20.07.2024 - Bio-Konspiration – Wie alles anfing …
Mathias Bröckers:
Am Anfang war die Verschwörung. Einzelne
Moleküle schlossen sich zu Gruppen zusammen, um die Ressourcen des Planeten
besser auszubeuten. Wann genau sich die ersten Kohlenstoffverbindungen dazu
entschlossen, wie sie dabei vorgingen und wie lange es dauerte, bis sie
erfolgreich waren, kann die Wissenschaft bisher nicht vollständig rekonstruieren
– sicher ist nur, dass vor etwa 3,5 Milliarden Jahren das Ergebnis dieser
molekularen Verschwörung erscheint: fortpflanzungsfähige Einzeller … Bakterien …
Leben! Und sicher scheint auch, dass es dabei konspirativ zuging.
Conspirare heißt wörtlich »zusammen atmen«,
doch zum Zeitpunkt dieser ersten biochemischen Aktivitäten existierte in der
globalen Atmosphäre noch gar kein Sauerstoff. Spiritus
bedeutet aber nicht nur Hauch und Atem, sondern auch Geist, und ein solcher
scheint – konspirativ – schon vor dem Entstehen von Sauerstoff anwesend gewesen
zu sein: in Gestalt einer Topagentin namens RNA, die zusammen mit der ihr bald
folgenden Kollegin DNA als Mastermind jener Verschwörung gelten muss, die den
Planeten Erde nun heimsucht. Wo immer RNA und ihre Partnerin DNA ihren Ursprung
haben, ob sie als Eigengewächs oder als außerirdische Eroberer zu bezeichnen
sind: Mit dem Auftauchen dieser beiden Supermoleküle beginnt eine neue
Geschichte auf der Erde, die Verschwörung des Lebens.
Nun sind diese beiden Topagentinnen keine
Lebewesen, sondern chemische Verbindungen, und solchen eine Verschwörungsabsicht
– also einen Plan und damit Intelligenz – zuzusprechen, scheint gewagt. Und doch
deutet aus heutiger Sicht alles auf eine Konspiration hin. Die RNA-Eroberer
lassen jedenfalls in den folgenden vier Milliarden Jahren keinen Zweifel an
ihrer Absicht. Jeden Quadratzentimeter der toten Erde und der Wasseroberfläche
besiedeln sie mit dem, was wir Leben nennen: Bakterien, Mikroorganismen, Pilze,
Pflanzen, Tiere und schließlich Menschen. Die bis vor Kurzem noch weit
verbreitete Meinung, dass es sich bei diesem Prozess um eine Kette reiner
Zufälle handelte, gesteuert von den bekannten Naturgesetzen und zufälligen
Veränderungen (Mutationen), die sich dann als vorteilhaft durchsetzen, wird von
der neueren Evolutionsbiologie ernsthaft infrage gestellt.
Wie ist aber nun Leben entstanden? Freeman
Dyson nimmt an, dass es zu einer »Symbiose« zwischen der RNA und einem
»Proteinwesen« gekommen ist – wobei für eine Säureverbindung wie RNA
(Ribo-Nukleinsäure) und eine ebenfalls leblose Eiweißverbindung der Begriff
»Symbiose« nicht ganz korrekt ist. Es ist ja noch gar kein »Bios«, kein Leben,
vorhanden, das sich zusammentun könnte. Konspiration scheint uns deshalb hier
den besseren Begriff zu liefern: Zwei Einheiten, die RNA-Agentin und das
»Proteinwesen«, sprechen sich ab, um in einer feindlichen Umgebung zu überleben.
Und wie jede richtige Verschwörung hat auch die chemische Konspiration, die
selbstreproduzierende, stoffwechselnde Lebewesen hervorbringt, ihr Geheimnis.
Bis heute ist es aller Gen- und Biotechnik zum Trotz nicht gelungen, die Kluft
zwischen Chemie und Biologie, den Übergang von toten Kohlenstoffverbindungen zu
lebendigen Zellen, zu schließen. Wie das Säuremolekül und die Eiweißverbindung
sich – hinter dem Rücken aller anderen Verbindungen – zur Kooperation
verabredeten, ist unbekannt.
