25.03.2024 - Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen
Anna Blix:
Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere
Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen
40 Wochen dauert es, bis ein menschliches Baby
im Bauch der Mutter heranwächst. Anna Blix schaut sich diese Zeitspanne der
menschlichen Schwangerschaft an und stellt parallel dazu in jeder dieser Wochen
andere Lebewesen vor, die gerade ihre Nachkommen zur Welt bringen. So hat das
Bakterium E. coli sich innerhalb von 20 Minuten verdoppelt. Das Graue
Riesenkänguru ist nur fünf Wochen schwanger, dann kommt das Baby in der Größe
einer Bohne auf die Welt. Warum aber tragen wir als Menschen unsere Babys so
lange in unserem Körper? Und gibt es einen Grund dafür, dass Schwangere sich
häufig übergeben müssen? Gibt es vielleicht bessere Möglichkeiten zur
Reproduktion? Ihr Buch „Runde 40 Wochen“ bietet evolutionären Trost für all die
Schwierigkeiten einer menschlichen Schwangerschaft und zugleich eine Erklärung,
wie wir bis hierher gekommen sind: als klügste Spezies mit der vielleicht
ermüdendsten, aber nicht der schlechtesten Weise, uns zu reproduzieren.
»Schieben Sie mal die Hände hierhin, dann können Sie es gleich
halten. Mit der nächsten Wehe ist es draußen.«
Die Stimme der Hebamme ist ruhig. Mein Partner hält meine Hand.
Mein Körper spannt sich an, ich strecke mich. Dann ist er da und liegt auf
meinem Bauch. Ein kleiner Junge. Er atmet zum ersten Mal, und die harte, kalte
Luft, die er noch nie zuvor gespürt hat – weder innerlich noch äußerlich –
bleibt nicht ohne Wirkung. Seine Haut trocknet zum ersten Mal im Leben, als wir
das Fruchtwasser wegwischen, das ihn so lange umgeben und ihm Sicherheit gegeben
hat. Die Nabelschnur pumpt aus der Gebärmutter noch immer Blut in ihn, wie eine
Rettungsleine. Gleich wird sie durchtrennt werden, womit unsere neunmonatige
Symbiose in eine neue Phase übergeht.
Er liegt auf meinem Bauch, er ist dreieinhalb Minuten alt und 3,5
Milliarden Jahre, ist Ursuppe und ein vollkommen neues Leben, das es nie zuvor
gegeben hat. Er kann nichts, ist das hilfloseste Neugeborene aller Arten. Er
erkennt meine Stimme, den Geruch der Milch und schafft es irgendwie, vom Bauch
zu meinen Brüsten zu robben.
Er hebt das enorme Köpfchen, viel zu groß für den kleinen Körper,
und starrt mich an, um meine Gesichtszüge zu erkennen. Dann öffnet er seinen
Mund und legt seine Lippen an meine Brust, um trotz Vakuum und Unterdruck an
meine Milch zu kommen. Er war neun Monate in mir, ab heute bin ich endlich davon
befreit, ihm eine Wohnung zu stellen, doch die Kraft, mit der er an mir saugt,
zeigt mir mehr als deutlich, dass die Sache noch nicht zu Ende ist. Mein Körper
hat noch immer seinen Bedürfnissen zu folgen.
Trotzdem bin ich zumindest befreit davon, einen kleinen Organismus
wie einen Parasiten in mir zu tragen, frei von den Nebenwirkungen, die mir dies
bereitet hat.
Ich habe mich monatelang erbrochen, und mir war so übel, dass mir
zeitweise vier verschiedene rezeptpflichtige übelkeitsstillende Medikamente
verschrieben wurden. Meine inneren Organe sind neu arrangiert worden, Darm und
Blase wurden aus Platzgründen einfach zusammengedrückt. Meine Haut hat sich so
weit wie nur möglich gedehnt, und die Schwangerschaftshormone haben zu
Verstopfung und vermehrtem Schlafbedarf geführt. Monatelang konnte ich mir die
Schuhe nicht mehr binden, ich musste Stützstrümpfe tragen und habe beständig
säureregulierende Tabletten gegen das Sodbrennen genommen. Damit ich meinen
Nachkommen auch aus mir herausbringen kann, hat mein Skelett sich mehr und mehr
gedehnt, sodass ich schließlich bei jedem Schritt Schmerzen im Becken hatte.
