeh und Peking sorgt. Nur dass es die USA sind, die diese Tür für China verschlossen halten.
China hat gute Gründe oder besser gesagt: dringende nationale Interessen, die Perlenkette auseinanderzureißen. Zum einen verbindet das Südchinesische Meer den Pazifik und den Indischen Ozean. Wer diese Verbindung kontrolliert, hat freien Zugang zu den Weltmeeren. Das ist erstens für den Welthandel wichtig, der zu einem Drittel im Südchinesischen Meer abgewickelt wird, und zweitens essenziell für China, falls es zu einem militärischen Konflikt mit den USA kommen sollte. Solange die USA den Zugang kontrollieren, sind China die Weltmeere versperrt, egal wie viele Schiffe das Land baut.
Tatsächlich verfügt die chinesische Marine über mehr Schiffseinheiten als die amerikanische, darunter bald drei Flugzeugträger, wovon die US-Navy allerdings elf Stück besitzt. Daran, dass die Zugänge zu den Weltmeeren nicht von Peking, sondern von den amerikanischen Verbündeten und den US-Militärbasen beherrscht werden, würde sich jedoch selbst dann nichts ändern, wenn das Südchinesische Meer im Einflussbereich Chinas bliebe. Damit sind der chinesischen Ambition, eine maritime Großmacht zu werden und mit ihrer Marine weltweit zu operieren, geografisch enge Grenzen gesetzt. Marineübungen mit Russland in der Ostsee ändern daran nichts.
Die Situation erinnert an die, in der sich das Deutsche Reich vor dem Ersten Weltkrieg befand. Damals kollidierten die deutschen wirtschaftlichen Interessen mit denen Großbritanniens. Deutschland versuchte, das durch ein Flottenbauprogramm zu kompensieren, konnte sein strategisches Problem aber nicht lösen: Durch seegestützte Blockaden konnte Großbritannien den Deutschen den Zugang zu den Weltmeeren verwehren, weil die deutsche Marine im Wesentlichen aus dem engen Raum der Nord- und Ostsee heraus operieren musste. Im Zweiten Weltkrieg sah es ähnlich aus, obwohl die verzwickte Situation durch U-Boot-Stützpunkte am Atlantik aus deutscher Sicht verbessert wurde.
Zum anderen ist das Südchinesische Meer reich an Gas- und Ölvorkommen, im Frühjahr 2024 wurde jüngst ein Ölfeld von mehr als hundert Millionen Tonnen Rohöl entdeckt. Aus geostrategischer und ökonomischer Sicht hat China daher kaum eine andere Wahl, als hart zu bleiben und sich gegen das amerikanische Containment zu wehren – ähnlich wie es Russland mit Blick auf die Krim und das Schwarze Meer geht oder den USA mit Blick auf Kuba und die Karibik. Um seine Macht zu sichern und seinen Einfluss in der Welt auszubauen, muss China das Südchinesische Meer beherrschen – während die USA das Gegenteil müssen, nämlich China daran hindern.
Autoren von "Kontrolle über das Südchinesische Meer: Das maritime Containment Chinas"
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