Zuerst allerdings existierten noch überhaupt
keine Lebewesen mit einem festen Zellkern, sondern nur die von einer dünnen
Membran zusammengehaltenen Bakterien bevölkerten die Weltmeere. Sie hatten sich
auf die verschiedenen Ressourcen, wie etwa den reichlich vorhandenen Schwefel,
spezialisiert und fraßen fröhlich vor sich hin. Irgendwann freilich gingen ihnen
die Nährstoffe aus – doch parallel und unbemerkt hat das RNA-DNA-Protein-Trio
ganz offensichtlich seine Fäden gezogen. Denn die bisher allein auf freier
Wildbahn agierenden Bakterien schließen sich zu Gruppen zusammen, lösen sich als
Einzelwesen auf und ordnen sich einem Funktionszusammenhang, einem mehrzelligen
Wesen, unter.
Nach der derzeit noch herrschenden Lehrmeinung
in der Evolutionsbiologie, die man als Neo- oder Ultradarwinismus bezeichnet,
handelt es sich bei der Tätigkeit von RNA und DNA nur um einen einfachen
Replikationstrick, einen Kopiermechanismus, der keinerlei Geheimnis birgt,
geschweige denn den Anlass zu einer Verschwörungstheorie. Die Evolutionsfabrik,
die das Leben auf diesem Planeten hervorbringt, ist nach dieser Ansicht nichts
anderes als ein gigantischer Copyshop, der unter Leitung eines blinden
Uhrmachers mechanisch Kopien fertigt. Eine Entwicklungsabteilung gibt es nicht,
und das Geheimnis, wie durch simples Kopieren aus einem einzelligen Bakterium
drei Milliarden Jahre später komplexe Lebewesen wie Louis Pasteur oder Robert
Koch entstehen, verlagert der Neodarwinismus auf den Hinterhof der Kopierfabrik.
Dort landen der Ausschuss, die fehlerhaften Kopien, die »Mutationen«. Doch wenn
sich die Marktbedingungen, das heißt die Umweltsituationen, ändern, können sich
die fehlerhaften Exemplare plötzlich als Renner erweisen und werden in die
Massenproduktion übernommen.
Darwin selbst hat nie abgestritten, dass seine
Theorie der natürlichen Auslese noch viele Fragen offenlässt und weiterer
Ergänzungen bedarf. Er wehrte sich nur – und als Naturwissenschaftler zu Recht –
gegen »wundertätige Hinzufügungen«. An solchen war auch einer seiner
Zeitgenossen, der russische Graf und Intellektuelle Pjotr Kropotkin, wenig
interessiert, der nach der Lektüre der »Entstehung der Arten« auf einer Reise
durch Sibirien und die Mandschurei Naturbeobachtungen anstellte und dem auf der
Gegenseite des unerbittlichen Existenzkampfs der Arten ein so strenger Zwang zur
Kooperation und gegenseitigen Unterstützung auffiel, dass er schrieb:
»Wenn wir die Natur fragen, ›wer sind die
Tüchtigsten: jene, die ständig miteinander im Krieg liegen, oder jene, die
einander unterstützen?‹, so sehen wir sofort, dass jene Tiere, die die
Gewohnheit gegenseitiger Hilfe erworben haben, zweifellos die tüchtigsten,
bestangepassten sind. Sie haben mehr Überlebenschancen und sie bringen es auf
ihrer jeweiligen Stufe zum höchsten Entwicklungsgrad der Intelligenz und der
Körperorganisation.«
Kropotkins Wahrnehmung wurde nicht weiter ernst
genommen, zumal er als Bohemien, Mitglied der anarchistischen Bewegung und
wissenschaftlicher Außenseiter ohnehin suspekt war, und doch gibt der Titel des
Buchs, das er über seine Beobachtungen verfasste, eine gute Umschreibung dessen,
welcher natürlichen (und gar nicht »wundertätigen«) Hinzufügung es bedarf, um
mit Darwins Theorie der natürlichen Auslese die Entwicklung des Lebens zu