Mein Körper hat damit die Bürden auf sich genommen, die üblich sind, wenn meine
Art sich reproduzieren will.
Wie es wohl wäre, wenn ich einfach ein Ei
legen könnte, das mein Partner dann bis zum Schlupf ausbrütet? Oder wenn mein
Baby so klein wäre, dass ich die Geburt kaum spüre und ich es danach in einem
Beutel mit mir herumtragen würde, bis es groß genug für das Leben ist?
Andererseits bleibt mir das Leiden der Tüpfelhyänen erspart, die durch eine
längliche Klitoris in Form eines Penis gebären müssen, die so eng ist, dass
60 Prozent der Welpen einer Erstgebärenden sterben. Ich bin auch nicht im
Skelett schwanger, wie das bei den Skorpionen der Fall ist, die schließlich,
wenn sich der Nachwuchs unter den Platten tummelt, wie aufgeblasene Ballons
herumlaufen. Ich muss nicht mucksmäuschenstill auf einem Nest sitzen, bis die
Jungen schlüpfen, wie die Eiderente. Und ich hungere mich auch nicht wie ein
Tintenfisch zu Tode, während ich auf meine Eier aufpasse, oder lasse mich wie
manche Spinnen von meinen Kindern bei lebendigem Leibe auffressen.
Jetzt, da mein kleiner Sohn auf meinem Bauch liegt und sich aus
eigener Kraft irgendwie zu meinen Brüsten schiebt, um den ersten Schluck Milch
zu trinken, fühlt sich das alles richtig an. Mein Körper ist high von all den
Hormonen, die beim Beginn der Geburt freigesetzt wurden. Sie haben meine
Schmerzen gelindert und sorgen auch dafür, dass ich das kleine, schrumpelige
Wesen, das aus mir herauskam, wirklich liebe. Das Gefühl, ein gesundes Baby
geboren zu haben, erfüllt mich mit einem solchen Glück, dass die neun langen
Monate damit in Vergessenheit geraten. Dabei habe ich mir während dieser Zeit
immer wieder gewünscht, zu einer anderen Art mit einer anderen
Reproduktionsmethode zu gehören, und nicht zulassen zu müssen, dass sich ein
befruchtetes Ei in meinem Körpergewebe festsetzt, der Fötus meinen Blutkreislauf
steuert und meinen Körper übernimmt.
Es gibt
so viele Organismen, die genau zur gleichen Zeit auf die Welt kamen wie mein
Kind, so viele Eltern, die sich aufgeteilt und unbefruchtete Eier ins Wasser
gegeben haben, auf dass die Spermien diese selbst finden. Andere haben einen
Kopf aus der Schale eines Eis ragen sehen, ihre Babys in der Rückenhaut oder im
Beutel hüpfen gefühlt oder durch den engen Geburtskanal gepresst. All diese
Arten befinden sich am äußersten Rand des Baumes des Lebens, jede auf ihrem
eigenen Zweig. Ihnen gemein ist aber, dass sie Teil desselben Baumes sind und
sich aus derselben, lebendigen Ursuppe, den ersten lebenden Zellen entwickelt
haben. Wir alle haben lange genug gelebt, um Nachkommen in die Welt zu setzen,
seien diese nun Menschen, Amöben, Seeanemonen, Hyänen, Eiderenten oder Kängurus.
Im Laufe der Entwicklung haben sich die Organismen vor uns verändert, jeder in
seine Richtung, und nun stehen wir hier mit einer Unzahl unterschiedlicher
Reproduktionslösungen. Und von einigen dieser fantastischen Möglichkeiten,
Kinder zu bekommen, wird in diesem Buch die Rede sein.
