Mit dem Beginn der Pandemie herrschte Chaos bei der eiligen Beschaffung von Masken. Es zeigt sich: Das Nachspiel dürfte teuer werden. Aber niemand muss sich dafür verantworten.
Wer hat Angst vor dem Bundesrechnungshof? Es handelt sich immerhin um eine oberste Bundesbehörde, die als Organ der Finanzkontrolle nur dem Gesetz unterworfen ist. Der Bundesrechnungshof kann nicht durch Weisungen beeinflusst werden, weder von der Bundesregierung noch von einem Ministerium noch vom Bundestag. Er kann sich seinen Prüfungsstoff völlig frei wählen. In Artikel 114 des Grundgesetzes hat er Verfassungsrang.
In dieser Freiheit hat sich der Bundesrechnungshof auch mit der Beschaffung von Schutzmasken zu Beginn der Corona-Pandemie befasst. Das Ergebnis der Rechnungshofprüfung übertrifft die schlimmsten Befürchtungen. Wir erinnern uns: Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verschärfte sich zu Beginn des Jahres 2020 die Lage auf dem Markt für persönliche Schutzausrüstung. Ein explosionsartiger weltweiter Nachfrageanstieg wurde von Einbrüchen bei Produktion und Lieferketten konterkariert, was entsprechend der Logik des Marktes enorme Preissteigerungen zur Folge hatte.
Obwohl die zuständigen Bundesbehörden schon 2012 in einem Planspiel eine Pandemie beschrieben hatten und 2016 im Nationalen Pandemieplan eine vorsorgliche Beschaffung von Schutzausrüstungen aller Art empfohlen wurde, war all die Jahre nichts dergleichen geschehen. Daher war die herrschende Grundstimmung im Land Panik, weswegen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein zuvor noch nie angewandtes „Open-House-Verfahren“ durch die Zentrale Beschaffungsstelle bei der Generalzolldirektion ausrief: Ohne jede Ausschreibung garantierte man jedem Maskenanbieter grotesk überhöhte 4,50 Euro pro Maske, wenn innerhalb einer kurzen Frist geliefert wurde.
In wenigen Tagen kam es auf diese Weise zu 738 Verträgen mit einem Volumen von weit über 6,4 Milliarden Euro, sodass das Open-House-Verfahren hektisch wieder geschlossen wurde. Letztlich wurden 5,7 Milliarden Schutzmasken angeschafft.
Eine Bedarfsermittlung oder Mengensteuerung hatte im BMG nie stattgefunden. Man hatte sich im Zuge der allgemeinen Hysterie völlig überkauft. Inzwischen wurden knapp drei Milliarden Masken wieder vernichtet, auf knapp einer Milliarde ist das Ministerium bislang noch sitzen geblieben – ratlos.
Im BMG wollte man sich nun aus dem desaströsen Open-House-Verfahren offenbar heimlich, still und leise wieder herausstehlen, wollte von den Verträgen wieder zurücktreten, lehnte die Abnahme der Masken ab und verweigerte die vereinbarten Zahlungen. Aber die Anbieter und Lieferanten ließen sich das nicht gefallen und zogen vor Gericht. In diesen Tagen hat das Oberlandesgericht Köln dem Ministerium eine krachende Niederlage verpasst. In einem Berufungsverfahren hat es eine Bedingung in der damaligen Ausschreibung für nichtig erklärt. Schließen sich auch die Gerichte in den anderen Fällen diesem Urteil an, könnten auf das BMG Zahlungen von bis zu 3,5 Milliarden zukommen, nebst Zinsen, Anwalts- und Gerichtskosten.
Der Bundesrechnungshof stellte dazu fest: Beschaffung weit über den Bedarf, Folgekosten durch Lagerung unberücksichtigt, hohe Kosten durch die Vernichtung, kaum Nutzen für die Pandemiebekämpfung und völlig unzureichende, blamabel schlechte Dokumentation des gesamten Beschaffungsvorgangs im BMG!
Was hat ein derart vernichtendes Urteil zur Folge? Nichts, außer ein wenig medialem Getöse. Der Bundesrechnungshof kann zwar Verstöße gegen geltendes Recht oder mangelnde Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit beanstanden, aber er hat keine Macht, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Also noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Wer hat Angst vor dem Bundesrechnungshof? Die Antwort lautet: Niemand. Kein Minister, niemand muss wegen der Entscheidung zum Open-House-Verfahren Rechenschaft ablegen. Kein Staatssekretär, niemand wird für den Ankauf von über fünf Milliarden Schutzmasken zu völlig überhöhten Preisen haftbar gemacht. Kein Beamter, niemand verantwortet die zwischenzeitliche Vernichtung von knapp drei Milliarden Schutzmasken, nachdem nur 1,7 Milliarden gebraucht und im Land verteilt worden waren. Niemand muss für 3,5 Milliarden Euro geradestehen, die jetzt auf das BMG, auf den Haushalt, auf alle Steuerzahler:innen zukommen.