erklären: »Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt«. Solange wir bei
der Beobachtung des Systems »Evolution« nur den Prozess der Konkurrenz
wahrnehmen, bleibt der gegenläufige, völlig andersgeartete Prozess der
Kooperation außerhalb des Blickfelds. So wie die Physiker zum Beispiel die
Theorie des Lichts experimentell und mathematisch überprüfen können, indem sie
Licht als eine große Menge einzelner Lichtteilchen auf-fassen, versuchen uns die
Neo- und Ultradarwinisten in ihren Rechenschaftsberichten ziemlich schlüssig
vorzurechnen, dass nur der Zufallsgenerator in der Kopierfabrik und das
Konkurrenzprinzip draußen für das Wunder der Schöpfung zuständig sind. Aber
Licht hat auch Wellencharakter, verbreitet sich als Frequenz im ganzen Raum und
ist überhaupt nicht aufgeteilt in einzelne Teilchen. Wirklich verstehen können
wir das Phänomen nur, wenn wir diesen Doppelcharakter akzeptieren. Ähnlich
paradox verhält es sich mit der Evolution, in der Konkurrenz und Kooperation
zugleich wirksam werden, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Doch es
existiert ein Verbindungsglied, ein verborgenes Netz, ein vereinigendes Prinzip,
das zwischen den gegenläufigen Prozessen von Konkurrenz und Kooperation
vermittelt: die Konspiration. Erst die konspirative Anstiftung zur Symbiose ist
es, die die große Kette der Wesen hervorbringt.
Als die Mikrobiologin Lynn Margulis’ Mitte der
1960er-Jahre nachwies, dass die ersten Lebewesen mit festem Zellkern durch eine
Kooperation mit einst freilebenden Bakterien entstanden und diese »Symbiogenese«
als Motor der Evolution zu sehen sei, wurde dies als wilde Spekulation abgetan;
mittlerweile steht ihre Theorie der Zellentstehung in jedem Lehrbuch. Dass sie
das herrschende Dogma von Mutation und Selektion aufs Schärfste unterminiert,
ist allerdings von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt geblieben.
Die Konspiration, die RNA und Protein in Gang
gesetzt haben, hat nur ein Ziel: so viel Leben wie möglich in die Welt zu
setzen. Und weil dazu der bisweilen fehlerhafte Kopiermechanismus nicht
ausreicht und über das bakterielle Stadium nicht hinausgekommen wäre, wird in
der ersten großen Krise des Lebens auf Erden der Kooperationsmechanismus
zugeschaltet. Anders als beim Kopierprogramm, das in den Nukleinsäuren codiert
ist, ist das Kooperationsprogramm konspirativ – kein Skript, kein Code, keine
materiellen Spuren. Und wie bei jeder perfekten Verschwörung werden wir ihre
Struktur auch nicht aufdecken, wenn wir uns einzelne der vermutlichen
Mafiamitglieder schnappen und zum Geständnis zwingen: Sie kennen die gesamte
Struktur gar nicht, haben höchstens vom Hörensagen davon erfahren und sind nur
mit einigen anderen Mitgliedern in ihrer Region in direktem Kontakt. Die Raupe
kann den Schmetterling nicht verstehen – und die bakteriellen Geißeltierchen,
die sich im Archaikum zum Eintritt in einen geschlossenen Zellverband überreden
ließen, hatten keine Ahnung, dass sie 1,5 Milliarden Jahre später bei männlichen
Säugetieren als Sperma-Rennpferde zum Einsatz kommen sollten.
Das konspirative Element der Evolution ist
nicht zu erkennen, solange wir uns einzelne Teile vornehmen. Es wird erst
sichtbar, wenn wir ihr Zusammenwirken, den Gesamtzusammenhang ins Auge fassen.
