27.04.2024 - Die drei Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway
Charlotte Kerner:
Sie waren große Öko-Visionärinnen und Kämpferinnen für unsere Umwelt: Die
Schriftstellerin Rachel Carson, die Forscherin Lynn Margulis und die Philosophin
Donna Haraway, deren Leben und Werk Charlotte Kerner in ihrem Buch „We are
Volcanoes“ erzählt. Diese drei Biologinnen haben beschrieben, wie eng
verflochten menschliches und mehr-als-menschliches Leben auf der Erde ist und
schon früh Natur und Kultur neu und anders gedacht. Gegen viele Widerstände
haben sie Fachgrenzen überschritten, neue Verbindungen zwischen
naturwissenschaftlicher Forschung, Philosophie, Soziologie und Evolutionstheorie
geschaffen und Fragen aufgeworfen, die heute wichtiger sind denn je, wenn es um
das Überleben in der Zukunft geht.
Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway waren drei besonderen Frauen.
Was sie eint, ist ihre besondere Fähigkeit, Natur und Kultur, unsere Erde und
uns in dieser Welt neu und anders zu denken. Als Öko-Visionärinnen waren sie
ihrer Zeit weit voraus, das erzeugte Widerstand. Was diese amerikanischen
Biologinnen – ob als Forscherin oder Theoretikerin, Philosophin oder
Sachbuchautorin – niederschrieben oder laut aussprachen, wurde in der
Vergangenheit oft bekämpft oder einfach ignoriert, verlacht und lange nicht
wirklich ernst genommen. Aber heute zeitigen sich ihre Werke, die zum großen
Teil entstanden sind, bevor der Klimawandel und das Artensterben
wissenschaftlich bewiesen waren, bevor die Grenzen des Wachstums offensichtlich
wurden und als Ökologie sowie Nachhaltigkeit noch keine Modewörter waren.
Die Naturwissenschaftlerinnen sind reif geworden für uns – und wir sind reif(er)
geworden für ihre Gedanken. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in den End-Zeiten
von Anthropozän und Kapitalozän, entfaltet ihr Werk eine neue Wucht und
Wichtigkeit und macht auch Hoffnung. Fast schon zum guten Ton gehört es
inzwischen, die Meeresbiologin Rachel Carson (1907–1964) als »Mutter der
Ökologiebewegung« zu zitieren, für die ihr Weltbestseller Der stumme Frühling
den Startschuss gab. In diesem Sachbuch erklärte sie im Jahr 1962 erstmals einer
breiten Öffentlichkeit den tödlichen Kreislauf von Insektenvernichtungsmitteln
und stieß eine moderne Umweltgesetzgebung in den USA an. Doch schon zuvor hatte
die naturbegeisterte Carson in einer Meerestrilogie die ganze Welt im Blick
gehabt. Unbekannter geblieben ist bis heute Lynn Margulis (1938–2011), dabei
erforschte sie die für alles irdische Leben so wichtigen Bakterien und wie vor
Abermillionen Jahren die Zellen geboren wurden, aus denen auch wir gebaut sind.
Sie entdeckte die »Symbiose« als neue, wirkmächtige Kraft der Evolution und
ergänzte Charles Darwins Theorie – mit weitreichenden Folgen für das zukünftige
Zusammenleben auf dem Planeten. Die Philosophin und Feministin Donna Haraway
(*1944), die in Margulis eine inspirierende Lehrerin fand, startete mit dem
Cyborg-Manifest, das bereits Mitte der 1980er-Jahre erschienen ist, eine große
internationale Karriere. Regelrecht gehypt wird sie heute vor allem in
Kunstkreisen: Weil sie starre Grenzen zwischen Natur und Kultur ebenso wie
zwischen den Geschlechtern und zwischen Mensch und Maschine hinterfragt und
aufgebrochen hat und uns schon heute, aber vor allem für die Zukunft neue,
vielfältige Gefährt*innen unterschiedlichster Art zur Seite stellt. Doch
jede dieser Wissenschaftlerinnen verdient mehr als ein paar wohlmeinende Zitate
aus ihren Schriften. Weil durch das Werk dieser Frauen – wie unter einem
Mikroskop – das Gestern wie das Heute, aber auch mögliche Zukünfte sichtbarer
und verständlicher werden. Carson, Margulis und Haraway zeigen Wirkung: weil sie
aufrütteln und Folgen haben für unsere Sicht auf die Welt und damit für unser
Handeln in der Welt. Sie werden gebraucht, weil sie verstehen helfen, was auf