14.07.2024 - Niemand wird demaskiert
Ärztezeitung vom 27.6.2024
Mit dem Beginn der Pandemie herrschte Chaos bei der eiligen Beschaffung von Masken. Es zeigt sich: Das Nachspiel dürfte teuer werden. Aber niemand muss sich dafür verantworten. Wer hat Angst vor dem Bundesrechnungshof? Es handelt sich immerhin um eine oberste Bundesbehörde, die als Organ der Finanzkontrolle nur dem Gesetz unterworfen ist. Der Bundesrechnungshof kann nicht durch Weisungen beeinflusst werden, weder von der Bundesregierung noch von einem Ministerium noch vom Bundestag. Er kann sich seinen Prüfungsstoff völlig frei wählen. In Artikel 114 des Grundgesetzes hat er Verfassungsrang. In dieser Freiheit hat sich der Bundesrechnungshof auch mit der Beschaffung von Schutzmasken zu Beginn der Corona-Pandemie befasst. Das Ergebnis der Rechnungshofprüfung übertrifft die schlimmsten Befürchtungen. Wir erinnern uns: Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verschärfte sich zu Beginn des Jahres 2020 die Lage auf dem Markt für persönliche Schutzausrüstung. Ein explosionsartiger weltweiter Nachfrageanstieg wurde von Einbrüchen bei Produktion und Lieferketten konterkariert, was entsprechend der Logik des Marktes enorme Preissteigerungen zur Folge hatte. Obwohl die zuständigen Bundesbehörden schon 2012 in einem Planspiel eine Pandemie beschrieben hatten und 2016 im Nationalen Pandemieplan eine vorsorgliche Beschaffung von Schutzausrüstungen aller Art empfohlen wurde, war all die Jahre nichts dergleichen geschehen. Daher war die herrschende Grundstimmung im Land Panik, weswegen das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein zuvor noch nie angewandtes „Open-House-Verfahren“ durch die Zentrale Beschaffungsstelle bei der Generalzolldirektion ausrief: Ohne jede Ausschreibung garantierte man jedem Maskenanbieter grotesk überhöhte 4,50 Euro pro Maske, wenn innerhalb einer kurzen Frist geliefert wurde. In wenigen Tagen kam es auf diese Weise zu 738 Verträgen mit einem Volumen von weit über 6,4 Milliarden Euro, sodass das Open-House-Verfahren hektisch wieder geschlossen wurde. Letztlich wurden 5,7 Milliarden Schutzmasken angeschafft. Eine Bedarfsermittlung oder Mengensteuerung hatte im BMG nie stattgefunden. Man hatte sich im Zuge der allgemeinen Hysterie völlig überkauft. Inzwischen wurden knapp drei Milliarden Masken wieder vernichtet, auf knapp einer Milliarde ist das Ministerium bislang noch sitzen geblieben – ratlos. Im BMG wollte man sich nun aus dem desaströsen Open-House-Verfahren offenbar heimlich, still und leise wieder herausstehlen, wollte von den Verträgen wieder zurücktreten, lehnte die Abnahme der Masken ab und verweigerte die vereinbarten Zahlungen. Aber die Anbieter und Lieferanten ließen sich das nicht gefallen und zogen vor Gericht. In diesen Tagen hat das Oberlandesgericht Köln dem Ministerium eine krachende Niederlage verpasst. In einem Berufungsverfahren hat es eine Bedingung in der damaligen Ausschreibung für nichtig erklärt. Schließen sich auch die Gerichte in den anderen Fällen diesem Urteil an, könnten auf das BMG Zahlungen von bis zu 3,5 Milliarden zukommen, nebst Zinsen, Anwalts- und Gerichtskosten. Der Bundesrechnungshof stellte dazu fest: Beschaffung weit über den Bedarf, Folgekosten durch Lagerung unberücksichtigt, hohe Kosten durch die Vernichtung, kaum Nutzen für die Pandemiebekämpfung und völlig unzureichende, blamabel schlechte Dokumentation des gesamten Beschaffungsvorgangs im BMG! Was hat ein derart vernichtendes Urteil zur Folge? Nichts, außer ein wenig medialem Getöse. Der Bundesrechnungshof kann zwar Verstöße gegen geltendes Recht oder mangelnde Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit beanstanden, aber er hat keine Macht, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Also noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Wer hat Angst vor dem Bundesrechnungshof? Die Antwort lautet: Niemand. Kein Minister, niemand muss wegen der Entscheidung zum Open-House-Verfahren Rechenschaft ablegen. Kein Staatssekretär, niemand wird für den Ankauf von über fünf Milliarden Schutzmasken zu völlig überhöhten Preisen haftbar gemacht. Kein Beamter, niemand verantwortet die zwischenzeitliche Vernichtung von knapp drei Milliarden Schutzmasken, nachdem nur 1,7 Milliarden gebraucht und im Land verteilt worden waren. Niemand muss für 3,5 Milliarden Euro geradestehen, die jetzt auf das BMG, auf den Haushalt, auf alle Steuerzahler:innen zukommen.Autoren von "Niemand wird demaskiert"
Bücher von Bernd Hontschik