»Leben« entsteht erst durch die Kooperation von Lebewesen. Das Kopieren und die
Konkurrenz um knappe Ressourcen sind als völlig geistloses Spiel vorstellbar,
reine Mechanik, saubere Physik, null »Sozialarbeit« – die einsetzenden Symbiosen
aber, die erst all die höheren Arten hervorbringen, sind es nicht. Kooperation
aber setzt nicht nur Kommunikation voraus, sondern auch Konspiration:
Einverständnis, eine gemeinsame Idee, Geist.
Schon in den Frühzeiten der Erde verfügten die
Mikroben über konspirative Kommunikationsmöglichkeiten, von denen wir bis vor
wenigen Jahren nicht die geringste Ahnung hatten. Wir mögen Einrichtungen wie
Telekommunikation und Datenfernübertragung für große technische Leistungen
halten und Demokratie oder Volksabstimmungen für den Gipfel der Zivilisation.
Tatsächlich aber verfügten schon die Bakterienkolonien vor zwei Milliarden
Jahren über solche Einrichtungen. Für ein einzelnes Bakterium ist der zehn Meter
lange Planktonteppich seiner Kolonie, der auf den Meereswellen schaukelt, so
groß wie für einen Menschen der Kontinent Amerika – und doch ist es in »Alaska«
in der Lage, sich mit seinen Kollegen in »Feuerland« unmittelbar abzustimmen und
so das Verhalten der gesamten Kolonie zu koordinieren. Das Verfahren wird
»Quorum sensing« genannt, nach dem aus dem römischen Recht stammenden Begriff
»Quorum«, der jene Teilnehmerzahl einer Versammlung bezeichnet, die mindestens
erreicht sein muss, um beschlussfähig zu sein. Die Bakterien ermitteln ihr
Quorum, indem sie einen biochemischen Signalstoff an ihre Umgebung abgeben. Wird
ein bestimmter Schwellenwert erreicht, strömen die Stoffe zurück, schalten
einige Gene an, andere aus und verändern so die Aktivitäten und das
Fortpflanzungsverhalten der Bakterien über den gesamten »Kontinent« hinweg.
Diese medialen Fähigkeiten der Mikroben haben
nicht nur eine neue Sichtweise auf diese eben gar nicht so primitiven Lebewesen
eröffnet, sondern auch auf die Entstehung »höheren« Lebens insgesamt. Und diese
verlief insgesamt so konspirativ, dass der Code ihrer Kommunikation erst vor
wenigen Jahren geknackt werden konnte. Wir wissen jetzt, dass schon einfachste
Lebensformen in der Lage waren zu kommunizieren; wir wissen auch, dass sich
bestimmte Bakterien vor etwa 2,5 Milliarden Jahren zu Verbänden
zusammenschlossen, um die ersten mehrzelligen Lebewesen zu bilden – und dass sie
seitdem daran arbeiten, immer komplexere Lebensformen hervorzubringen.
Das menschliche Gehirn ist aus dieser Sicht die
wahrscheinlich höchstentwickelte, komplexeste Kolonie, die von der
Mikrobenintelligenz seither geschaffen wurde – so komplex, dass ihre Träger, die
Menschen, es selbst nicht verstehen. »Wenn unser Gehirn so simpel wäre, dass wir
es verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir es nicht könnten«, hat der
Gehirnforscher Emerson Pugh dieses Dilemma einmal ausgedrückt. Und das spricht
dafür, dass es sich tatsächlich um eine Kolonie, die Filiale einer höheren
Intelligenz, handelt. Als Kandidat dafür kommt nur das »Gobal Brain« in Frage:
das selbstorganisierte, billionenfach vernetzte, seit Milliarden Jahren stabile
Netzwerk der Bakterien. Dies, die geheime Absprache verschiedener Mikroben zur
Kooperation, ist wahrscheinlich die einzige real existierende Weltverschwörung
überhaupt, und ihr einziges Ziel heißt: Leben.
Verschwörungen, so scheint es unter dieser
naturgeschichtlichen Perspektive, sind eine evolutionäre Norm, ein
Verhaltensmuster, das allen gesellschaftsfähigen Gruppen – also eben nicht nur
Trickbetrügern, Geheimdiensten oder ganzen Staatengemeinschaften – eigen ist.