der Erde seit der industriellen Revolution und in einem immer schnelleren Tempo
Zerstörerisches passiert. Angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe ist
das notwendiger denn je. »Es wäre ein riesiger Gewinn, Klarheit über unser Tun
zu gewinnen, es wirklich ganz und gar auf diesem Planeten zu verankern«, so die
Philosophin Eva von Redecker. Was wir brauchen, ist »kein dumpfer Weltschmerz,
sondern aufgeklärte Wirklichkeit«. Die Lesereise, zu der ich einlade, führt
zu dem Triumfeminat Carson, Margulis und Haraway, die auf dem Buchcover als
allegorische Gruppe auftreten. Die genauen Routen werden von deren
unterschiedlichen Lebensgeschichten vorgegeben, die sich jedoch auch verflechten
und durchdringen und so ein buntes Faden-Knäuel der Erkenntnis formen. Dazu
gehören auch fiktive Auftritte jeder einzelnen Öko-Visionärin in jedem Kapitel
sowie kurze Abstecher in die Wissenschaftsgeschichte, wo noch andere, frühere
Vordenkerinnen und Ökofeministinnen warten. […] Wohin unser Planet und
seine Bewohner taumeln, war auch das Lebensthema der weltberühmten
Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin (1929–2018). Vor gut einem halben
Jahrhundert schrieb sie bereits einen Roman mit dem heute prophetisch klingenden
Titel Das Wort für Welt ist Wald. Die US-Schriftstellerin Le Guin sprach im Jahr
1986 vor den Absolventinnen des amerikanischen Frauen-College Bryn Mawr. Der
Titel dieser berühmten Mut-Rede, We are volcanoes, steht nun auch auf dem Cover
dieses Buches. Denn »Vulkane« waren ihre Zeitgenossinnen Carson, Margulis und
Haraway ohne Zweifel. Schon früh sind sie ausgebrochen, und bereits als
Studentinnen waren sie unüberhörbar – was in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts noch mehr Kraft kostete als heute. Jede hat in ihrem persönlichen
Leben und Fachgebiet eingefahrene Wege verlassen und die »Landkarten« des
Denkens verändert und so neue Landschaften und Berge zum Entstehen gebracht.
Aber die drei Biologinnen waren nicht nur, sie sind Vulkane geblieben, heute
größer und sichtbarer denn je. Zu ihnen führt diese Reise. Um zu hören, wie sie
immer noch ausbrechen.
Autoren von "Die drei Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway"
27.04.2024 - Die drei Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway
Sie waren große Öko-Visionärinnen und Kämpferinnen für unsere Umwelt: Die Schriftstellerin Rachel Carson, die Forscherin Lynn Margulis und die Philosophin Donna Haraway, deren Leben und Werk Charlotte Kerner in ihrem Buch „We are Volcanoes“ erzählt. Diese drei Biologinnen haben beschrieben, wie eng verflochten menschliches und mehr-als-menschliches Leben auf der Erde ist und schon früh Natur und Kultur neu und anders gedacht. Gegen viele Widerstände haben sie Fachgrenzen überschritten, neue Verbindungen zwischen naturwissenschaftlicher Forschung, Philosophie, Soziologie und Evolutionstheorie geschaffen und Fragen aufgeworfen, die heute wichtiger sind denn je, wenn es um das Überleben in der Zukunft geht.
Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway waren drei besonderen Frauen. Was sie eint, ist ihre besondere Fähigkeit, Natur und Kultur, unsere Erde und uns in dieser Welt neu und anders zu denken. Als Öko-Visionärinnen waren sie ihrer Zeit weit voraus, das erzeugte Widerstand. Was diese amerikanischen Biologinnen – ob als Forscherin oder Theoretikerin, Philosophin oder Sachbuchautorin – niederschrieben oder laut aussprachen, wurde in der Vergangenheit oft bekämpft oder einfach ignoriert, verlacht und lange nicht wirklich ernst genommen. Aber heute zeitigen sich ihre Werke, die zum großen Teil entstanden sind, bevor der Klimawandel und das Artensterben wissenschaftlich bewiesen waren, bevor die Grenzen des Wachstums offensichtlich wurden und als Ökologie sowie Nachhaltigkeit noch keine Modewörter waren.