Autoren von "Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen"
25.03.2024 - Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen
Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen
40 Wochen dauert es, bis ein menschliches Baby im Bauch der Mutter heranwächst. Anna Blix schaut sich diese Zeitspanne der menschlichen Schwangerschaft an und stellt parallel dazu in jeder dieser Wochen andere Lebewesen vor, die gerade ihre Nachkommen zur Welt bringen. So hat das Bakterium E. coli sich innerhalb von 20 Minuten verdoppelt. Das Graue Riesenkänguru ist nur fünf Wochen schwanger, dann kommt das Baby in der Größe einer Bohne auf die Welt. Warum aber tragen wir als Menschen unsere Babys so lange in unserem Körper? Und gibt es einen Grund dafür, dass Schwangere sich häufig übergeben müssen? Gibt es vielleicht bessere Möglichkeiten zur Reproduktion? Ihr Buch „Runde 40 Wochen“ bietet evolutionären Trost für all die Schwierigkeiten einer menschlichen Schwangerschaft und zugleich eine Erklärung, wie wir bis hierher gekommen sind: als klügste Spezies mit der vielleicht ermüdendsten, aber nicht der schlechtesten Weise, uns zu reproduzieren.
»Schieben Sie mal die Hände hierhin, dann können Sie es gleich halten. Mit der nächsten Wehe ist es draußen.«
Die Stimme der Hebamme ist ruhig. Mein Partner hält meine Hand. Mein Körper spannt sich an, ich strecke mich. Dann ist er da und liegt auf meinem Bauch. Ein kleiner Junge. Er atmet zum ersten Mal, und die harte, kalte Luft, die er noch nie zuvor gespürt hat – weder innerlich noch äußerlich – bleibt nicht ohne Wirkung. Seine Haut trocknet zum ersten Mal im Leben, als wir das Fruchtwasser wegwischen, das ihn so lange umgeben und ihm Sicherheit gegeben hat. Die Nabelschnur pumpt aus der Gebärmutter noch immer Blut in ihn, wie eine Rettungsleine. Gleich wird sie durchtrennt werden, womit unsere neunmonatige Symbiose in eine neue Phase übergeht.
Er liegt auf meinem Bauch, er ist dreieinhalb Minuten alt und 3,5 Milliarden Jahre, ist Ursuppe und ein vollkommen neues Leben, das es nie zuvor gegeben hat. Er kann nichts, ist das hilfloseste Neugeborene aller Arten. Er erkennt meine Stimme, den Geruch der Milch und schafft es irgendwie, vom Bauch zu meinen Brüsten zu robben.
Er hebt das enorme Köpfchen, viel zu groß für den kleinen Körper, und starrt mich an, um meine Gesichtszüge zu erkennen. Dann öffnet er seinen Mund und legt seine Lippen an meine Brust, um trotz Vakuum und Unterdruck an meine Milch zu kommen. Er war neun Monate in mir, ab heute bin ich endlich davon befreit, ihm eine Wohnung zu stellen, doch die Kraft, mit der er an mir saugt, zeigt mir mehr als deutlich, dass die Sache noch nicht zu Ende ist. Mein Körper hat noch immer seinen Bedürfnissen zu folgen.
Trotzdem bin ich zumindest befreit davon, einen kleinen Organismus wie einen Parasiten in mir zu tragen, frei von den Nebenwirkungen, die mir dies bereitet hat.
Ich habe mich monatelang erbrochen, und mir war so übel, dass mir zeitweise vier verschiedene rezeptpflichtige übelkeitsstillende Medikamente verschrieben wurden. Meine inneren Organe sind neu arrangiert worden, Darm und Blase wurden aus Platzgründen einfach zusammengedrückt. Meine Haut hat sich so weit wie nur möglich gedehnt, und die Schwangerschaftshormone haben zu Verstopfung und vermehrtem Schlafbedarf geführt. Monatelang konnte ich mir die Schuhe nicht mehr binden, ich musste Stützstrümpfe tragen und habe beständig säureregulierende Tabletten gegen das Sodbrennen genommen. Damit ich meinen Nachkommen auch aus mir herausbringen kann, hat mein Skelett sich mehr und mehr gedehnt, sodass ich schließlich bei jedem Schritt Schmerzen im Becken hatte. Mein Körper hat damit die Bürden auf sich genommen, die üblich sind, wenn meine Art sich reproduzieren will.