Vielleicht ist das der Grund, warum das Thema Konspiration noch nicht ins rechte
Licht der Wissenschaft gerückt ist und bis heute keine allgemeine Theorie der
Verschwörung existiert.
Autoren von "Bio-Konspiration – Wie alles anfing …"
20.07.2024 - Bio-Konspiration – Wie alles anfing …
Am Anfang war die Verschwörung. Einzelne Moleküle schlossen sich zu Gruppen zusammen, um die Ressourcen des Planeten besser auszubeuten. Wann genau sich die ersten Kohlenstoffverbindungen dazu entschlossen, wie sie dabei vorgingen und wie lange es dauerte, bis sie erfolgreich waren, kann die Wissenschaft bisher nicht vollständig rekonstruieren – sicher ist nur, dass vor etwa 3,5 Milliarden Jahren das Ergebnis dieser molekularen Verschwörung erscheint: fortpflanzungsfähige Einzeller … Bakterien … Leben! Und sicher scheint auch, dass es dabei konspirativ zuging.
Conspirare heißt wörtlich »zusammen atmen«, doch zum Zeitpunkt dieser ersten biochemischen Aktivitäten existierte in der globalen Atmosphäre noch gar kein Sauerstoff. Spiritus bedeutet aber nicht nur Hauch und Atem, sondern auch Geist, und ein solcher scheint – konspirativ – schon vor dem Entstehen von Sauerstoff anwesend gewesen zu sein: in Gestalt einer Topagentin namens RNA, die zusammen mit der ihr bald folgenden Kollegin DNA als Mastermind jener Verschwörung gelten muss, die den Planeten Erde nun heimsucht. Wo immer RNA und ihre Partnerin DNA ihren Ursprung haben, ob sie als Eigengewächs oder als außerirdische Eroberer zu bezeichnen sind: Mit dem Auftauchen dieser beiden Supermoleküle beginnt eine neue Geschichte auf der Erde, die Verschwörung des Lebens.
Nun sind diese beiden Topagentinnen keine Lebewesen, sondern chemische Verbindungen, und solchen eine Verschwörungsabsicht – also einen Plan und damit Intelligenz – zuzusprechen, scheint gewagt. Und doch deutet aus heutiger Sicht alles auf eine Konspiration hin. Die RNA-Eroberer lassen jedenfalls in den folgenden vier Milliarden Jahren keinen Zweifel an ihrer Absicht. Jeden Quadratzentimeter der toten Erde und der Wasseroberfläche besiedeln sie mit dem, was wir Leben nennen: Bakterien, Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen, Tiere und schließlich Menschen. Die bis vor Kurzem noch weit verbreitete Meinung, dass es sich bei diesem Prozess um eine Kette reiner Zufälle handelte, gesteuert von den bekannten Naturgesetzen und zufälligen Veränderungen (Mutationen), die sich dann als vorteilhaft durchsetzen, wird von der neueren Evolutionsbiologie ernsthaft infrage gestellt.
Wie ist aber nun Leben entstanden? Freeman Dyson nimmt an, dass es zu einer »Symbiose« zwischen der RNA und einem »Proteinwesen« gekommen ist – wobei für eine Säureverbindung wie RNA (Ribo-Nukleinsäure) und eine ebenfalls leblose Eiweißverbindung der Begriff »Symbiose« nicht ganz korrekt ist. Es ist ja noch gar kein »Bios«, kein Leben, vorhanden, das sich zusammentun könnte. Konspiration scheint uns deshalb hier den besseren Begriff zu liefern: Zwei Einheiten, die RNA-Agentin und das »Proteinwesen«, sprechen sich ab, um in einer feindlichen Umgebung zu überleben. Und wie jede richtige Verschwörung hat auch die chemische Konspiration, die selbstreproduzierende, stoffwechselnde Lebewesen hervorbringt, ihr Geheimnis. Bis heute ist es aller Gen- und Biotechnik zum Trotz nicht gelungen, die Kluft zwischen Chemie und Biologie, den Übergang von toten Kohlenstoffverbindungen zu lebendigen Zellen, zu schließen. Wie das Säuremolekül und die Eiweißverbindung sich – hinter dem Rücken aller anderen Verbindungen – zur Kooperation verabredeten, ist unbekannt.