Die Naturwissenschaftlerinnen sind reif geworden für uns – und wir sind reif(er) geworden für ihre Gedanken. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in den End-Zeiten von Anthropozän und Kapitalozän, entfaltet ihr Werk eine neue Wucht und Wichtigkeit und macht auch Hoffnung. Fast schon zum guten Ton gehört es inzwischen, die Meeresbiologin Rachel Carson (1907–1964) als »Mutter der Ökologiebewegung« zu zitieren, für die ihr Weltbestseller Der stumme Frühling den Startschuss gab. In diesem Sachbuch erklärte sie im Jahr 1962 erstmals einer breiten Öffentlichkeit den tödlichen Kreislauf von Insektenvernichtungsmitteln und stieß eine moderne Umweltgesetzgebung in den USA an. Doch schon zuvor hatte die naturbegeisterte Carson in einer Meerestrilogie die ganze Welt im Blick gehabt.
Unbekannter geblieben ist bis heute Lynn Margulis (1938–2011), dabei erforschte sie die für alles irdische Leben so wichtigen Bakterien und wie vor Abermillionen Jahren die Zellen geboren wurden, aus denen auch wir gebaut sind. Sie entdeckte die »Symbiose« als neue, wirkmächtige Kraft der Evolution und ergänzte Charles Darwins Theorie – mit weitreichenden Folgen für das zukünftige Zusammenleben auf dem Planeten.
Die Philosophin und Feministin Donna Haraway (*1944), die in Margulis eine inspirierende Lehrerin fand, startete mit dem Cyborg-Manifest, das bereits Mitte der 1980er-Jahre erschienen ist, eine große internationale Karriere. Regelrecht gehypt wird sie heute vor allem in Kunstkreisen: Weil sie starre Grenzen zwischen Natur und Kultur ebenso wie zwischen den Geschlechtern und zwischen Mensch und Maschine hinterfragt und aufgebrochen hat und uns schon heute, aber vor allem für die Zukunft neue, vielfältige Gefährt*innen unterschiedlichster Art zur Seite stellt.
Doch jede dieser Wissenschaftlerinnen verdient mehr als ein paar wohlmeinende Zitate aus ihren Schriften. Weil durch das Werk dieser Frauen – wie unter einem Mikroskop – das Gestern wie das Heute, aber auch mögliche Zukünfte sichtbarer und verständlicher werden. Carson, Margulis und Haraway zeigen Wirkung: weil sie aufrütteln und Folgen haben für unsere Sicht auf die Welt und damit für unser Handeln in der Welt. Sie werden gebraucht, weil sie verstehen helfen, was auf der Erde seit der industriellen Revolution und in einem immer schnelleren Tempo Zerstörerisches passiert. Angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe ist das notwendiger denn je. »Es wäre ein riesiger Gewinn, Klarheit über unser Tun zu gewinnen, es wirklich ganz und gar auf diesem Planeten zu verankern«, so die Philosophin Eva von Redecker. Was wir brauchen, ist »kein dumpfer Weltschmerz, sondern aufgeklärte Wirklichkeit«.
Die Lesereise, zu der ich einlade, führt zu dem Triumfeminat Carson, Margulis und Haraway, die auf dem Buchcover als allegorische Gruppe auftreten. Die genauen Routen werden von deren unterschiedlichen Lebensgeschichten vorgegeben, die sich jedoch auch verflechten und durchdringen und so ein buntes Faden-Knäuel der Erkenntnis formen. Dazu gehören auch fiktive Auftritte jeder einzelnen Öko-Visionärin in jedem Kapitel sowie kurze Abstecher in die Wissenschaftsgeschichte, wo noch andere, frühere Vordenkerinnen und Ökofeministinnen warten.
[…]
Wohin unser Planet und seine Bewohner taumeln, war auch das Lebensthema der weltberühmten Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin (1929–2018). Vor gut einem halben Jahrhundert schrieb sie bereits einen Roman mit dem heute prophetisch klingenden Titel Das Wort für Welt ist Wald. Die US-Schriftstellerin Le Guin sprach im Jahr 1986 vor den Absolventinnen des amerikanischen Frauen-College Bryn Mawr. Der Titel dieser berühmten Mut-Rede, We are volcanoes, steht nun auch auf dem Cover dieses Buches. Denn »Vulkane« waren ihre Zeitgenossinnen Carson, Margulis und Haraway ohne Zweifel. Schon früh sind sie ausgebrochen, und bereits als Studentinnen waren sie unüberhörbar – was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch mehr Kraft kostete als heute. Jede hat in ihrem persönlichen Leben und Fachgebiet eingefahrene Wege verlassen und die »Landkarten« des Denkens verändert und so neue Landschaften und Berge zum Entstehen gebracht.
Aber die drei Biologinnen waren nicht nur, sie sind Vulkane geblieben, heute größer und sichtbarer denn je. Zu ihnen führt diese Reise. Um zu hören, wie sie immer noch ausbrechen.
Autoren von "Die drei Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway"
Bücher von Charlotte Kerner