Wie es wohl wäre, wenn ich einfach ein Ei legen könnte, das mein Partner dann bis zum Schlupf ausbrütet? Oder wenn mein Baby so klein wäre, dass ich die Geburt kaum spüre und ich es danach in einem Beutel mit mir herumtragen würde, bis es groß genug für das Leben ist? Andererseits bleibt mir das Leiden der Tüpfelhyänen erspart, die durch eine längliche Klitoris in Form eines Penis gebären müssen, die so eng ist, dass 60 Prozent der Welpen einer Erstgebärenden sterben. Ich bin auch nicht im Skelett schwanger, wie das bei den Skorpionen der Fall ist, die schließlich, wenn sich der Nachwuchs unter den Platten tummelt, wie aufgeblasene Ballons herumlaufen. Ich muss nicht mucksmäuschenstill auf einem Nest sitzen, bis die Jungen schlüpfen, wie die Eiderente. Und ich hungere mich auch nicht wie ein Tintenfisch zu Tode, während ich auf meine Eier aufpasse, oder lasse mich wie manche Spinnen von meinen Kindern bei lebendigem Leibe auffressen.
Jetzt, da mein kleiner Sohn auf meinem Bauch liegt und sich aus eigener Kraft irgendwie zu meinen Brüsten schiebt, um den ersten Schluck Milch zu trinken, fühlt sich das alles richtig an. Mein Körper ist high von all den Hormonen, die beim Beginn der Geburt freigesetzt wurden. Sie haben meine Schmerzen gelindert und sorgen auch dafür, dass ich das kleine, schrumpelige Wesen, das aus mir herauskam, wirklich liebe. Das Gefühl, ein gesundes Baby geboren zu haben, erfüllt mich mit einem solchen Glück, dass die neun langen Monate damit in Vergessenheit geraten. Dabei habe ich mir während dieser Zeit immer wieder gewünscht, zu einer anderen Art mit einer anderen Reproduktionsmethode zu gehören, und nicht zulassen zu müssen, dass sich ein befruchtetes Ei in meinem Körpergewebe festsetzt, der Fötus meinen Blutkreislauf steuert und meinen Körper übernimmt.
Es gibt so viele Organismen, die genau zur gleichen Zeit auf die Welt kamen wie mein Kind, so viele Eltern, die sich aufgeteilt und unbefruchtete Eier ins Wasser gegeben haben, auf dass die Spermien diese selbst finden. Andere haben einen Kopf aus der Schale eines Eis ragen sehen, ihre Babys in der Rückenhaut oder im Beutel hüpfen gefühlt oder durch den engen Geburtskanal gepresst. All diese Arten befinden sich am äußersten Rand des Baumes des Lebens, jede auf ihrem eigenen Zweig. Ihnen gemein ist aber, dass sie Teil desselben Baumes sind und sich aus derselben, lebendigen Ursuppe, den ersten lebenden Zellen entwickelt haben. Wir alle haben lange genug gelebt, um Nachkommen in die Welt zu setzen, seien diese nun Menschen, Amöben, Seeanemonen, Hyänen, Eiderenten oder Kängurus. Im Laufe der Entwicklung haben sich die Organismen vor uns verändert, jeder in seine Richtung, und nun stehen wir hier mit einer Unzahl unterschiedlicher Reproduktionslösungen. Und von einigen dieser fantastischen Möglichkeiten, Kinder zu bekommen, wird in diesem Buch die Rede sein.Autoren von "Die menschliche Schwangerschaft und 81 andere Möglichkeiten, ein Baby zu bekommen"
Bücher von Anna Blix