Zuerst allerdings existierten noch überhaupt keine Lebewesen mit einem festen Zellkern, sondern nur die von einer dünnen Membran zusammengehaltenen Bakterien bevölkerten die Weltmeere. Sie hatten sich auf die verschiedenen Ressourcen, wie etwa den reichlich vorhandenen Schwefel, spezialisiert und fraßen fröhlich vor sich hin. Irgendwann freilich gingen ihnen die Nährstoffe aus – doch parallel und unbemerkt hat das RNA-DNA-Protein-Trio ganz offensichtlich seine Fäden gezogen. Denn die bisher allein auf freier Wildbahn agierenden Bakterien schließen sich zu Gruppen zusammen, lösen sich als Einzelwesen auf und ordnen sich einem Funktionszusammenhang, einem mehrzelligen Wesen, unter.
Nach der derzeit noch herrschenden Lehrmeinung in der Evolutionsbiologie, die man als Neo- oder Ultradarwinismus bezeichnet, handelt es sich bei der Tätigkeit von RNA und DNA nur um einen einfachen Replikationstrick, einen Kopiermechanismus, der keinerlei Geheimnis birgt, geschweige denn den Anlass zu einer Verschwörungstheorie. Die Evolutionsfabrik, die das Leben auf diesem Planeten hervorbringt, ist nach dieser Ansicht nichts anderes als ein gigantischer Copyshop, der unter Leitung eines blinden Uhrmachers mechanisch Kopien fertigt. Eine Entwicklungsabteilung gibt es nicht, und das Geheimnis, wie durch simples Kopieren aus einem einzelligen Bakterium drei Milliarden Jahre später komplexe Lebewesen wie Louis Pasteur oder Robert Koch entstehen, verlagert der Neodarwinismus auf den Hinterhof der Kopierfabrik. Dort landen der Ausschuss, die fehlerhaften Kopien, die »Mutationen«. Doch wenn sich die Marktbedingungen, das heißt die Umweltsituationen, ändern, können sich die fehlerhaften Exemplare plötzlich als Renner erweisen und werden in die Massenproduktion übernommen.
Darwin selbst hat nie abgestritten, dass seine Theorie der natürlichen Auslese noch viele Fragen offenlässt und weiterer Ergänzungen bedarf. Er wehrte sich nur – und als Naturwissenschaftler zu Recht – gegen »wundertätige Hinzufügungen«. An solchen war auch einer seiner Zeitgenossen, der russische Graf und Intellektuelle Pjotr Kropotkin, wenig interessiert, der nach der Lektüre der »Entstehung der Arten« auf einer Reise durch Sibirien und die Mandschurei Naturbeobachtungen anstellte und dem auf der Gegenseite des unerbittlichen Existenzkampfs der Arten ein so strenger Zwang zur Kooperation und gegenseitigen Unterstützung auffiel, dass er schrieb:
»Wenn wir die Natur fragen, ›wer sind die Tüchtigsten: jene, die ständig miteinander im Krieg liegen, oder jene, die einander unterstützen?‹, so sehen wir sofort, dass jene Tiere, die die Gewohnheit gegenseitiger Hilfe erworben haben, zweifellos die tüchtigsten, bestangepassten sind. Sie haben mehr Überlebenschancen und sie bringen es auf ihrer jeweiligen Stufe zum höchsten Entwicklungsgrad der Intelligenz und der Körperorganisation.«
Kropotkins Wahrnehmung wurde nicht weiter ernst genommen, zumal er als Bohemien, Mitglied der anarchistischen Bewegung und wissenschaftlicher Außenseiter ohnehin suspekt war, und doch gibt der Titel des Buchs, das er über seine Beobachtungen verfasste, eine gute Umschreibung dessen, welcher natürlichen (und gar nicht »wundertätigen«) Hinzufügung es bedarf, um mit Darwins Theorie der natürlichen Auslese die Entwicklung des Lebens zu erklären: »Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt«. Solange wir bei der Beobachtung des Systems »Evolution« nur den Prozess der Konkurrenz wahrnehmen, bleibt der gegenläufige, völlig andersgeartete Prozess der Kooperation außerhalb des Blickfelds. So wie die Physiker zum Beispiel die Theorie des Lichts experimentell und mathematisch überprüfen können, indem sie Licht als eine große Menge einzelner Lichtteilchen auf-fassen, versuchen uns die Neo- und Ultradarwinisten in ihren Rechenschaftsberichten ziemlich schlüssig vorzurechnen, dass nur der Zufallsgenerator in der Kopierfabrik und das Konkurrenzprinzip draußen für das Wunder der Schöpfung zuständig sind. Aber Licht hat auch Wellencharakter, verbreitet sich als Frequenz im ganzen Raum und ist überhaupt nicht aufgeteilt in einzelne Teilchen. Wirklich verstehen können wir das Phänomen nur, wenn wir diesen Doppelcharakter akzeptieren. Ähnlich paradox verhält es sich mit der Evolution, in der Konkurrenz und Kooperation zugleich wirksam werden, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Doch es existiert ein Verbindungsglied, ein verborgenes Netz, ein vereinigendes Prinzip, das zwischen den gegenläufigen Prozessen von Konkurrenz und Kooperation vermittelt: die Konspiration. Erst die konspirative Anstiftung zur Symbiose ist es, die die große Kette der Wesen hervorbringt.
Als die Mikrobiologin Lynn Margulis’ Mitte der 1960er-Jahre nachwies, dass die ersten Lebewesen mit festem Zellkern durch eine Kooperation mit einst freilebenden Bakterien entstanden und diese »Symbiogenese« als Motor der Evolution zu sehen sei, wurde dies als wilde Spekulation abgetan; mittlerweile steht ihre Theorie der Zellentstehung in jedem Lehrbuch. Dass sie das herrschende Dogma von Mutation und Selektion aufs Schärfste unterminiert, ist allerdings von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt geblieben.
Die Konspiration, die RNA und Protein in Gang gesetzt haben, hat nur ein Ziel: so viel Leben wie möglich in die Welt zu setzen. Und weil dazu der bisweilen fehlerhafte Kopiermechanismus nicht ausreicht und über das bakterielle Stadium nicht hinausgekommen wäre, wird in der ersten großen Krise des Lebens auf Erden der Kooperationsmechanismus zugeschaltet. Anders als beim Kopierprogramm, das in den Nukleinsäuren codiert ist, ist das Kooperationsprogramm konspirativ – kein Skript, kein Code, keine materiellen Spuren. Und wie bei jeder perfekten Verschwörung werden wir ihre Struktur auch nicht aufdecken, wenn wir uns einzelne der vermutlichen Mafiamitglieder schnappen und zum Geständnis zwingen: Sie kennen die gesamte Struktur gar nicht, haben höchstens vom Hörensagen davon erfahren und sind nur mit einigen anderen Mitgliedern in ihrer Region in direktem Kontakt. Die Raupe kann den Schmetterling nicht verstehen – und die bakteriellen Geißeltierchen, die sich im Archaikum zum Eintritt in einen geschlossenen Zellverband überreden ließen, hatten keine Ahnung, dass sie 1,5 Milliarden Jahre später bei männlichen Säugetieren als Sperma-Rennpferde zum Einsatz kommen sollten.
Das konspirative Element der Evolution ist nicht zu erkennen, solange wir uns einzelne Teile vornehmen. Es wird erst sichtbar, wenn wir ihr Zusammenwirken, den Gesamtzusammenhang ins Auge fassen. »Leben« entsteht erst durch die Kooperation von Lebewesen. Das Kopieren und die Konkurrenz um knappe Ressourcen sind als völlig geistloses Spiel vorstellbar, reine Mechanik, saubere Physik, null »Sozialarbeit« – die einsetzenden Symbiosen aber, die erst all die höheren Arten hervorbringen, sind es nicht. Kooperation aber setzt nicht nur Kommunikation voraus, sondern auch Konspiration: Einverständnis, eine gemeinsame Idee, Geist.
Schon in den Frühzeiten der Erde verfügten die Mikroben über konspirative Kommunikationsmöglichkeiten, von denen wir bis vor wenigen Jahren nicht die geringste Ahnung hatten. Wir mögen Einrichtungen wie Telekommunikation und Datenfernübertragung für große technische Leistungen halten und Demokratie oder Volksabstimmungen für den Gipfel der Zivilisation. Tatsächlich aber verfügten schon die Bakterienkolonien vor zwei Milliarden Jahren über solche Einrichtungen. Für ein einzelnes Bakterium ist der zehn Meter lange Planktonteppich seiner Kolonie, der auf den Meereswellen schaukelt, so groß wie für einen Menschen der Kontinent Amerika – und doch ist es in »Alaska« in der Lage, sich mit seinen Kollegen in »Feuerland« unmittelbar abzustimmen und so das Verhalten der gesamten Kolonie zu koordinieren. Das Verfahren wird »Quorum sensing« genannt, nach dem aus dem römischen Recht stammenden Begriff »Quorum«, der jene Teilnehmerzahl einer Versammlung bezeichnet, die mindestens erreicht sein muss, um beschlussfähig zu sein. Die Bakterien ermitteln ihr Quorum, indem sie einen biochemischen Signalstoff an ihre Umgebung abgeben. Wird ein bestimmter Schwellenwert erreicht, strömen die Stoffe zurück, schalten einige Gene an, andere aus und verändern so die Aktivitäten und das Fortpflanzungsverhalten der Bakterien über den gesamten »Kontinent« hinweg.
Diese medialen Fähigkeiten der Mikroben haben nicht nur eine neue Sichtweise auf diese eben gar nicht so primitiven Lebewesen eröffnet, sondern auch auf die Entstehung »höheren« Lebens insgesamt. Und diese verlief insgesamt so konspirativ, dass der Code ihrer Kommunikation erst vor wenigen Jahren geknackt werden konnte. Wir wissen jetzt, dass schon einfachste Lebensformen in der Lage waren zu kommunizieren; wir wissen auch, dass sich bestimmte Bakterien vor etwa 2,5 Milliarden Jahren zu Verbänden zusammenschlossen, um die ersten mehrzelligen Lebewesen zu bilden – und dass sie seitdem daran arbeiten, immer komplexere Lebensformen hervorzubringen.
Das menschliche Gehirn ist aus dieser Sicht die wahrscheinlich höchstentwickelte, komplexeste Kolonie, die von der Mikrobenintelligenz seither geschaffen wurde – so komplex, dass ihre Träger, die Menschen, es selbst nicht verstehen. »Wenn unser Gehirn so simpel wäre, dass wir es verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir es nicht könnten«, hat der Gehirnforscher Emerson Pugh dieses Dilemma einmal ausgedrückt. Und das spricht dafür, dass es sich tatsächlich um eine Kolonie, die Filiale einer höheren Intelligenz, handelt. Als Kandidat dafür kommt nur das »Gobal Brain« in Frage: das selbstorganisierte, billionenfach vernetzte, seit Milliarden Jahren stabile Netzwerk der Bakterien. Dies, die geheime Absprache verschiedener Mikroben zur Kooperation, ist wahrscheinlich die einzige real existierende Weltverschwörung überhaupt, und ihr einziges Ziel heißt: Leben.
Verschwörungen, so scheint es unter dieser naturgeschichtlichen Perspektive, sind eine evolutionäre Norm, ein Verhaltensmuster, das allen gesellschaftsfähigen Gruppen – also eben nicht nur Trickbetrügern, Geheimdiensten oder ganzen Staatengemeinschaften – eigen ist. Vielleicht ist das der Grund, warum das Thema Konspiration noch nicht ins rechte Licht der Wissenschaft gerückt ist und bis heute keine allgemeine Theorie der Verschwörung existiert.
Autoren von "Bio-Konspiration – Wie alles anfing …"
Bücher von Mathias Bröckers